Es ist eine poetische, kleine Gelegenheitsgeschichte, die wir aus Hannover hören: Ein Einbrecher dringt in eine Wohngemeinschaft ein, schält Kartoffeln und kocht sich ein Essen. Er bedient sich an Würstchen, Toast, Fischstäbchen und Himbeerlikör (siehe welt.de, 12.10.2019). Die übrigen Eingeborenen der Wohngemeinschaft halten ihn für einen Gast bei einem von ihnen, und erst allmählich wird ihnen klar, dass der 49-jährige Rumäne eben ein Eindringling ist. Basisdemokratisch, wie man in solchen Einrichtungen ist, stimmt man ab, und ruft dann doch die Polizei. Ist es nicht rassistisch, die Polizei zu rufen, nur weil ein ausländischer Mitmensch hungrig ist? Nun, wenn es um den eigenen Himbeerlikör geht, ist wohl schnell Schluss mit der Toleranz.
Ich mag diese »kleine« Einbrechergeschichte aus Hannover, dem Geburtsort von kulturell-ethischen Größen wie Der Spiegel (deutsches Fachblatt für Wahrheit, 1947 in Hannover gegründet) oder Annalena Baerbock (deutsche Trampolinspringerin, 33 Jahre später ebendort geboren). Ich mag an dieser Geschichte, wie glimpflich sie ausgeht – und wenn ich aufgrund aller Lebenserfahrung (oder wie man sagt, wenn einem die Erfahrung nicht passt: aufgrund meiner »Vorurteile«) einmal davon ausgehe, dass in jener Wohngemeinschaft ein linksgrüner Zeitgeist vorherrscht, dann bin ich extra amüsiert darüber, dass sie sich, so der Bericht, schließlich dazu durchrangen, die harte Hand des Rechtsstaats gegen den kartoffelschälenden Ausländer anzuwenden. (Es erinnert mich auch an die Geschichte jener Frau, die in ein Haus eindrang, um etwas Normalität zu spüren, was es sie auch kosten würde: »Ich will doch nur den Hund streicheln und das Geschirr spülen«)
Welches Vaterland?
In den meisten aktuellen Umfragen zur Bundestagswahl stehen die Grünen auf Platz zwei hinter der Merkel-Partei; jene liegt je nach Institut zwischen 26% (Yougov, 3.10.2019) und 28% (Emnid, 12.10.2019), die Grünen aktuell bei 21% (Emnid, 12.10.2019; INSA, 8.10.2019) bis 24% (Infratest dimap, 10.10.2019) – Angaben via wahlrecht.de, Stand 14.10.2019, gegen Mittag.
Dass die CDU trotz Merkels evidentem Zerstörungswerk noch immer auf Platz 1 in der Wählergunst liegt (wenn auch weit von den 50,2% von 1957 oder den 41,5% von 2013 entfernt), liegt auch daran, dass sie postmodern auftritt, und mit »postmodern« meine ich hier: Sie blinkt in alle Richtungen, und fährt dann doch immer nur, je nach Deutung, nach links – oder gen Fernost. CDU-Wähler teilen sich heute in die eine Gruppe, die einfach nicht gelernt hat, auf die tatsächliche Fahrtrichtung statt auf das Blinken zu schauen – und in die, die einfach immer CDU wählen werden. (These: Wer tatsächlich die Politik der Merkel-CDU will, der wählt die Grünen.)
Die Jugendorganisationen der Parteien haben die Eigenschaft, der Öffentlichkeit vorzuführen, wer die Partei wirklich sein möchte. Als Beispiel: Vor einiger Zeit brauste die Debatte auf (auch bei mir), als der Juso-Chef einen weiteren Sozialismus-Versuch forderte – wie käme man auch darauf, dass sich bei der »Arbeitsgemeinschaft der Jungsozialistinnen und Jungsozialisten in der SPD« (wofür »Jusos« steht) tatsächlich Sozialisten herumtreiben?
Am vergangenen Wochenende versammelte sich die Sahneschicht dessen, was sich bei der »Christlich« »Demokratischen« »Union« für »jung« hält, zum »Deutschlandtag«. Unter anderen weißen Männern verschiedener Jugendgrade sprach der CDU-Generalsekretär Paul Ziemiak. Er kramte einen alten Satz des Grünen Chefs und Staatsfunk-Darlings Robert Habeck hervor: »Patriotismus, Vaterlandsliebe also, fand ich stets zum Kotzen. Ich wusste mit Deutschland nichts anzufangen und weiß es bis heute nicht.« (zitiert nach welt.de, 13.10.2019)
Ziemiak echauffierte sich so künstlich wie überdreht:
»So jemand darf nie Verantwortung für dieses Land bekommen und in einem Parlament sitzen! Wie soll man den Grünen dieses Land anvertrauen, wenn sie mit diesem Land nichts anzufangen wissen und immer kotzen, wenn sie patriotische Symbole sehen?« (Paul Ziemiak über Robert Habeck, zitiert nach welt.de, 13.10.2019)
Ausgerechnet der CDU-Generalsekretär, also funktional Merkels Kampfdackel (einst nannte man Generalsekretäre »Kettenhunde«, doch das wäre hier lächerlich), der bellen soll, wenn es ihr selbst peinlich ist, wirft jemandem »mangelnde Vaterlandsliebe« vor?! Einfache Gegenfrage: Wie sollte man mit Politikern umgehen, welche die deutsche Flagge angeekelt fortwerfen oder das »National« aus »Nationalmannschaft« streichen? (bild.de, 9.6.2015: »Nationalteam heißt nur noch ›Die Mannschaft‹ – Der neue Name kommt von Merkel«) – Will der CDU-General wirklich darüber reden, welche körperlichen Reaktionen bei Politikern mit politischen Symbolen einhergehen, etwa beim Lied, in dem von »Einigkeit und Recht und Freiheit für das deutsche Vaterland« gesungen wird?
Wenn Merkels Kampfdackel die Vaterlandsliebe verteidigt, dann ist die Ironie so beißend, dass sie selbst schon einen Maulkorb tragen sollte. (Ganz unironisch wird derweil vom Sprecher der Grünen Jugend Niedersachsen kommentiert: »Natürlich kennen die Grünen Vaterlandsliebe! Wir kennen und verachten sie. #DLT19« – @dzienius, 12.10.2019/archiviert)
Wie sieht denn die »Vaterlandsliebe« der CDU konkret aus? Ein Zyniker würde antworten, dass es von der Frage abhängt, welches Land mit »Vaterland« gemeint ist.
Im Text »Deutschland trinkt, um zu vergessen, dass es trinkt« schrieb ich:
Nicht immer stärkt das Handeln der Regierung indirekt China – Deutschland zahlt Millionen Euro »Entwicklungshilfe« an China, um die chinesische Automobil-Konkurrenz zu fördern, siehe bild.de, 18.9.2019, und stärkt damit China ganz direkt.
Nun, es gibt neue Nachrichten. – Während Merkels Kampfdackel sich mit Geschwätz über Vaterlandsliebe lächerlich macht und der bayerische Wackeldackel eine ungedeckelte Einreisegarantie für junge Männer abgibt, gibt Merkel dem chinesischen Telekommunikationskonzern Huawei die Erlaubnis, Komponenten für den Ausbau des deutschen 5G-Netzes zu liefern (berichtet bild.de, 14.10.2019).
Merkels Entscheidungen, so könnte ein Zyniker polemisieren, unterscheiden sich eigentlich nur darin, ob sie China direkt oder indirekt nutzen – dass sie Deutschland schaden, das ist ihnen gemeinsam. Meine sarkastische Prognose ist, dass die Entscheidung damit begründet werden wird, dass China beim Kampf gegen »Hate Speech« helfen würde, schließlich sind sie da weltweit Vorreiter, wenn auch beim Kampf gegen Kritik an Religionen womöglich nicht ganz so rigoros wie Deutschland oder Großbritannien. (Bei der aktuellen Rate, mit der sich überspitzte Mahnungen als noch zu optimistisch erweisen, sollte ich mich vielleicht mit solchen sarkastischen Prognosen zurückhalten.)
Um Wahrheit und Fakten
Man kennt es ja aus dem Bundestag: Wenn Merkel oder ein anderer Minister seine aus Talking Points zusammengestöpselte Rede abgelesen hat, setzt er sich hin, zückt sein Smartphone, und daddelt rum, tweetet und facebooked – und manchmal spielen Politiker einfach nur Sudoku, um sich von offenbar langweiligen Debatten wie der um das Durchwinken der Griechenland-Milliarden abzulenken (spiegel.de, 29.2.2012: … »er spielte ausgerechnet im Deutschen Bundestag, ausgerechnet während der Debatte um die Griechenland-Milliarden, die im Zweifel aus seiner, Schäubles, Kasse kommen«).
Es wird wenig gedichtet und noch weniger gedacht, es wird empört und empfunden. Nicht ums bessere Argument, längst nicht mehr um Wahrheit und Fakten gerungen, und selbst die Debatte um die Zukunft wird ohne die Zukunft geführt, auf das Zeichen, das Symbol, die politisch korrekte Geste reduziert. Wer heute bei der Klima-Demo marschiert, der darf morgen mit dem CO2-spuckenden Flieger in die Ferne düsen, wer oft genug »Demokratie« und »Haltung« sagt, der darf auch die Telekommunikation in Chinas Hand legen.
Lehrer jammern über Kinder, die schlicht nicht mehr denken können, die nur noch auf Klickreize zu reagieren gelernt haben, doch inwiefern sind Politiker und Journalisten heute anders? Nachdenken ist Nischenprodukt, und wer will schon in Kauf nehmen, Nischenprodukt zu sein.
Die Triebsteuerung wird wieder überhöht, doch was für eine langweilige Variante des »make love not war« ist das heute! Ach, wenn sie doch nur wieder freie Liebe praktizieren würden, wilde Festivals, von denen man noch Jahrzehnte später erzählt. Aus dem Trieb zur freien Liebe wurde der Wunsch, für seinen hündischen Gehorsam geliebt zu werden.
Toleranz hin oder her
Die Geschichte vom Einbrecher, der lange nicht als solcher erkannt wird, sie ließe sich auf manche Art deuten.
Als Metapher betrachtet muss der Einbrecher ja nicht zwingend ein Mensch sein, er könnte ja auch für eine Idee stehen, für ein suizidales Weltbild, für einen Konzern, eine fremde Macht – oder schlicht für die Dummheit. (Zur Dummheit siehe auch »Es gibt kein Recht auf Dummheit« von 2016, oder etwa »Sind die dumm oder böse? Macht es überhaupt einen Unterschied?« von 2018.)
Im Bericht über die kuriose Begebenheit von Hannover lernen wir, dass die Wohngemeinschaftler irgendwann die Polizei riefen – soviel Ordnung muss sein, Toleranz hin oder her. Bei der Politik wird es schwer, »die Polizei zu rufen«. (Randnotiz: Es war eigentlich von der ersten Sekunde an klar, aber 2017 stellten sogar die Juristen des Wissenschaftlichen Dienstes des Bundestages fest, dass die Rechtgrundlage der Einreisegenehmigungen von 2015 »nicht geklärt« sei (so welt.de, 22.9.2017) – welche Polizei wollen Sie denn rufen? Welche Polizei wollen Sie anrufen, wenn die deutsche Telekommunikation von China installiert wird, und woher wissen Sie, wer alles bei Ihrem Anruf so mithört? Nein, nein – im Großen (und Ganzen) ist das alles (und noch viel mehr) ganz gewaltig schwieriger.
Auch weiterhin
Es ist wahr, dass es bei Autozulieferern derzeit knirscht (Beispiel: Schaeffler, 1.300 Arbeitsplätze, focus.de, 10.10.2019). Wenn man berücksichtigt, dass bei sportlicher Betätigung mehr CO2 ausgeatmet wird, dann sind auch die 400 freigestellten Arbeiter bei Kettcar-Hersteller Kettler ein gutes Signal für die Umwelt (focus.de, 14.10.2019). Doch, nicht alle Branchen fahren zurück!
Schon 2016 lasen wir: »Das Geschäft mit Einbruchschutz boomt (…) Lange wurde in Deutschland nicht so oft eingebrochen wie zuletzt. Die Menschen geben deshalb immer mehr Geld aus, um sich zu schützen« (haz.de, 6.6.2016).
Passt auf, wen ihr ins Haus lasst! Und so wie ihr darauf achtet, wer in euer Haus hineinkommt, achtet darauf, wen ihr Abend für Abend via TV in euer Wohnzimmer lasst. Der Staatsfunk muss nicht einbrechen, um euer Leben unschön zu machen. Das Geld holt sich der Staatsfunk zwangsweise, und ihr zahlt auch noch den Fernseher selbst, mit dem ihr ihn ins Haus lasst. Würdet ihr einen Dieb bei euch daheim wohnen lassen, nur weil er euch beraubt hat? Nun, denkt nochmal darüber nach, ob ihr die Glotze anmacht, damit sie euer Gehirn und das Gehirn eurer Familie frittiere.
Ich finde es ein wenig poetisch, das gebe ich gerne zu, wenn ein Rumäne einbricht, Kartoffeln schält und sich am Himbeerschnaps bedient. Sich Propagandisten und Staatsfunker ins Haus zu holen, das ist ganz und gar nicht poetisch! (Und wenn die Merkel-CDU von »Vaterlandsliebe« redet, ist es Hohn und Lächerlichkeit – einfach ausschalten.)
Es gilt auch weiterhin, heute mehr denn je: Prüfe alles, glaube wenig, denke selbst!
Dieser Beitrag erschien zuerst auf dushanwegner.com
Dushan Wegner (geb. 1974 in Tschechien, Mag. Philosophie 2008 in Köln) pendelt als Publizist zwischen Berlin, Bayern und den Kanaren. In seinem Buch „Relevante Strukturen“ erklärt Wegner, wie er ethische Vorhersagen trifft und warum Glück immer Ordnung braucht.