Tichys Einblick
Gegenrede

Warum Vertrauen in die Organspende immer noch richtig ist

Dushan Wegner hat mir seiner kritischen Auseinandersetzung zur Organspende viel Resonanz erhalten; dafür sprechen jedenfalls die vielen Kommentare. Es gibt es dazu aber gleich mehrere Gründe für eine andere Meinung.

Wegner spricht in seinem Text die Skandale zum Beispiel in Göttingen an. Was ist hier passiert? Der Gesundheitszustand von Patienten, die auf eine Leber gehofft haben und nur diese Wartepatienten waren betroffen, wurde schlechter dargestellt, als er tatsächlich war. Es ist überhaupt keine Frage, dass dies keinesfalls akzeptabel ist. Auch der Freispruch des Leberchirurgen ist mir als juristischer Laie nicht nachvollziehbar. Faktisch konnte aber nicht nachgewiesen werden, dass andere Patienten, die nun länger warten mussten, deswegen verstorben sind. Mehr als kritisch am Text von Dushan Wegner finde ich aber, dass der Eindruck erweckt wird, als ob es in Göttingen Manipulation bei der Hirntoddiagnostik gegeben hätte. Die Spenderseite war aber hier überhaupt nicht betroffen. Im Fokus standen ausschließlich die Empfänger. Dies ist keine wie auch immer geartete Relativierung. Was in Göttingen und auch anderen Kliniken diesbezüglich passiert ist, bleibt zu verurteilen. Aber eine richtige Einordnung ist schon wichtig. Es war nämlich Organspender- sondern ein Empfängerskandal.

Es wird auch nicht davon berichtet, dass derartige Manipulationen erschwert wurden. Dieses Fehlverhalten hatte also durchaus massive Konsequenzen. Heute entscheidet nicht mehr nur ein Arzt, sondern ein Teams aus drei Fachleuten. Außerdem sind die Parameter, nach denen die Dringlichkeit einer Transplantation eingestuft wird, vielfältiger geworden. Ganz klar: Manipulationen bleiben immer noch bei auseichender krimineller Energie möglich. Der Weg dazu ist aber deutlich steiler und weiter (siehe dazu die „Richtlinien zur Organtransplantation der Leber“).

Der eigentliche Skandal bestand in Bonuszahlungen

Die Darstellung von Wegner ist auch deswegen unvollständig, weil der eigentliche Skandal in Göttingen im Text gar nicht genannt wird. Dieser besteht aus meiner Sicht in Bonuszahlungen an den Chirurgen. Bei jeder Operation wurde ihm ein Betrag ausgezahlt. War hier eine vorher vereinbarte Deckelung erreicht, stoppte er die Operationen. Dies kann man über mehrere Jahre immer wieder verfolgen. Auch wenn solche Verträge mittlerweile verboten sind, empfinde ich tiefste Abscheu vor einem solchen Verhalten.

Mein zweiter Kritikpunkt betrifft die aus dem Koma aufgewachte Frau. Hier frage ich mich wirklich, was das soll? Ihr Gehirn war zwar massiv geschädigt, aber sie zeigte durchaus Reaktionen, indem sie zum Beispiel aktiv die Augen öffnete. Wie unwahrscheinlich es auch immer sein mag, dass sich dieser Zustand wieder verändert, hier kann von Hirntod keine Rede sein. Wenn ein Patient die Augen von sich aus öffnet, denken Ärzte noch nicht einmal an eine Diagnostik des Hirntodes. Um diese in Erwägung zu ziehen, müssen die Patienten unter anderem auf einer Intensivstation liegen, sich im tiefsten Koma befinden und künstlich beatmet sein. Nichts davon traf auf diese Frau zu. Ein hirntoter Mensch, um es auf den Punkt zu bringen, ist funktional geköpft. Ein Mensch mit eigener, wenn auch massiv eingeschränkter Hirnfunktion, ist davon meilenweit entfernt (siehe hierzu „Richtlinien zur Feststellung des irreversiblen Hirnfunktionsausfalls“ der Bundesärztekammer).

Hirntote wachen nicht auf

Genau deswegen ist auch kein hirntoter Mensch je wieder aufgewacht. Schaut man sich die Fälle an, wo dies behauptet wird, so stellt sich immer wieder heraus, dass die Hirntoddiagnostik entweder noch gar nicht oder nicht vollständig durchgeführt wurde. Zur Wahrhaftigkeit gehört auch, dass es in Deutschland keinen einzigen Fall gab, wo eine protokollgerechte Hirntoddiagnostik fehlerhaft war. Jeder der etwas anderes behauptet, muss dies bitte belegen. Aber es gab einen Fall, wo sich die Ärzte nicht an das Protokoll der Hirntoddiagnostik gehalten haben. Im Bremerhavener Klinikum Reinkenheide wurde der sogenannte Apnoetest nicht richtig ausgeführt. Die Ärzte testen dort, ob der Atemreflex noch funktioniert. Wie ausgeprägt dieser normalerweise ist, sieht man daran, dass selbst ein Mensch, der sich unter Wasser befindet, nach einem gewissen Zeitraum atmen muss. Beim Apnoetest wird der Patient von der künstlichen Beatmung genommen, nachdem sein Blut vorher mit Sauerstoff versorgt wurde. Als Folge steigt die Kohlendioxidkonzentration im Blut. Zwar haben die Ärzte den Test abgebrochen, kurz bevor die Zielmarke erreicht war, dies ändert aber nichts daran, dass man sich nicht nur unter hier falsch verhalten hat. Wir können von Glück für alle Beteiligten sprechen, dass der entsprechende Mensch tatsächlich tot war.

Noch ein Wort zur Widerspruchslösung. Auch liegt Dushan Wegner wieder falsch, wenn er behauptet, dass jeder Bürger seine Organe spendet, wenn er sich nicht zu Lebzeiten gegenteilig geäußert hat. Die Angehörigen können in jedem Fall ein Veto einlegen. Deswegen heißt dieser Vorschlag auch doppelte Widerspruchslösung. Dies ist übrigens auch heute schon gelebte Praxis. Auch wenn ein verstorbener Mensch die Spende seiner Organe schriftlich verfügt hat, werden die Ärzte diese Operation nicht durchführen, wenn die Angehörigen dies nicht wollen. Ich halte ein solches Vorgehen für richtig, da auch die Anngehörigen nicht noch weiter traumatisiert werden dürfen.

Warum dieser Artikel?

Sie werden sich jetzt vielleicht fragen, warum ich mich so ins Zeug lege und diese Erwiderung schreibe. Die Sache ist ganz einfach: Ich bin seit mehr als 25 Jahren nierentransplantiert, damit falle ich aus jeder Statistik und bin diesbezüglich eine medizinische Rarität. Ich wollte nun aber wissen, ob der Weg, über den ich diese Niere bekommen habe, ethisch akzeptabel ist. Dies kann ich natürlich nicht für mein Organ spezifisch sagen, aber ich wollte es allgemein herausfinden. Deswegen habe ich mich intensiv mit dem Thema Organspende beschäftigt und dazu ein Buch geschrieben. Und ja, bei allen Problemen und Herausforderungen finde ich den Weg gut und richtig.


Heiko Burrack.

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