Wenn ein Satz in den letzten Wochen immer wieder durch Social Media geisterte, dann jene Frage, was denn nach Merkel käme. Nach jedem Beitrag, in dem die Veränderung, die Abkehr von der jetzigen Politik der Kanzlerin gefordert wird, fragt der gemeine Leser nach dem Danach und erhofft sich damit eine Antwort, die er selbst nicht hat. Fast 11 Jahre Merkel haben ihre Spuren hinterlassen. Als sie 2005 Bundeskanzlerin wurde, war ich selbst gerade 17 Jahre alt geworden. Tokio Hotel hatten ihren ersten Charterfolg und ich spielte als Komparse in ihrem neuen Video mit. Es war der Beginn einer Zeit, in der ich viel unterwegs war und eine Menge Menschen kennen lernte. Man ging zur Schule und hatte ansonsten nicht viel Sorgen. Zumindest keine politischen.
Und doch kann ich mich auch an Schröder erinnern. Das mag den großen politischen Umwälzungen jener Zeit geschuldet sein. Ich bin gerade so alt, dass ich mich bewusst an 9/11 erinnern kann, was ich rückblickend als entscheidenden Vorteil gegenüber jenen der jüngeren Generation werte, die zu jung dafür waren. 13 war ich da und ich weiß noch genau, wie mich mein Vater herunter ins Wohnzimmer rief. Selbst die Schweigeminute in der Schule am nächsten Tag habe ich noch vor Augen und Schröders darauf folgende Vertrauensfrage, die er mit dem Afghanistan-Einsatz verknüpfte. Ich erinnere mich an die Rekordarbeitslosenquote von 2005, an die Agenda 2010 und an Schröders „Also ich meine, wir müssen die Kirche doch mal im Dorf lassen.“ in der legendären Elefantenrunde nach der Bundestagswahl 2005, als er sich trotz verlorener Wahl als Sieger wähnte.
Nun, wie man sieht, war ich wirklich jung und wie für das Alter typisch allenfalls nur rudimentär politisch informiert. An Helmut Kohl kann ich mich noch viel weniger erinnern als an Schröder und dennoch, obgleich Angela Merkel Bundeskanzlerin ist, seitdem ich politisch denken kann, seitdem ich politisch interessiert und engagiert bin und obwohl ihre Partei die Erste war, die ich jemals wählte, als ich wählen durfte, fällt es mir nicht schwer, mir eine Zeit nach Angela Merkel vorzustellen. Was mir Angst macht, ist nicht das, was nach ihr kommen könnte. Es ist der Stillstand, der dieses Land seit Jahren fest im Griff hat und der sich als umso fataler in der Flüchtlingskrise erweist.
Ich könnte verstehen, wenn sich junge Menschen, die nie etwas anderes als Merkel und die CDU in abwechselnden Koalitionen erlebt haben, nach dem Danach fragen, welches sie nicht erahnen können, weil sie das Davor nicht kannten. Aber woher kommt die Unsicherheit, die regelrechte Angst bei all jenen, die die Zeit vor Merkel aktiv miterlebt haben? Die sich nicht nur an Schröder, sondern auch an Kohl und vielleicht sogar Schmidt und Brandt erinnern können? Was hat dafür gesorgt, dass wir uns so schwer damit tun, uns ein Deutschland mit einem anderen Kanzler, einer neuen Regierung vorzustellen?
Politiker ohne Format
Der sicherlich ausschlaggebendste Faktor ist, dass den heutigen Politikern das Format fehlt. Dass es eben keine Schröders, Schmidts, Strauß’, Wehners, Genschers und Co. mehr gibt. Dass ein großer Teil der Bevölkerung Angela Merkel nach all ihren Fehltritten (von der fehlenden Persönlichkeit einmal ganz abgesehen) immer noch für die beste Lösung hält, verrät weniger über die Qualitäten der Bundeskanzlerin als über ihre potenziellen Konkurrenten. Wer das alles besser könnte, schimpfte jemand neulich und bemühte wenig schmeichelhafte Vergleiche aus dem Tierreich. Wenn ich ein paar Minuten darüber nachdenke, komme ich nach allem, was sich Merkel nicht nur in den letzten Monaten, sondern auch in den Jahren davor geleistet hat, zu dem Schluss, dass das verständliche Verunglimpfungen sind. Dennoch zieht man die Kanzlerin immer noch vor, was nur den Rückschluss zulässt, dass alle möglichen Alternativen, sofern überhaupt vorhanden, für die meisten Leute noch weniger infrage kommen.
Angesichts der Tatsache, dass Angela Merkel wohl nun doch eine vierte Amtszeit anstrebt, wäre darüber hinaus zu fragen, wer überhaupt außer der CDU noch in der Lage wäre, den Kanzler zu stellen. Davon abgesehen, dass kein Mensch ernsthaft Sigmar Gabriel als Kanzler sehen will, arbeitet die SPD schon seit geraumer Zeit daran, ihren persönlichen Rekordwert von 19% noch zu unterbieten. Auch ein Frank-Walter Steinmeier erscheint nur deshalb als mögliche Alternative, weil man sich an die Farblosigkeit der Generation von Politikern unter Merkel längst gewöhnt hat. Ein Kanzler einer anderen Partei außer der CDU ist und bleibt zum jetzigen Zeitpunkt so oder so illusorisch und auch auf etwaige Juniorpartner als Korrektiv der Merkel-Regierung ist nach bisherigen Erkenntnissen kein Verlass.
Eine CSU nützt dem Wähler nichts, so lange sie sich als zahnloser Tiger im Verbund mit der Schwesterpartei erweist und man am Ende auch mit ihr nur wieder Merkel wählt. Ähnliches gilt für die FDP. Zwar ist man hier ebenso wie in der CSU um eine klarere Kante in der Asyl- und Einwanderungsfrage sowie dem Umgang mit dem Islam bemüht, jedoch bleibt äußerst fraglich, wie viel von den jetzigen wohlklingenden Worten übrig bleibt, käme es zu einer erneuten Regierungsbildung unter Merkel. Wer die Veränderung, die Abkehr von der jetzigen Politik wirklich will, wird dieses Risiko nicht eingehen wollen. Dabei ist dieser Umstand gerade in Bezug auf die FDP schade, ist Christian Lindner doch einer der wenigen Politiker, dem man noch so etwas wie Format und Ausstrahlung zugesteht und die FDP eine Partei, die sich nach ihrem Ausscheiden aus dem Bundestag in vielfacher Hinsicht neu erfunden hat.
Nur reicht dies eben allein nicht aus, um sich in aller Deutlichkeit der Politik Merkels entgegenzustellen und den liberalen Rechtsstaat vor den Gefahren des politischen Islams konsequent zu schützen. Was der FDP fehlt, ist die Konsequenz und Vehemenz, sich der Merkel-Politik gegenüberzustellen, die liberalen Werte zu verteidigen, statt wie früher Klientelpolitik zu betreiben und keine faulen Kompromisse einzugehen. Ja, Politik ist immer auch Kompromissfindung, jedoch sind Kompromisse, insbesondere bei diesem Thema, nur schwerlich zu ertragen. So lässt sich feststellen, dass das Dilemma, mit welchem der Bürger in Deutschland sich aktuell konfrontiert sieht, sich aus zwei Hauptfaktoren speist: Fehlende personelle Alternativen auf der einen und fehlende alternative Koalitionsmöglichkeiten, die am Ende nicht Merkel und die bisherige Politik zur Folge haben, auf der anderen Seite.
Wenn die einzige Möglichkeit einer Abkehr von der bisherigen Politik in einer absoluten Mehrheit für die AfD zu bestehen scheint, dann verrät das viel über den Zustand der derzeitigen Parteienlandschaft. Da erscheint die Möglichkeit, dass man mit der AfD die Blockbildung der anderen Parteien, die am Ende im schlimmsten Fall noch in einer Rot-Rot-Grünen-Koalition endet, verstärkt, noch wahrscheinlicher. Und so kommt es vielen Menschen nicht grundlos so vor, als sei man auf Gedeih und Verderb an Merkel und ihre Politik gebunden. Es ist das Sinnbild einer Krise der Demokratie, die zu einer massiven Erosion der Gesellschaft führen wird, dass selbst wer Merkel nicht wählt, wer am Ende sogar die AfD wählt und damit einen eigentlich vollkommen entgegengesetzten Weg, sehr wahrscheinlich doch wieder bei Merkel herauskommt. Es ist wie ein Labyrinth, in dem man herumirrt und aus dem es letztlich doch nur einen Ausweg gibt.
Dennoch wäre es zu kurz gefasst, um die Schuld für dieses Dilemma einseitig bei den Parteien und ihren schrecklich farblosen Politikern zu suchen. Maistre prägte einst den Satz, dass jedes Volk die Regierung hat, die es verdient. In der Asylkrise sollte gerade das uns zu denken geben und den Mut zur Veränderung bringen, der uns ein Loch in die Hecke des Labyrinths schneiden und so einen möglichen anderen Ausweg finden lässt. Merkel ist nicht Kanzlerin von Gottes Gnaden, sondern weil den Menschen der Mut fehlt, das Danach auf sich zukommen zu lassen.
Kein kleineres Übel mehr
Die Frage, die wir uns deshalb umso mehr stellen müssen, ist jene, was denn noch schlimmer sein könnte als der jetzige Zustand des Stillstands, des Weiterlaufenlassens einer Politik des Irrsinns, die wenn sie jetzt nicht gestoppt wird, unser Land so verändern wird, dass wir uns ernsthaft mit der Frage auseinandersetzen müssen, wie lange ein Leben für uns und unsere vorhandenen oder potenziellen Kinder hier noch erträglich sein wird. Rot-Rot-Grün? Vielleicht der Beschleuniger des Elends, den es braucht, damit die andere Seite der Parteienlandschaft den Ruck in die richtige Richtung vollzieht? Sigmar Gabriel, Steinmeier oder irgendein Parteisoldat aus der CDU? Wer kann denn charakterloser, emotionsloser und tatenloser sein als die Kanzlerin? All diese Leute lassen sich darüber hinaus auch wieder abwählen und jede Abwahl wird Platz für Veränderungen und Neues in den Parteien schaffen. Nur mit Merkel bleibt der Stillstand innerhalb der Parteien und in der Gesellschaft garantiert bestehen.
Ja, Deutsche scheuen die Veränderung, haben Angst vor der Instabilität, die sie einst so viel gekostet hat, nur wird uns die jetzige Tatenlosigkeit, das Verharren in der Schockstarre weit mehr kosten als kurzfristige Umwälzungen. Merkel war lange gut im Verwalten. Im Ernten der Früchte anderer. Das mag in Friedenszeiten ohne große Aufreger funktionieren und ein Gefühl der Sicherheit vermitteln. In Zeiten, in denen jedoch eine aktive Politik gefragt ist, hat kein Kanzler bis jetzt so wenig Qualität bewiesen wie die jetzige Bundeskanzlerin. Fukushima, Griechenland und jetzt die Asylfrage und Terrorbedrohung. In der Krise zeigt sich das wahre Format und diesen Test hat Merkel ein ums andere Mal nicht bestanden.
Was vielen Deutschen immer noch fehlt, ist das Bewusstsein dafür, dass der Wind sich gedreht hat, dass heute eine andere Politik gefragt ist, als noch 2014. Dass es eines nachhaltigen Rucks durch Gesellschaft und Parteien bedarf, damit erhalten werden kann, was man durch Tatenlosigkeit zu schützen glaubt. Verwaltung, nichts tun, ist eine Weile gut gegangen. Nun müssen wir uns davon verabschieden, uns bewusst machen, dass der Schaden in diesen Zeiten nicht durch Handeln, sondern durch Unterlassen entsteht. Nichts veranschaulicht das mehr als die Asylpolitik der letzten Monate.
Vielleicht sollten wir uns immer dann, wenn uns wieder einmal die Angst vor dem Danach überkommt, daran erinnern, dass es auch ein Davor gab. Dass auch da mitnichten alles gut lief, dass die Welt jedoch auch damals nicht untergangen ist. Wir sollten unseren Mut entdecken und die Lust auf das Neue. Keine Leute mehr wählen, die uns als das geringere Übel erscheinen und doch am Ende nur farblose Parteisoldaten sind. Wer die Nase voll hat, sollte das auch zeigen und eine Veränderung der Parteien und ihrer Politiker erzwingen. Die Konsequenzen der merkelschen Politik werden mit jedem weiteren Tag ersichtlicher und nur jetzt haben wir noch die Chance, Dinge zum Positiven zu verändern. Alles ist besser als das, was jetzt ist, und wenn ich mich so an das Davor erinnere, dann bekomme ich allmählich richtig Lust auf das Danach.