Tichys Einblick
Wasserstoff statt Kohlendioxid?

Wasserstoff soll Allheilmittel sein – und subventioniert werden wie Windräder

Im Zuge der Dekarbonisierung setzt die Ampel auf grünen Wasserstoff. Dabei gibt es Warnungen: Weil Wasserstoff die Zusammensetzung der Atmosphäre verändert, könnte die Klimawirkung sehr viel gravierender sein als die durch Kohlendioxid. Geprüft wird das nicht, lieber subventioniert die Ampel die Wasserstoffindustrie mit Milliarden Steuergeldern.

Air Liquide, Wasserstoff LKW Transporter, Düsseldorf, 19.10.2022

IMAGO / Michael Gstettenbauer

Es ist ein einfacher Dreischritt: Weil man erstens glaubt, dass allein das CO2 die Erderwärmung in einem Maße vorantreibt, dass wir bald alle mit und auf der Erde verglühen werden, deshalb zweitens das CO2 bekämpft, also Deutschland, an dem klimapolitisch die Welt genesen wird, „dekarbonisiert“ werden muss, ist es drittens notwendig, Kohlendioxid durch grünen Wasserstoff zu ersetzen.

Ein zweiter Dreischritt lautet: Die Dekarbonisierung der Industrie, aber auch der Gesellschaft, wird erstens zum Haupttreiber grüner Energiepolitik, und grüne Energiepolitik kann deshalb zweitens zum Haupthebel für die große Transformation, das heißt wirtschaftlich für die Umwandlung der Sozialen Markwirtschaft in eine asoziale Kommandowirtschaft werden – statt freier Wettbewerb wird Planwirtschaft herrschen – wodurch drittens politisch die Umwandlung der freiheitlich-demokratischen Grundordnung in die Gemeinwohldiktatur gelingt, in der die Freiheit des Bürgers durch die verpflichtende sowie stets und ständig zu dokumentierende woke Gesinnung regiert.

Woke Gesinnung zwingt alle Bürger, die nicht länger Bürger, sondern Gemeinwohlklienten sind, zur woken Lebensführung. Und sie muss es auch, weil sie den eintretenden Mangel zur Tugend zu erklären hat.

Klimaneutralität als neuer Klimakolonialismus
Habecks grüne Wasserstoff-Träume in Namibia
Zu den Treibern dieser Entwicklung gehört also die neue, grüne Wasserstoffindustrie, für die von der Ampel Milliarden deutscher Steuergelder in Deutschland und in aller Welt ausgegeben werden, so beispielsweise letztens 10 Milliarden Euro für die Vernichtung von Natur und Arten in einem Nationalpark in Namibia. Doch den Grünen geht es weder um Artenschutz noch um die Natur, sie haben etwas viel Besseres: den hoch abstrakten und deshalb wie ein Glaubensdogma leicht zur unumstößlichen Erst- und Letztbegründung zu erhebenden Grundsatz des „Klimaschutzes“. Klimaschutz ist so abstrakt wie der Kommunismus abstrakt war. An den hoch abstrakten Klimaschutz kann man alles, jede Utopie, jede Umbauphantasie binden.

Maoisten wissen das. Und sie wissen auch, wie Klimakampf in der Art des Klassenkampfes geht. Luisa Neubauer hatte bereits in einem Interview mit der taz 2019 klargestellt, dass es eigentlich nicht um „Klimaschutz“ geht: „Menschen, die sich mit der Klimafrage beschäftigen, stellen irgendwann auch die kapitalistische Wirtschaftsweise infrage.“ Prägnanter kann man nicht formulieren, worum es beim „Klimaschutz“ eigentlich geht. Wäre die „Dekarbonisierung“ nur ein ideologisches Projekt, würden die Grünen nicht über die enorme Macht verfügen, die große Transformation durchzupeitschen. In Wahrheit ist sie außerdem ein Milliarden-, wenn nicht ein Billionengeschäft für Hedge Fonds, Unternehmensberatungen und Investmentbanken.

Während die Grünen eine neue Gesellschaft, neue Märkte, neue Wertschöpfungsketten erschaffen wollen, die in eine neue, für alle verpflichtenden Art zu leben, führen, will die globale Finanzindustrie eigentlich nur verdienen, uneigentlich allerdings sehr viel – und besser und leichter als in der Dekarbonisierungs-Blase kann man derzeit keine märchenhafteren Profite erzielen. Man fühlt sich am Ende doch an Karl Marx erinnert, der in einer Fußnote des 1. Bandes des Kapitals angemerkt hatte: „Das Kapital hat einen horror vor Abwesenheit von Profit, oder sehr kleinem Profit, wie die Natur vor der Leere. Mit entsprechendem Profit wird Kapital kühn. Zehn Procent sicher, und man kann es überall anwenden; 20 Procent, es wird lebhaft; 50 Procent, positiv waghalsig; für 100 Procent stampft es alle menschlichen Gesetze unter seinen Fuss; 300 Procent, und es existirt kein Verbrechen, das es nicht riskirt, selbst auf Gefahr des Galgens.“ Wir reden über mindestens 300 Prozent Profit, denn der sogenannte Klimaschutz ist die vielleicht größte legale Umverteilung von Vermögen in der Geschichte der Menschheit.

Die Beschreibung von Karl Marx trifft insofern zu, dass der eingangs skizzierte Dreischritt eben nicht stimmt, weil er von falschen Voraussetzungen ausgeht. Andrea Lübcke von der Deutschen Akademie der Technikwissenschaften (Acatech) gibt zu bedenken: „Wasserstoff hat zwar keine direkte Klimawirkung. Weil Wasserstoff aber die Zusammensetzung der Atmosphäre verändert, hat er eine indirekte Klimawirkung.“ Und die kann sehr viel gravierender sein. Weil der Wasserstoff mit Hydroxid-Molekülen in der Atmosphäre reagiert und zu Wasser wird, fehlt es schließlich in der Atmosphäre an Hydroxid, das aber für die notwendigen Reaktionen zum Abbau von Treibhausgasen sorgt.

Auch das extrem klimaschädliche Methan wird viel langsamer abgebaut und der Ozongehalt in der Atmosphäre steigt. Lübcke kommt zu dem schockierenden Schluss: „Die indirekte Klimawirkung von Wasserstoff ist auf einen Zeitraum von 20 Jahren um den Faktor 33 höher als die Klimawirkung von Kohlendioxid.“ Nicht nur, dass die Auswirkungen von Wasserstoff auf die Atmosphäre noch nicht wirklich untersucht sind, so bedarf es nicht einmal einer Havarie, dass Wasserstoff in die Atmosphäre entweicht. Es genügen die Lecks in den Gasleitungen.

Der Chef der US-Umweltschutzorganisation Environmental Defense Fund (EDF), Fred Krupp, fühlt sich in der Frage des Austritts von Wasserstoff an das Methan-Problem der Ölindustrie erinnert: „Als wir angefangen haben, am Thema Methan zu arbeiten, haben uns die Ölkonzerne gesagt, dass ihre Systeme so konstruiert seien, dass es keine Lecks gibt. Sie waren sich so sicher, dass sie uns erlaubt haben, an ihren Anlagen Messungen durchzuführen.“ Krupp schätzt ein: „Man kann zwar große Lecks entdecken, die ein Explosionsrisiko darstellen“, aber eben „nicht die vielen kleinen Lecks, die in der Gesamtheit die Erderwärmung verschlimmern könnten.“ Forscher der Columbia-Universität resümieren, dass niemand weiß, wann und wo wie viel Wasserstoff austritt.

Würden also die Betreiber von Wasserstoffanlagen auch Messungen von wirklich unabhängigen Institutionen erlauben? Daran darf zumindest gezweifelt werden, zumal die Betreiber inzwischen „grün“ sind und mithin auf der gleichen Seite zu stehen scheinen, auf der die Grünen sich befinden. Es ginge ja dann nicht mehr gegen die böse Ölindustrie wie beim Methan, sondern gegen die gute Wasserstoffindustrie wie beim grünen Wasserstoff. Dass anscheinend kein großes Interesse aus dem grünen Umweltministerium oder aus dem grünen Wirtschaftsministerium oder aus Teilen der Industrie besteht, das Mega-Problem zu untersuchen, liegt auf der Hand. Weil Kohlendioxid zum Teufel erklärt worden ist und die Wasserstoff-Utopie das Mittel zur großen Transformation ist, könnte man versucht sein zu vermeiden, dort genauer hinzuschauen. Offensichtlich will man den, wenn überhaupt, kleinen Beelzebub Kohlendioxid durch den großen Teufel Wasserstoff austreiben.

Demensprechend wiegelt der Deutsche Verein des Gas- und Wasserfaches (DVGW) ab: „Der DVGW hat den leitungsgebundenen Transport und die Verteilung von Wasserstoff mittlerweile eingehend untersucht – mit guten Ergebnissen für den Neubau von Netzen und die Umstellung bestehender Netze.“ Kein Problem also, das Gasnetz wird zum Wasserstoffnetz umgebaut und alle Probleme sind technisch lösbar. Das Ziel der Forschung, die der DVGW unterstützt, definiert der Verein wie aus dem Lehrbuch grüner Klimaideologie abgeschrieben wie folgt: „Mit Forschung und Innovation unterstützt der DVGW seit vielen Jahren die Energiebranche auf dem Weg zur Klimaneutralität. Ziel ist es, das Energiewendepotenzial klimaneutraler Gase zu nutzen, ihre Erzeugung und Verwendung zu fördern und den Wert der Gasinfrastrukturen dauerhaft zu erhalten. Denn so lassen sich die Klimaziele und die gesetzlichen Vorgaben zur Reduktion von Treibhausgas-Emissionen bis 2045 erreichen.“ Unter klimaneutrales Gas versteht die DVGW selbstredend grünen Wasserstoff. Nach diesen Formulierungen steht zumindest in Frage: Welche Forschungen unterstützt ein Verein, der das Energiewendepotenzial klimaneutraler Gase nutzen will, und welche nicht?

Man könnte einwenden, dass die bestens bekannten Probleme beim Methan immer noch nicht gelöst sind. Und was die Lösbarkeit der Probleme beim Umbau der Leitungen zum Transport von Wasserstoff betrifft, melden Fachleute erhebliche Zweifel an. Robert Habeck erweckt den Eindruck, vielleicht glaubt er auch selbst daran, dass die Erdgasleitungen einfach für den Transport von Wasserstoff genutzt oder dass die Gaskraftwerke von Heute auf Morgen mit Wasserstoff betrieben werden können. Fachleute sind sich hingegen sicher, dass das Erdgasnetz nicht einfach zum Wasserstoffnetz erklärt werden kann.

Möglich ist jedenfalls, dass es dennoch gemacht wird und man die gesamte Medienmacht nutzt, die sogenannte „Wissenschaft“, Wissenschaftsfunktionäre also, die immer antreten müssen, wenn es darum geht, Wissenschaft auszuhebeln, um das gravierende Problem der Leckagen und der Klimaschädlichkeit von Wasserstoff, die die von Kohlendioxid bei Weitem übertrifft, zu verdrängen, einfach wegzuschwurbeln, wie man es bereits in der Pandemie beobachten konnte. Auch die Klimaneutralität hat ihre Drostens.

So könnten objektive Untersuchungen über die Klima- und Umweltschädlichkeit von Windrädern und Photovoltaikflächen verhindert oder, wenn sie nicht zu verhindern sind, kleingeredet und diffamiert werden, denn schließlich geht es für die einen um die große Transformation zur Gemeinwohldiktatur und für die anderen um das ganz große Klimageschäft, und wenn darüber die Umwelt oder das Klima zum Teufel geht, was kümmert es die Grünen und die globale Finanzindustrie, über die Karl Marx schon so treffend geschrieben hat.


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