Nachdem es der Österreichischen Volkspartei (ÖVP) zusammen mit der Freiheitlichen Partei Österreichs (FPÖ) gelungen ist, eine Mehrheit der österreichischen Wähler davon zu überzeugen, dass der weitgehende Verzicht auf nationale Maßnahmen der Begrenzung des Massenzustroms von Asylbewerbern ein Irrweg ist, ist die CSU offenbar entschlossen, es ihrer österreichischen Schwesterpartei gleichzutun. Auch sie will sich nicht mehr auf die immer wieder angekündigten, nur selten jedoch realisierten „europäischen” Maßnahmen der Eindämmung einer Völkerwanderung nach Europa verlassen, die unter Ausnutzung der Europäischen Menschenrechtskonvention von international tätigen, mafiösen Schlepperbanden organisiert und beherrscht wird. Vielmehr sollen mit Hilfe geltender oder erst noch zu schaffender nationaler Gesetze Maßnahmen ergriffen werden, mit denen die Bundesregierung in die Lage versetzt wird, nicht nur ihren humanitären Verpflichtungen, sondern auch ihrem Auftrag des Schutzes des eigenen Landes und dessen Staatsbürgern nachzukommen.
Die CSU will damit das in Bayern verloren gegangene Vertrauen ihrer früheren (Stamm-)Wähler wieder zurückgewinnen. Diese zweifelten nämlich vor der Bundestagswahl daran, dass die CSU in der Lage sei, ihre auf Begrenzung und Rückweisung ausgerichteten asyl- und migrationspolitischen Positionen in einer fortgeführten Fraktionsgemeinschaft mit der CDU durchzusetzen. Die AfD griff diesen Vertrauensverlust erfolgreich auf, indem sie während des Bundestagswahlkampfes in Bayern plakatierte: „Wir halten, was die CSU verspricht.“ Damit gelang ihr ein deutlicher Einbruch in das national-konservative Wählerreservoir der CSU, für den die CSU-Führung in erster Linie nicht sich selbst, sondern die CDU mit ihrer Willkommens-Kanzlerin verantwortlich hält. Sie hat mit ihrer Politik der offenen Grenzen die „rechte Flanke“ christdemokratischer Politik endgültig preisgegeben und dafür die CSU mit in Haftung genommen.
Innenminister Seehofer kündigte zu diesem Zwecke die Rückweisung von Asylbewerbern an den deutschen Grenzen auf Grundlage geltender nationaler Gesetze an, sollte es der Kanzlerin nicht gelingen, auf EU-Ebene wirkungsgleiche Regelungen zu treffen. Obwohl die CSU-Führung zunächst androhte, alle Minister aus der Regierung abzuziehen, sollte die Kanzlerin in diesem Fall den Innenminister, wie von ihr angedroht, entlassen, fiel sie Seehofer im entscheidenden Augenblick jedoch in den Rücken. Er bot seiner Partei daraufhin den Rücktritt als Innenminister und Parteivorsitzender an, was im Ergebnis dazu führte, dass die Kanzlerin der Umsetzung eines „neuen Grenzregimes“ an den deutsch-österreichischen Grenzen unter Einschluss bilateraler Vereinbarungen mit Österreich und anderen EU-Ländern überraschend zustimmte.
Entstanden ist damit eine Art „Lex Bavarica“, der inzwischen auch der Koalitionspartner SPD zugestimmt hat. Der CSU wird mit dem Segen der Kanzlerin seitens der CDU eingeräumt, den Beweis dafür zu erbringen, wie es ihr mit Hilfe von „Transitverfahren“ und weiteren Maßnahmen gelingen wird, nicht nur die illegale Zuwanderung an der deutsch-österreichischen Grenze zum Stillstand zu bringen, sondern auf diesem Wege auch all diejenigen bayerischen (Stamm-)Wähler zurück zu gewinnen, die bei der Bundestagswahl nicht zuletzt in den grenznahen Regionen ihr Kreuz bei der AfD (oder der FDP) gemacht haben. Gegebenenfalls lassen sich mit dem „neuen Grenzregime“ aber auch Wähler der SPD zur CSU abwerben, die von dem Gutmenschen-Gedöns der sozialdemokratischen Funktionärs-Schickeria die Nase voll haben, es aber ablehnen, deswegen die AfD (oder die FDP) zu wählen.
Die „Lex Bavarica“ bricht mit zwei Prioritätensetzungen, die bislang das Handeln der Kanzlerin bestimmten. Zum einen dem absoluten Vorrang EU-europäischer vor nationalen Gesetzen und Regelungen in Fragen der Zuwanderung von Asylbewerbern in die Europäische Union (EU). Und zum anderen dem Vorrang des Interessenschutzes für „Flüchtlinge” vor dem Interessenschutz für die einheimische Bevölkerung. Beide Prioritätensetzungen stoßen nicht nur in Bayern, sondern deutschland- und europaweit auf wachsendes Unverständnis und Ablehnung in allen Bevölkerungsschichten. Sie werden zunehmend als eine Kapitulation des nationalen Rechtsstaates vor den illegalen Zuwanderern und deren Schleppern sowie Gefährdung der inneren Sicherheit wahrgenommen. Dem soll durch die Wahl von Parteien Einhalt geboten werden, die dazu bereit sind, bei Bedarf das Territorium ihrer Staatsbürger auch in nationaler Eigenregie zu schützen.
Dass der sozialdemokratische Koalitionspartner in Berlin hofft, die CSU möge in Bayern die absolute Mehrheit verlieren, liegt auf der Hand. Dafür käme ihr auch durchaus ein Erfolg der AfD zupass, käme sie so doch erstmals als einer von mehreren kleinen Koalitionspartnern in Bayern in Frage. Ob die Kanzlerin und ihre Entourage in der CDU-Parteiführung der CSU Erfolg wünscht, darf bezweifelt werden. Wäre dies nämlich der Fall, könnten Seehofer, Söder und Dobrindt ihr Vorgehen zum einen als Beweis dafür werten, dass national-konservative Wähler durch eine restriktive Asylpolitik von der AfD zurückzugewinnen sind. Es wäre der Beweis erbracht, dass sie mit ihrem Widerstand gegen die liberale Asylpolitik der Kanzlerin richtig liegen. Darüber hinaus könnten sie ihr Vorgehen als asylpolitisches Erfolgsmodell für alle Bundesländer präsentieren. Die bayerische Wende hin zu einer restriktiveren Asylpolitik müsste dann nicht nur die Kanzlerin als richtungsweisend akzeptieren, sondern auch all jene CDU-Politiker in den anderen Bundesländern, die aus Überzeugung oder aus Rücksichtnahme auf ihre Koalitionspartner an der bisherigen liberalen Asylpolitik festhalten wollen. Verliert die CSU hingegen ihre absolute Mehrheit, werden ihre Gegner dies ihrem restriktiveren Vorgehen zuschreiben und eine Rückkehr zu einer liberalen Asylpolitik nach dem Geschmack der Kanzlerin fordern. Nicht nur in Bayern, sondern bundesweit käme die inzwischen eingeleitete asylpolitische Wende wieder zum Stillstand.