Tichys Einblick
Unbegründete Bedenken

Was die Bundeswehr im Einsatz gegen Corona tun kann

Wer die Bundeswehr aus ideologischen Gründen bei Gefahr im Verzug außen vorlässt, macht sich schuldig zu Lasten möglicher Opfer.

Die Bundeswehr bietet Corona-Tests in einer Kaserne in Merzig im Saarland.

Alexander Scheuber/Getty Images

Weltweit setzen immer mehr Staaten bei der Eindämmung von „Corona“ ihr Militär ein; sie rufen dazu den Ausnahmezustand aus, zuletzt Bulgarien und die USA. China tut das ohnehin seit Anbeginn der Pandemie. Wie aber ist der Einsatz der Bundeswehr unter solchen Umständen geregelt? Was ist in Deutschland möglich?

Verfassungsrechtliche Lage

Dem Einsatz der Bundeswehr im Innern sind enge Grenzen gesetzt. Der rechtliche Rahmen ist sehr restriktiv im Vergleich zu NATO- und EU-Partnerländern. Das Grundgesetz sagt dazu: „Außer zur Verteidigung dürfen die Streitkräfte nur eingesetzt werden, soweit dieses Grundgesetz es ausdrücklich zulässt“ (Artikel 87a, Absatz 2). Selbst bei Terroranschlägen ist der Einsatz nur „zur Abwehr einer drohenden Gefahr für den Bestand oder die freiheitliche demokratische Grundordnung“ erlaubt (GG 87a, Abs. 4). Das bedeutet: In Deutschland gibt es eine strikte Trennung von Polizei und Bundeswehr. Wir sind damit einer von wenigen Staaten weltweit, die sich einer strikten Trennung von militärischen und polizeilichen Aufgaben verschrieben haben. Begründet wird dies mit den geschichtlichen Erfahrungen aus Nationalsozialismus und Zweitem Weltkrieg.

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Bei unseren Partnerländern ist das grundlegend anders geregelt: Frankreich etwa hat nach den Anschlägen von Paris 2015 und Nizza 2016 die französische Armee zur Unterstützung der Polizei herangezogen. Soldaten bewachen mit Kampfanzug und Sturmgewehr den Eiffelturm in Paris und viele andere wichtige Orte mehr. Zudem steht bei unseren Nachbarn die Gendarmerie zur Verfügung. Sie war seit ihrer Gründung Teil der französischen Streitkräfte und daher im Unterschied zur Polizei dem Verteidigungsministerium unterstellt. Seit dem 1. Januar 2009 untersteht sie zugleich dem Innenministerium. Allein diese zwischen Militär und der regulären Polizei angesiedelte Truppe umfasst über 100.000 Soldaten. Frankreich verfolgt zudem den Plan, eine Nationalgarde mit 84.000 Mann nach US-Vorbild einzurichten, die sowohl militärische als auch polizeiliche Aufgaben wahrnehmen kann. Kaum  anders ist die Lage bei weiteren Partnerländern: Soldaten sichern den Grand Place in Brüssel oder in Rom das Kolosseum. Und für die USA war es selbstverständlich, nach den Terroranschlägen vom 11. September 2001 auf das World Trade Center in New York, umgehend die Nationalgarde und Teile der Streitkräfte in Marsch zu setzen.

Bei unseren Verbündeten also keine Spur von prinzipieller Trennung zwischen Polizei und Militär. Warum muss bei uns mal wieder alles anders geregelt sein? Bezeichnend ist, dass über 65 Prozent der Bundesbürger nach einer Umfrage aus dem Jahr 2017 keine Einwände gegen einen Einsatz der Streitkräfte im Inneren hegen. Für den Fall eines schwerwiegenden Terroranschlags sprechen sich fast 70 Prozent der Deutschen für diese Möglichkeit aus. Die Bürger in unserem Lande haben diesbezüglich weit weniger Vorbehalte, als in vielen politischen, medialen und juristischen Rängen immer wieder behauptet wird.

Es geht schließlich auch um die Entwicklungen der letzten Jahrzehnte mit verheerenden terroristischen Attacken: Die Grenzen zwischen innerer und äußerer Sicherheit wurden nachhaltig verwischt. In großer Weitsicht ist der Sachverhalt im GG bereits wie folgt geregelt: Eine drohende Gefahr für den Bestand der demokratischen Grundordnung des Bundes oder eines Landes durch organisierte und militärisch bewaffnete Aufständische, der durch Polizeikräfte nicht hinreichend begegnet werden kann, reicht aus, um gemäß Art. 87a, Abs. 4 GG die Bundeswehr im Inland einzusetzen.

Es gilt aber auch: Die Bundeswehr darf nicht als Notnagel dienen, wenn in den deutschen Ländern die oft ausgedünnten Polizeikräfte bei der Wahrnehmung ihrer verfassungsrechtlichen Aufgaben an Grenzen stoßen. Die Polizeibehörden der Länder wie auch die Bundespolizei müssen nach Ausrüstung, Ausstattung und personeller Stärke in der Lage sein, ihre regulären Aufgaben selbständig zu erfüllen.

Der Einsatz der Streitkräfte ist daher nur als Ultima Ratio zulässig. In gemeinsamen Übungen zwischen Polizei und Bundeswehr wird dies durchaus gelegentlich erprobt. GETEX 2017 erbrachte interessante Erkenntnisse (GETEX = Gemeinsame Terrorismus-Abwehr Exercise): „Zu lange Dienstwege, fehlendes Gesamtlagebild, kein sicheres Netz zum Datenaustausch, unterschiedliche Fachbegriffe, eine unklare Rechtssituation“ wurden als Mängel mit Handlungsbedarf identifiziert.

Bisherige Einsätze der Bundeswehr im Innern

Die Bundeswehr war in den gut sechs Jahrzehnten ihres Bestehens wiederholt im Inland im Einsatz: bei Schnee- und Hochwasserkatastrophen, bei Waldbränden usw. Zuletzt war unsere Armee im Januar 2019 beim Schneechaos in Bayern, zuvor 2002 und 2013 bei Hochwasserkatastrophen eine willkommene Hilfe.

Besonders nachhaltig eingeprägt hat sich der Einsatz der Bundeswehr bei der Sturmflut in Hamburg vom Februar 1962, der 315 Menschen zum Opfer fielen. Damals hatte der Hamburger Innensenator, spätere Verteidigungsminister und Bundeskanzler Helmut Schmidt von Bundeswehr und NATO-Armeen – damals noch verfassungswidrig – unter anderem Hubschrauber als „rettende Engel“ angefordert. Für das Ansehen der Bundeswehr waren solche Einsätze stets ein Gewinn, sie lenken aber auch davon ab, dass die Bundeswehr eben kein THW in „NATO-Oliv“, sondern eine Kampftruppe ist.

Die Bundeswehr kann im Inland auch eingesetzt werden, um (gemeinsam mit der Polizei) die öffentliche Ordnung zu bewahren oder wiederherzustellen, etwa wenn geplündert wird oder Krankenhäuser belagert werden. Dies ist in den Artikeln 35, 87a und 91 des Grundgesetzes geregelt. Die Vorschriften gehören zu den „Notstandsgesetzen“, die 1968 gegen den Widerstand der außerparlamentarischen Opposition (APO) beschlossen wurden. Als Notstandsgesetze werden auch rund zehn Sicherstellungsgesetze bezeichnet, die das öffentliche Leben und die militärische Verteidigung sichern sollen. In der Regel sind sie auf den Spannungs- und Verteidigungsfall beschränkt.

Bundeswehr und „Corona“

Nun also geht es aktuell um die Frage, wie die Bundeswehr im Kampf gegen eine Pandemie eingesetzt werden kann. Tatsächlich ist dies bereits ansatzweise geschehen. So hat der von „Corona“ besonders betroffene NRW-Landkreis Heinsberg die Bundeswehr gebeten, mit Laborkapazitäten bei „Corona“-Tests auszuhelfen. Zudem gibt es bereits mehr als 50 „Amtshilfeersuchen“ anderer Behörden an die Bundeswehr. Die Bundeswehr hilft zudem bei Transporten aus, baut Feldbetten auf oder versorgt liegengebliebene Lastwagenfahrer mit dem Notwendigsten.

Mittlerweile sind die – nach der ab 1990 erfolgten drastischen Reduzierung – fünf noch verbliebenen Krankenhäuser der Bundeswehr (Berlin, Hamburg, Koblenz, UIm, Westerstede) wegen „Corona“ vorübergehend in die zivile Krankenhausstruktur integriert; der militärische Sanitätsdienst mit insgesamt rund 3.000 Ärzten behandelt – wie auch schon zuvor – nicht nur Soldaten. Dafür stehen 1.200 Betten mit Isolationsoption zur Verfügung – eine Zahl, die verdoppelt werden soll. Darüber hinaus wollen laut Reservistenverband mit Stand 26. März insgesamt mehr als 10.000 Reservisten in irgendeiner Weise helfen – auch im außermedizinischen Bereich.

Es wird aber keine Soldaten geben, die Ausgangssperren durchsetzen. „Es braucht sich keiner Sorgen machen, dass die Bundeswehr Coronapartys auflöst oder Ausgangsbeschränkungen überwacht“, sagte soeben Eberhard Zorn, Generalinspekteur und damit oberster Soldat der Bundeswehr. Laut Verteidigungsministerin Kramp-Karrenbauer könnte die Bundeswehr aber Aufgaben übernehmen, die bisher private Sicherheitsdienste ausüben – etwa die Bewachung öffentlicher Einrichtungen.

Mitten in Deutschland, mitten in Thüringen
„Schutzsuchende“ randalieren mit IS-Fahne und Kindern als Schutzschilde gegen Quarantäneauflagen
Ein solcher Fall kam schneller, als man erhoffte bzw. befürchtete – nämlich im rot-rot-grün regierten Thüringen. Das Landesverwaltungsamt hatte die Bundeswehr um Unterstützung in der Erstaufnahmeeinrichtung Suhl gebeten, in der über 500 Migranten unter Quarantäne stehen und in der am 17. März nahezu 200 Polizisten nötig waren, um der Randalierer Herr zu werden. Ein Sprecher von Thüringens Migrationsminister Dirk Adams (Grüne) sagte gegenüber der Presse, in Suhl gehe es um die „Betreuung und Versorgung der Geflüchteten“ durch Soldaten. Der grüne Minister möchte das Militär offenbar lediglich als Kaffeetanten eingesetzt wissen. Ein Bundeswehrsprecher präzisierte allerdings, das Land habe „die Abstellung von Soldaten zur (schichtfähigen) Ausübung des Hausrechts“ in Suhl beantragt.

Der Flüchtlingsrat Thüringen kritisierte das Vorgehen der Landesregierung. „Um Retraumatisierungen der Geflüchteten zu vermeiden, muss eine zivile Kleidung der Bundeswehr in den Versorgungsdiensten sichergestellt werden, falls sie zum Einsatz kommt. Keinesfalls sollte sie für die Absicherung des Geländes eingesetzt werden“, mahnte die Sprecherin des Flüchtlingsrates Ellen Könneker.

Was sollen diese verqueren militärallergischen Klimmzüge? Bundeswehrsoldaten sind noch zu keinem Zeitpunkt zur Bedrohung für friedliebende Zivilisten geworden. Nur ja nicht zugeben wollen, dass unsere Armee bereits heute völlig legal zur Unterstützung ziviler Behörden eingesetzt wird? Nur Ewiggestrige können dahinter eine Militarisierung der Polizei wittern. Oder gar eine schleichende Militarisierung der Gesellschaft. Allen Zweiflern sei es ins Stammbuch geschrieben: Die Bundeswehr ist über die Jahrzehnte in vielerlei Beziehung zu einem stabilisierenden Faktor unseres Landes geworden. Sie ist parlamentarisch kontrolliert, rechtsstaatlich verfasst und ein Garant für die freiheitlich demokratische Grundordnung. Wer die Bundeswehr aus ideologischen Gründen bei Gefahr im Verzug außen vorlässt, macht sich schuldig zu Lasten möglicher Opfer.


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