Tichys Einblick
Preis politischer Korrektheit

Weiche Werte, harte Konsequenzen

Clan-Mitglieder schlagen und treten auf Polizisten ein, immer wieder. Wie konnte es dazu kommen? Es ist Preis und Folge politischer Korrektheit, des rotgrünen, leugnenden Wegschauens im Namen der »Toleranz«. Werden wir klüger werden?

imago Images

»Shishi-odoshi« bedeutet Hirschscheuche, und schreibt sich im Japanischen »鹿威し«. (Wenn Sie sich unter »Hirschscheuche« nichts vorstellen können, könnte man Filmkennern auch kurz erklären: Diese Bambus-Wasser-Wippe, die im Film Kill Bill akustisch den Kampf zwischen der Braut und O-Ren Ishii begleitet (YouTube-Link: eine kurze Aufnahme der Wasserwippe jener Szene – und nur der).

Das Shishi-odoshi ist ein ausgehöhltes Wasserrohr, das auf einer Achse als Wippe montiert ist. Das Shishi-odoshi wird von einer Wasserquelle beständig gefüllt, und wenn das Bambusrohr voll genug ist, dreht es sich an seiner Achse und das Wasser fließt aus. Das nun leere Bambusrohr kippt rasch zurück und schlägt auf einen Stein. Weil es nun leicht und flexibel ist, spring es ein klein wenig, und weil es ja nun leer ist, entsteht so der typische Klang, der die Hirsche verscheucht, und wie ein sehr langsamer, klingender Sekundenzeiger für das Vorüberschreiten der Zeit steht.

In diesen hypernervösen Tagen sehnt sich der ein oder andere Bürger ja nach der inneren Ruhe, für welche japanische Gärten stehen – doch diese sich füllenden und dann kippenden Bambusrohre, sie könnten auch noch etwas sehr anderes symbolisieren.

Spannend, spannend!

Auf der Website polizeibewerbung.nrw.de lesen wir aktuell einige markante Schlagworte zur Arbeit als Polizist. »Tägliche Herausforderung« steht da, »Spannende Einsätze«, und auch »Spannender Alltag«.

Ja, spannend kommt aktuell im Slider zweimal vor – ich bin gespannt, was damit gemeint sein könnte!

Aus Troisdorf lesen wir heute von Blut auf dem Supermarktboden – es ist das Blut eines Polizisten. Manche Menschen spucken beim Reden ein wenig, besonders wenn sie aufgeregt sind, manche gestikulieren. Und dann gibt es den »Osteuropäer«, so lesen wir in bild.de, 11.5.2020, der aufgeregt einem Polizisten die Nase bricht, als diese über das Tragen von Masken und Ausweispflicht debattieren, und sich doch nicht einig werden. (Das deutsche Rechtssystem ist immer wieder aufs Neue »spannend« – wir lesen: »Die beiden Tatverdächtigen mussten nach Abschluss der polizeilichen Maßnahmen entlassen werden, da keine Haftgründe gegen sie vorlagen.« – Muss man es noch kommentieren?)

Aus Essen hören wir derweil von einem Gerichtsverfahren gegen Clan-Mitglieder, die sich ein wenig mit der Polizei gerangelt hatten, und mit »gerangelt« meine ich: Man hat der Polizei praktisch erklärt, wer nach Meinung des Clans der wirkliche Chef im Land ist. Wir lesen (bild.de, 11.5.2020) von Abdulla E., der einer Polizistin ein Bein stellte. Wir lesen von Mahmoud E., welcher der Polizistin Judith S. »mit voller Wucht in den Unterleib getreten« haben soll und einem am Boden liegenden Polizisten »mit Anlauf gegen den Kopf«.

Und wie geht es Deutschland sonst so? Dank Lockdown stehen zwei Millionen Menschen vor dem Ruin, so sagt die Schlagzeile von welt.de, 12.5.2020, und man sollte nicht selbst »vor dem Ruin« stehen, wenn man es lesen will, denn der Text wird hinter Bezahlmauer gefangen gehalten (vielleicht steht im Text ja, ob und wie viele Clanmitglieder unter denen sind, die um ihre Existenz fürchten). Einige Polizisten können es lesen, vermute ich, denn laut dem NRW-Polizeibewerberwerber bietet die Arbeit als Polizist nicht nur spannenden Alltag und spannende Einsätze, sondern auch ein »gesichertes Einkommen«.

Hier heraus zu kommen

Mitte April 2020 schrieb ich »Von Höflichkeit und Vernunft«, und die in jenem Titel codierten These und Mahnung will ich weiterdenken: Einige unserer drängenden harten Probleme haben weiche Ursachen (wozu auch deren Mangel gehören kann!) – und der einzige Weg aus dieser Bredouille heraus wird eine Reihe »weicher« Schritte sein.

Eine gesellschaftliche Situation, in der Clan-Mitglieder und Gastbürger sich sicher fühlen, Polizisten blutig schlagen zu können, entsteht nicht plötzlich und ohne Vorlauf. Parallelgesellschaften entstanden und entstehen im blinden Fleck sogenannter »politischer Korrektheit«, die ja nichts anderes ist als ein mit charismatischer, ökonomischer und stellenweise auch staatlicher Gewalt durchgesetzte Pflicht zum Ignorieren der sozialen Bruchstellen, an denen es auch mal, sagen wir: »spannend« wird.

Es sind weiche Ursachen, die hierher geführt haben – und es sind andere weiche Eigenschaften, deren Mangel uns davon abhält, hier heraus zu kommen.

Clan-Mitglieder, welche die Polizei angreifen, haben sie denn nicht Brüder-im-Geiste in den Linksextremen und Antifa-Schlägern, welche von Politik und Journalisten gehätschelt werden? – Randnotiz: In Städten quer durch Deutschland protestieren dieser Tage tausende Menschen gegen den Corona-Lockdown. Wie ich im Essay vom 10.5.2020 notierte: Während ich in der Sache nicht zustimme und weiterhin im Lager der Vorsichtigen nicht-kämpfe, wird fast jeder, der gegen diese Regierung protestiert, einen Platz in meinem Herzen haben. Doch, über die Proteste ließe sich mehr sagen als nur ungefähre Sympathiebekundungen!

Seit nun Jahrzehnten ist es linksgrüne deutsche Staatsphilosophie, dass Wahrheit gefühlt wird, nicht an Fakten geprüft. Die radikalen unter den Anti-Lockdown-Protestierern, die prügelnden Clan-Mitglieder, gegen Abweichler hetzende Staatsfunker und natürlich Politiker, die zu meinen scheinen, für sie würden natürlich nicht die drakonischen Regeln gelten, die sie anderen auferlegen (siehe auch Essay vom 2.5.2020), all diese Leute folgen doch der linksgrünen Doktrin, dass wahr und moralisch sei, was sich in dem Moment im Bauch gut anfühlt.

Ein oder zwei Liter

Die japanische Hirschscheuche fasziniert uns ja nicht nur durch ihr rhythmisches, hallendes Klacken, welches der Stille des Gartens eine Struktur verleiht. Es ist ein dünner, schwacher Wasserstrom, der das Bambusrohr füllt. Kein einziger der vielen Tropfen könnte allein die Wippe zu umkippen bewegen, doch lass die kleinen Tropfen nur lang genug laufen, und es kommt der Punkt, da ist das Shishi-odoshi voll, es kippt um, ein oder zwei Liter Wasser laufen aus, das Bambusrohr schlägt dann zurück und sein Klang hallt durch den Garten.

Die Clan-Gewalt und andere aktuelle Felder der »Spannung« sind nicht über Nacht entstanden. Das politisch korrekte Wegschauen ist wie das Wasser, das in die Hirschscheuche läuft – das Prügeln ist der Moment, an dem es umkippt.

Wieder hinaus

Es waren weiche, vermeintlich »gute« Eigenschaften, die uns hierher brachten. Es werden andere »weiche« Eigenschaften sein, die uns wieder hinaus bringen – so wir überhaupt hinaus kommen.

Der Weg hieraus wird Eigenschaften und Werte notwendig machen, die Linken, Lügnern und Staatsfunkern verhasst sein könnten, etwa die Rückbesinnung auf Realitätssinn, begründbare Moral, Verantwortung der Nation für sich selbst und kluge Höflichkeit.

Wir können uns nicht aussuchen, ob die Zeit weiterläuft.

Wir können uns nicht aussuchen, ob die Taten von Gestern die Ereignisse von heute bestimmen.

Wir können uns aber aussuchen, ob wir heute klug handeln, ob wir heute den klugen Mittelweg wählen.

Wir können uns heute aussuchen, uns schon heute davor zu schützen, wenn morgen das große Bambusrohr kippen sollte – denn dann könnte es wirklich »spannend« werden.


Dieser Beitrag erschien zuerst auf dushanwegner.com

Dushan Wegner (geb. 1974 in Tschechien, Mag. Philosophie 2008 in Köln) pendelt als Publizist zwischen Berlin, Bayern und den Kanaren. In seinem Buch „Relevante Strukturen“ erklärt Wegner, wie er ethische Vorhersagen trifft und warum Glück immer Ordnung braucht.

Anzeige
Die mobile Version verlassen