Tichys Einblick
Betriebe wandern ab

Was ein junger Mann von einem Zulieferer für VW erzählt

Der Leserbrief bezieht sich auf die Kolumne von Roland Tichy: Das war eine schwarze Woche für Deutschland.

Der Leserbrief bezieht sich auf die Kolumne von Roland Tichy. Das war eine schwarze Woche für Deutschland: Schändliche Gesetze wurden im Dutzend blitzschnell verabschiedet. Der Bundestag hat sich von der Nick-Maschine weiterentwickelt und sich selbst, Grundrechte und Souveränität aufgegeben.


Ich war heute abend das erste Mal seit langem wieder abends aus, Essen gegangen, beim „Italiener um die Ecke“. War nett, fast so, als habe es die letzten 15 Monate nicht gegeben, und drinnen saß auch früher bei diesem Wetter keiner. Ich benutze das aber nur als Einleitung zu dem, was mir bei diesem Besuch sonst passiert ist.

Nachbartisch, ein jüngeres Paar, nett und offen, zu unhip und unexaltiert, um Berliner aus dem zentralen Bereich sein zu können. In der Tat, sie stammen aus der Gegend um Braunschweig. Der Mann arbeitet bei einem Zulieferer von VW. Er erzählt davon, wie ein Betrieb nach dem anderen dichtmacht, nach Osteuropa verlagert, oder eben Asien.

Und nein, es geht dabei nicht einmal um Rendite. Ja, die Strompreise steigen und steigen. Immer mehr Bürokratie, Erfassungen, Steuern. Aber der wahre Grund ist: Sie finden in Deutschland ganz einfach keine Leute mehr. Haufenweise gehen jetzt die bisher dominierenden Babyboomer-Jahrgänge in Rente. Sie können sie nicht ersetzen.

Merkel: „Echte Transformation“
Kurzarbeitergeld und Home-Office – der Einstieg in die Nach-Corona-Welt
Natürlich gibt es im Dreieck Hannover Braunschweig Wolfsburg noch junge Leute. Aber es sind eben keine Deutschen mehr, so wie die Babyboomer, die bisher den Kern der Betriebe ausmachten. Aber die hatten kaum Kinder. Meist sind es jetzt Türken, Nordafrikaner, Kosovaren, Kaukasier, Eriträer, die „Flüchtlinge” seit 2015, was da eben so kam und sich ansiedelt. Sie können mit ungebildeten Bewerbern nichts anfangen. Sie brauchen Facharbeiter, Mechatroniker, Zerspannungsmechaniker, Schlosser, das ganze Programm der Feinindustrie. Sie bilden ja aus, es gibt genug Ausbildungslehrstellen, aber sie haben weder Zeit noch Geld, die gesamte Schulbildung seit der 3. Klasse noch einmal zu vermitteln. Sie brauchen Leute, die, auch als Lehrlinge mit 1.000 netto bereit sind, um 6:30 zur Frühschicht anzutreten, und das jeden Tag. Die pünktlich kommen und wissen, was das ist. Die wenigstens 5 Minuten ohne Smartphone auskommen, die Anweisungen auf Deutsch verstehen, überhaupt bereit sind, tatsächlich zu arbeiten. Die verstehen, daß der tiefergelegte Golf GTI mit Brembo-Titanauspuff erst nach mehreren erfolgreichen Jahren als Geselle drin ist, und nicht mit 19 nach drei Monaten Aushilfsarbeit.

Diese jungen Leute finden sie nicht mehr. 20 Jahre konnten sie Sachsen-Anhalt leerräumen, jetzt lebt da kein junger Mensch mehr, und wenn doch, pendelt der nicht mehr 90 km jeden Tag, sondern findet was zuhause.

Also gehen sie nach Polen. Noch gibt es dort Facharbeiter, gut ausgebildete, sogar in Rumänien. Arbeitsmoral ist gut, und Deutsch ist als Lingua Franca dort fast so geläufig wie Englisch. Also macht der Laden hier dicht. Einer nach dem anderen. Die jungen Frauen ziehen zum Orchideenstudium nach Berlin oder Hamburg, die wenigen jungen deutschen Männer ohne Abitur passen sich den Orientalen in Aussehen und Jargon und Habitus an.

Das ist das stille, leise Sterben dieses Landes. Es ist viel schlimmer als das, was Roland Tichy anprangert. Und im Grunde hat es gerade erst angefangen. Mit langer Ansage – aber niemand wollte hören.

Anzeige
Die mobile Version verlassen