Tichys Einblick
Rüstungsdesaster statt "Zeitenwende":

Was bei der Beschaffung für die Bundeswehr anders werden muss

Bisher klappt weder die Bestellung von Munition noch die Nachbeschaffung von Wehrmaterial, das an die Ukraine abgegeben wurde. Dahinter lauern aber eine Reihe weiterer, gravierender Rüstungspannen, die an die militärische Substanz gehen. 

Fehlkonstruktion: Tiger-Kampfhubschrauber der Bundeswehr

IMAGO / localpic

Über ein Jahr nach Beginn des Ukraine-Krieges ist es niemandem vermittelbar, warum nicht umgehend die Munitionsproduktion hochgefahren wurde, um den Nachschub sicherzustellen und die größten Löcher zu stopfen. Allen Schwüren zur Unterstützung der Ukraine zum Trotz kamen die EU-Regierungschefs erst jetzt auf die längst überfällige Idee, ein Milliardenprogramm für die Munitionsbeschaffung aufzulegen. Der Industrie soll nun endlich eine langfristige Perspektive zum Aufbau einer dauerhaften Lieferkette für Munition gegeben werden.

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Wenn Verteidigungsminister Pistorius feststellt, dass die gemeinsame Finanzierung, Koordinierung und Beschaffung in Europa Neuland sei, mag er Recht haben. Unabhängig davon hätten die Hersteller längst Zusagen für die Beschaffung von Rohmaterialien und das Hochfahren ihrer Produktionskapazitäten erhalten müssen. Schließlich steckt allein die Bundeswehr in einer Munitionskrise historischen Ausmaßes. Statt nach Nato-Vorgabe für 30 Kampftage Munition vorzuhalten, dürfte Deutschland weiterhin auf höchstens zwei Tage kommen (die genauen Zahlen sind geheim eingestuft). Trotz Krisentreffen mit Vertretern der Rüstungsindustrie im Kanzleramt vom November letzten Jahres scheint sich erst allmählich etwas zu bewegen. 
„So wie sie derzeit angelegt ist, wird die Zeitenwende an den Widersprüchlichkeiten in Militär und Gesellschaft scheitern“

Christian Mölling, Militärexperte der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik (DGAP) erklärte, „Wir werden viele Monate brauchen, bis wir die Munitionsdepots der Bundeswehr aufgestockt haben.“ „Die Regierung hätte zu Beginn des Krieges Munition bestellen müssen, als sie Panzerhaubitzen und Munitionspakete, aber auch portable Flugabwehrraketen an die Ukraine abgegeben hat“, so Mölling im Gespräch mit dem Redaktions Netzwerk Deutschland (RND) bereits am 30. November 2022.

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in Europa ein heißer Krieg tobt, dem nicht mit dem Verweis auf eine mittelfristige Finanzplanung oder Paragrafen im Bürgerlichen Gesetzbuch begegnet werden kann, scheint noch nicht überall durchgedrungen zu sein. Unternehmen wie Rheinmetall erklärten von Beginn des Krieges an, sie könnten rasch produzieren. Noch vor wenigen Wochen aber beklagte der Bundesverband der Deutschen Sicherheits- und Verteidigungsindustrie, dass kaum Bestellungen eingegangen seien.

In Kriegszeiten für ausreichend Munition zu sorgen, ist zwar das drängendste, aber bei weitem nicht das einzige Problemfeld. Dass einige der vorhandenen Waffensysteme als Fehlinvestitionen eingestuft werden müssen, ist nicht mehr zu verheimlichen. Nur zwei Beispiele: In diese Kategorie gehören der vom deutschen Heer genutzte Kampfhubschrauber Tiger wie auch der Transporthubschrauber NH90. Beide sind weit überteuerte Baustellen mit massiven Schwierigkeiten. 

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Der Kampfhubschrauber Tiger war ursprünglich ein deutsch-französisches Prestigeprojekt, er steht inzwischen vor dem Aus. Auf der Basis von Planungen aus den 1980er Jahren wurde mit der deutschen Variante eine Fehlkonstruktion entwickelt. Ohne bewegliche Kanone wie die französische Version wurde sie mit einem sündhaft teuren Mastvisier zur Optimierung der nicht mehr vordringlichen Aufgabe Panzerabwehr ausgestattet. Dieses ab 2005 eingeführte komplexe Fluggerät stellte die deutschen Heeresflieger zu keinem Zeitpunkt zufrieden. Der logistische Aufwand ist durch den überschaubaren militärischen Nutzen nicht gerechtfertigt, der Flieger gehört ausgesondert.

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Frankreich hat inzwischen mit Spanien eine Weiterentwicklung eingeleitet. Deutschland kann sich in Anbetracht bisheriger Erfahrungen nicht dazu entschließen. Die Beschaffung des bewährten US-Kampfhubschraubers Apache wäre eine Alternative, ist aber weder den Franzosen noch dem deutschen Steuerzahler zu vermitteln. Mit der Bewaffnung moderner Hubschrauber, die sich im Heer bereits bewährt haben, könnte auch auf ein einfacheres Pferd gesetzt werden. Egal wie entschieden wird, das deutsche Heer hat keinen recht brauchbaren Kampfhubschrauber. Es werden Milliarden zu investieren sein und es wird Jahre dauern, die Defizite zu beseitigen. Den verbrannten Milliarden für die vorhandenen Tiger-Flieger dürfen jedenfalls nicht noch weitere für dessen Verschlimmbesserung hinterher geworfen werden.

Zum Fiasko für die Nutzernationen wie auch den Rüstungshersteller Airbus-Helicopters entwickelt sich ein weiteres System, der mittelschwere Transporthubschrauber NH 90. Er stellt das größte jemals in Europa aufgelegte Militärhubschrauberprogramm dar. Für 14 Kundenstaaten wurden bei über 500 bestellten Maschinen 23 verschiedene Versionen gebaut. Zu viele unterschiedliche Forderungen sollten unter einen Hut gebracht werden. Die Auslieferung der 82 für das deutsche Heer bestellten Maschinen zog sich über 15 Jahre bis 2021 hin. Für die Marine wurden 17 Hubschrauber ausgeliefert und weitere 31 bestellt. Und das bei einem Klarstand der Systeme, der im letzten Jahr bei allenfalls einem Drittel lag.

Genaue Zahlen zur Einsatzbereitschaft werden erst gar nicht mehr bekannt gegeben. Wegen zahlreicher technischer Mängel und Ersatzteilproblemen sind Instandsetzung und Logistik jedenfalls derart aufwendig, dass inzwischen Australien, Norwegen, Schweden und Belgien aus dem Programm aussteigen wollen oder gar die Rückgabe ihrer Maschinen an den Hersteller verlangen. Siehe Europäische Sicherheit & Technik Ausgabe 2/2023. Die US-Konkurrenz freut sich, die Europäer blamieren sich bis auf die Knochen.

Herumdoktern an Symptomen                                                                      

Auch nach hunderten Millionen Beraterausgaben der früheren Verteidigungsministerin von der Leyen bleibt der Rüstungsbereich eine Baustelle. An den Grundübeln hat sich bis heute nichts geändert, dies fällt uns nun in Zeiten des Krieges auf die Füße. Woran liegt das aber im Kern, dass Rüstungsprojekte in aller Regel weit teurer werden, später kommen und auch nicht die geforderten Leistungen erfüllen?

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Wesentliche Ursachen liegen darin, dass die Rüstungswirtschaft nach dem Zusammenbruch des Warschauer Paktes zum Stiefkind von Gesellschaft und Politik gemacht worden ist. In den letzten 30 Jahren waren Rüstungsaufträge Mangelware. Die wehrtechnische Industrie musste die Serienproduktion aufgeben und zur Manufakturarbeit, zur Einzelfertigung übergehen. Bis ein neuer Panzer produziert ist, vergehen Jahre. Wer zudem durch überzogene Exportrestriktionen seine Partner vergrault (wie die Deutschen), wird Schwierigkeiten haben, mit kompetenten Firmen zusammenzuarbeiten. Die Lernkurve bei Waffensystemen wurde lang und länger.

Die Ergebnisse überzogener militärischer Forderungen stehen heute bei der Bundeswehr vielfach auf dem Hof. Der Schützenpanzer Puma möge dafür als weiteres Beispiel dienen. Wenn die Militärs jahrelang Zeit haben, ihre Forderungen zu perfektionieren und die Industrie ihre Produkte zu versilbern, entstehen Goldrandlösungen, die in der Truppenpraxis kaum brauchbar sind. Entwickelt sich ein Krieg zum Abnutzungskrieg, stehen Kampftruppen rasch ohne Beinkleider da. 

Was ist zu tun?                                                                                    

Jahrzehnte der Abwesenheit von Krieg in Zentraleuropa haben das Militär wie auch die Rüstungsunternehmen vom gebotenen Weg der Konzentration aufs Wesentliche abkommen lassen. Was muss jetzt geschehen? Der Begriff „Kriegswirtschaft“ verbietet sich aus verschiedenen Gründen, aber es sind Bremsen aus dem gesamten Metier auszubauen, die praktikable Lösungen verhindern:

Wer in der Bundeswehr lediglich die verantwortlichen Köpfe austauscht, wie mit Generalinspekteur Eberhard Zorn und der Präsidentin des Bundesamtes für Ausrüstung, Informationstechnik und Nutzung der Bundeswehr Gabriele Korb geschehen, aber die Bremsen im System nicht beseitigt, wird wiederum scheitern. 

Im Übrigen ist die Zeitenwende zum Beispiel weder in der Europäischen Union noch in der deutschen Wissenschaft angekommen. Waffen sind wohl für viele immer noch böse, also sollen deren Hersteller weder Finanzmittel erhalten noch Forschungsaufträge platzieren können. Die EU beschwört einerseits die Solidarität mit der Ukraine, hilft aber mit, über ihre ESG-Kriterien (Environment, Social und Governance) Rüstungsunternehmen den Geldhahn abzudrehen. Nicht anders verhalten sind deutsche Universitäten, die über eine sogenannte Zivilklausel jede Forschungszusammenarbeit mit Rüstungsunternehmen ausschließen.

Wo sind die Stimmen verantwortlicher Politiker, die sich in der Öffentlichkeit für einen konstruktiven Blick auch auf die Rüstungsindustrie einsetzen? Ohne deren Erzeugnisse gibt es keine einsatzfähige Bundeswehr und auch keine äußere Sicherheit. Die Bundeswehr wird auch nicht mit dreistelligen Milliardensummen allein auf Vordermann gebracht werden können. So wie sie derzeit angelegt ist, wird die Zeitenwende an den Widersprüchlichkeiten in Militär und Gesellschaft scheitern.


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