Irgendwie leuchten sie auf im täglichen Nachrichteneinerlei. Es geht um Ergebnisse aus Studien oder Umfragen, die mitunter mehr auffallen als die Nachricht „Mann beißt Hund“. Das liegt auch daran, dass darin oft Botschaften versteckt sind, mit denen gezielt Stimmung gemacht und eine Richtung vorgegeben werden soll und die sich für den Stammtisch eignen. Andere wiederum tun so, als würden sie epochal Neues verkünden, beinhalten in Wahrheit aber lediglich einen sich längst abzeichnenden Trend. Wie etwa diese Nachricht: „Der Trend zur Elektromobilität leitet einen Umbruch für die gesamte Autobranche ein“, lautete eine Meldung im ausgehenden Sommer 2021.
Das ist so „neu“ wie die Tatsache, dass es jeden Morgen hell wird. Klar, es findet eine deutliche Veränderung statt in dem Geschäft mit der Mobilität. Aber das war schon 1886 so, als mit dem ersten Auto der Welt, dem Benz-Motorwagen, eine komplette Umkrempelung des Verkehrssektors in Gang kam und sich nach und nach die Pferdekutschenbetreiber entweder umstellen mussten oder daran bankrott gingen. Weil die Erkenntnis auf einer Studie des renommierten Beratungsunternehmens Deloitte fußt, fand sie ihren Weg dennoch in die Öffentlichkeit.
Warum das in Zeiten der täglichen Newslawine normal ist, lässt sich leicht erklären: Studien- oder Umfrageergebnisse besitzen einen wissenschaftlichen und damit irgendwie erhellenden Charme, der sogleich auf das Medien-Transportband gelegt wird. Auch, wenn bei Licht betrachtet, oftmals weder ein Mehrwert besteht noch saubere Wissenschaftlichkeit die Grundlage ist. Längst ist es Mode, über diese Schiene Botschaften unters Volk zu bringen. Inzwischen ist daraus sogar eine Art Industrie erwachsen, die auf diese Weise Geld verdient. Auch durch staatliche Förderung. Wie Pilze nach einem starken Regen sind Umfrage-, Forschungs- oder Beratungsinstitute in den letzten Jahren aus dem Boden geschossen, die wie auch immer geartete Untersuchungsergebnisse aus verschiedenen Fachgebieten massenhaft auf den Nachrichtenmarkt werfen.
Wobei es vor allem auf die Etiketten „Studie“ oder „Umfrage“ ankommt. Denn damit soll der Eindruck einer angeblich unzweifelhaften Wissenschaftlichkeit des Ergebnisses erweckt werden. Bei genauer Betrachtung kann man allerdings hier und da Zweifel bekommen. Eine Studie, die privat finanziert wird, verfolgt meist ein klares Ziel: Aufmerksamkeit zu erzeugen. Unseriös muss sie deswegen zwar nicht sein. Auch sind gesponserte Studien methodisch nicht unbedingt schlechter gemacht als nicht gesponserte, wie Analysen zeigen, zumal beispielsweise Pharmafirmen ganze Abteilungen beschäftigen, die sich nur um die Methodik kümmern. Trotzdem kommen gesponsorte Studien tendenziell häufiger zu positiven Resultaten*. Beispielsweise wurde 2015 in den OECD-Ländern die Forschung und deren Ergebnisse zu rund 68 Prozent über Industriefirmen finanziert. 18 Prozent kamen von Universitäten und elf Prozent wurden staatlich bezahlt. Nur zweieinhalb Prozent entfielen auf gemeinnützige Organisationen.
Gründe, warum solchen Arbeiten mitunter nicht zu trauen ist oder mit welcher Absicht sie durchgeführt und veröffentlicht werden, gibt es genug:
- Weil es für die Finanzierung in vielen Fällen staatliche Zuschüsse gibt, die man gleich welches Ergebnis — abgreifen will. Wahrscheinlichkeit: hoch.
- Weil tatsächlich oder auch nur scheinbar repräsentative Ergebnisse von Umfragen Trends/Mehrheiten aufzeigen oder verstärken sollen. Wahrscheinlichkeit: hoch.
- Weil sich Institutionen verpflichtet haben, eine bestimmte Anzahl von Studien pro Jahr zu erzeugen und zu veröffentlichen. Nicht selten fehlt gegen Jahresende noch die eine oder andere, weswegen sich auf die Schnelle ein Studien- oder Umfragethema ausgedacht wird, um die an die Veröffentlichungszahl gebundene staatliche Förderung zu erhalten. Geschieht das nicht, besteht das Risiko, dass diese Bezuschussung reduziert oder gestrichen werden könnte. Wahrscheinlichkeit: hoch.
- Weil der jeweilige Auftraggeber mit den Ergebnissen aus Selbstdarstellungsgründen in die Medien will, um Aktivität zu dokumentieren, Aufmerksamkeit zu bekommen und überdies in irgendeine Richtung Stimmung zu machen. Wahrscheinlichkeit: hoch.
- Weil mit den Ergebnissen von Umfragen oder Studien insbesondere in Wahlkampfzeiten politische oder wirtschaftliche Einflussnahme erreicht werden soll. Wahrscheinlichkeit: sehr hoch.
- Weil mit Hilfe einer unvoreingenommen Tiefen-Analyse eines Sachverhaltes die objektive Wahrheit herausgefunden werden soll. Wahrscheinlichkeit: kommt vor.
- Oder eine Mischung aus den genannten Gründen. Wahrscheinlichkeit: unklar.
Will etwa ein Unternehmen aus der erwähnten Pharmabranche ein neues Medikament auf den Markt bringen, zum Beispiel einen Blutdruck- oder Cholesterinsenker, dann geschieht es immer wieder, dass mit Hilfe von tatsächlich oder nur scheinbar glaubwürdigen Studienergebnissen möglichst renommierter Institute der Eindruck entstehen soll, dass der „gesunde“ Blutdruckwert nach „neuesten Erkenntnissen“ der Uni XY auf den Wert Z gesenkt werden muss. Klar, dass dies nur mit dem neuen Medikament erreicht werden kann. Nicht selten werden auch niedergelassene Ärzte aufgefordert, ihre Patienten dazu zu befragen – als Gegenleistung für den Arzt oder die Ärztin gibt es dann schon mal einen verlockenden Wochenendtrip mit dem Partner oder der Partnerin in eine attraktive Metropole oder ein wertvolles Geschenk.
Auch die Methodik der Fragestellung spielt keine kleine Rolle. Es gibt eine Reihe von Tricks, die Auftraggeber – sowohl staatliche wie private – anwenden, um ein Studienresultat zu beeinflussen. Dies passiert bei weiten nicht bei allen Studien – ist aber möglich. Die Schweizer Agentur „Scitec Media“ in Winterthur hat 2019 zusammengestellt, wie mitunter bei Befragungen/Studien vorgegangen wird:
Es werden Fragen gestellt, deren Antwort nur Ja sein kann. Zum Beispiel: Nehme ich ab, wenn ich weniger esse? Natürlich! Es werden minderwertige Vergleichsprodukte ausgewählt und dargestellt, um wahrscheinlicher zu machen, dass die eigenen Produkte besser abschneiden. Es werden nicht repräsentative Stichproben mit zielgenau ausgesuchten Teilnehmern verwendet. Zum Beispiel: Für eine Diät werden nur Leute untersucht, die sowieso schnell abnehmen. Wenn sie das Gewünschte erbringt, wird die Studie oft mehrmals publiziert: Zuerst mit Einzelergebnissen zu wenigen Fragestellungen und dann als Übersicht über das gesamte Thema.
Ein Auftraggeber veranlasst solche Überblicksstudien nur solange, solange es nicht zuwiderlaufende Studien gibt. Ein Getränkehersteller würde also beispielsweise einen Überblick anfertigen lassen, wenn der Großteil der bisher veröffentlichten Studien zum Schluss kommt, dass ihr Süssgetränk nicht dick macht. Andernfalls natürlich nicht.
Studien benutzen auch die Sprache, um zu verschleiern. So geben sie zum Beispiel der Kurzzusammenfassung oft einen positiven Dreh, obwohl ein negatives Resultat herausgekommen ist.
Ob gewollt oder ungewollt, Vater Staat fördert mindestens zum Teil dieses Studien- und Umfrage-Unwesen sowie die damit oftmals auch verbundene politisch/ideologische Instrumentalisierung der Ergebnisse. Zum Beispiel beim Reizthema Klima. Allein 812 Millionen Euro hat die Bundesregierung 2020 für den Forschungsbereich Klima, Umwelt und Nachhaltigkeit spendiert. Davon wurden allein 639 Millionen Euro an die „hochschulfreie Forschung“ (Zitat), 115 Millionen Euro an Hochschulen, 46 Millionen Euro an die forschende Wirtschaft und elf Millionen Euro an sonstige Forschungseinrichtungen verteilt. Das geht aus dem „Förderkatalog“** der Bundesregierung vom September 2021 hervor. Interessant wäre, zu erfahren, wie viel Steuergeld davon alleine als eine Art Prämie dafür gezahlt wurde, dass die Studienergebnisse veröffentlicht wurden. Dazu steht leider nichts in der Zusammenstellung. Ein dicker Batzen entfiel auch auf den Forschungsbereich Informations- und Kommunikationstechnologien, der 2020 vom Staat mit 629 Millionen Euro unterstützt wurde. Die Suche nach Verbesserung der allgemeinen Arbeitsbedingungen hingegen war der Bundesregierung nur einen Forschungzuschuss von 62,6 Millionen Euro wert. Unterm Strich hat der Staat letztes Jahr 19,5 Milliarden Euro über alle Wissenschaftsdisziplinen hinweg für Forschungsunterstützung ausgeschüttet.
Weil die Ergebnisse solcher Studien oder Umfragen für die Medien zumeist kostenlos sind, werden sie rasch und vor allem oft ungeprüft verbreitet. Es gibt zahlreiche Beispiele dafür, dass nur in seltenen Fällen nachgehakt wird und wurde, wer der Auftraggeber und/oder der Finanzier ist. Zu allermeist bedeutet das nicht nur Arbeit, sondern sollte sich zudem herausstellen, dass mit der Studie etwa politische Absichten verfolgt werden, verlöre man womöglich eine peppige Nachricht. Das ist vielfach nicht gewollt. Der mitunter sehr eigenwillige Umgang mit Zahlen sticht dabei besonders hervor. Hat sich zu einer Frage die Sachlage stark verändert, dann bleiben konkrete Zahlen oftmals unerwähnt, sondern es werden stattdessen Prozentangaben gemacht. Etwa bei der Diskussion um ein nötiges Tempolimit wegen Raserei. Hat sich beispielsweise auf einem Teilstück des Autobahnnetzes die Unfallzahl verdoppelt, dann ist oft die Rede davon, dass sich die Unfallquote dort um 100 Prozent erhöht hat. 100 Prozent mehr! Das macht Eindruck und entsetzt viele. Dass dies allerdings sowohl eine Verdopplung von eins auf zwei wie auch von 1 000 auf 2 000 bedeuten kann, wird verschwiegen. Denn eine Erhöhung um 100 Prozent klingt dramatischer und ist damit eine Nachricht.
Und weil die Mehrheit der Bürger die Wahrheit solcher Inhalte weder überprüfen kann noch will oder auch weil kritisches Nachdenken anstrengend ist und süffige Schlagzeilen dazu stattdessen einfach zu konsumieren sind, setzen sich diese Nachrichten in den Köpfen fest. Je öfter sie eingehämmert werden, desto „wahrer“ werden die Botschaften. Schließlich bürgt der Absender ja mit einem klangvollen Namen. So entstehen Trends, die in Wahrheit keine sind, deren vermeintliche Richtigkeit sich aber immer weiter verfestigt, je mehr darüber berichtet und geredet wird.
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