Tichys Einblick
Eine Betrachtung in fünf Grafiken

Warum Trump die Wahl noch nicht verloren hat

Liest man die US-Wahl-Berichterstattung deutscher Medien fühlt man sich an 2016 erinnert. Bidens Wahl scheint sicher. Aber das ist höchst fraglich. In den Umfrageergebnissen stecken die gleichen Haken wie vor vier Jahren. Das Rennen ist offen, und wer Trump zu früh abschreibt, spielt mit dem Feuer.

imago Images/Zuma Wire

Die Präsidentschaftswahl scheint entschieden: Biden hat einen Riesenvorsprung, den er auch noch laufend ausbaut, Trump versagt, blamiert sich, Biden glänzt. Erschreckend wenig demütig zeigen sich die Medien angesichts ihrer krassen Blamage 2016 (ich erinnere: Hillary Clinton hatte eine 96%ige Gewinnwahrscheinlichkeit). 

Den jetzt prognostizierten Vorsprung von Biden von 10 Prozentpunkten und mehr erreichte Hillary 2016 auch locker.

Nun ist es bekanntlich so, dass amerikanische Präsidentenwahlen nicht durch die nationalen Stimmenmehrheit entschieden werden, sondern durch die der Wahlmänner, die in fast allen Bundesstaaten komplett an einen der Kandidaten gehen. Nach diesem The-Winner-Takes-It-All bekommt zum Beispiel der Kandidat, der von 50,1 Prozent der Wähler eines Staates gewählt wird, alle Wahlmänner dieses Staates. Die Kandidaten kämpfen also stets darum, einen ganzen Staat zu gewinnen, und wahlentscheidend sind meist die „Swing States“, die Staaten, in denen beide Kandidaten Gewinnchancen haben. 

Es wird behauptet, Biden stünde hier deutlich besser da als Hillary Clinton 2016, er könne mehr bei der Bevölkerung außerhalb der linken Hochburgen punkten: Bidens Sohn war im Irak, er gibt sich arbeiternah und versucht, sich als wahren Amerikaner zu verkaufen. Tatsächlich ist in bundesweiten Umfragen der Vorsprung von Biden heute um etwa 3 Prozent größer als der 2016 von Hillary Clinton auf Trump – in den Swing States ist Trumps prognostizierter Rückstand allerdings geringfügig kleiner als zum gleichen Zeitpunkt 2016. 

Setzt man das in einigen ausgewählten Swing States in Relation zu 2016, sieht es für Trump gar nicht mehr so schlecht aus:

In den Medien erscheinen nun oft auch Prognosen, die sich auf die Wahlmänner beziehen und auch hier den Sieg Bidens vorwegnehmen sollen:

Man könnte diese Umfragenbetrachtungen als Spielerei abtun, aber dahinter steckt etwas Ernsthaftes. Die Umfragen irrten 2016 und sie irren vielleicht auch heute. Dieser Irrtum hat womöglich strukturelle Ursachen. Zum einen natürlich, was alle medial sehr gebrandmarkten politischen Parteien oder Personen betrifft: Menschen verschweigen deswegen den Umfragern oft, dass sie sie wählen wollen. Bloomberg veröffentlichte eine Umfrage, die ergab, dass Republikaner und Unabhängige mehr als doppelt so häufig wie Demokraten den Meinungsforschern ihre wahren Gedanken nicht preisgeben. Ein hieraus resultierender Unterschied in der Größenordnung von 2016 ist damit aber nicht hinreichend erklärbar.

Es gibt eine andere Ursache: Zunächst muss man sich hierfür die Wahlbeteiligung 2016 anschauen: Die lag nämlich gerade einmal bei gut 50 Prozent. Das bedeutet, nur rund ein Viertel der wahlberechtigten Amerikaner haben Trump gewählt. 

Wenn man nun eine Umfrage macht, kann man diesen Effekt nur schwer ganz herausrechnen. Viele sagen, wenn sie sich entscheiden sollen, dass sie für Biden sind. Wieviele davon aber dann tatsächlich zur Wahl gehen, ist und bleibt einfach offen, selbst wenn sie sagen, dass sie zur Wahl gehen werden. Dieser Effekt wäre normalerweise zu vernachlässigen, da er ja beidseitig auftritt.

Doch die Wählerstruktur des Trump- und des Biden-Lagers unterscheidet sich grundsätzlich. Das ist auch nachvollziehbar: Biden zu wählen liegt nahe, wenn man sich nicht besonders für Politik interessiert, Trump-Wählen dagegen ist eine viel bewusstere Entscheidung, denn man muss sie gegen den medialen Druck aufrechterhalten. Trump-Wähler sind eher bereit, etwas für Trumps Wahlsieg zu tun.

Dass es so ist, zeigt sich auch im Wahlkampf: Biden mobilisiert vielleicht die Redaktionen von New York Times und Washington Post, aber keine Massen. Seine Wahlkampfveranstaltungen sind meist sehr dünn besucht, noch dünner als die von Hillary Clinton, die manchmal nur vor einigen Hunderten sprach. Trump füllt aktuell fast täglich kleine Stadien, erreicht teilweise über 30.000 Zuschauer bei seinen Shows. Wer schon einmal eine Trump-Rede gesehen und gehört hat – und nicht nur die Ausschnitte, die vielleicht die Tagesschau ausstrahlt – weiß: Trump ist ein begnadeter Redner und guter Entertainer. Es gibt aktuell keinen Politiker im Westen, der auch nur annähernd soviel Begeisterung auslöst wie Donald Trump. 

Trump kann sich auf seine Wähler verlassen, sie würden vieles auf sich nehmen, um ihr Kreuz abzugeben. Die Wähler der Demokraten sind zwar irgendwie Anti-Trump, ihnen ist es aber auch nicht so ernst, wie die Medien es gerne hätten. Diesen Effekt hat man auch beim Brexit gesehen: Zwar sagten alle Umfragen, die Mehrheit wolle in der EU bleiben – wenn viele dann aber nicht zur Abstimmung gehen, kann es ihnen nicht so wichtig sein. Eine unpolitische Masse wird immer irgendwie dem Mainstream folgen, ist aber auch nicht mobilisierbar.

Nicht ganz ohne Grund verwendet Biden einen Großteil seiner Kampagne nicht etwa dafür, Menschen von sich zu überzeugen, sondern Menschen zum Wählengehen aufzurufen. Das ist kein Edelmut im Sinne der Demokratie, sondern wahlentscheidend. Es geht nicht mehr darum, wie beliebt Trump oder Biden sind, es geht darum, wie stark beide Lager ihre Anhänger mobilisieren können. 

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Man muss konstatieren: An Trump hat sich nicht viel geändert. Wer seine Twitter-Eskapaden schlimm findet, der wusste das schon 2016 und hätte ihn damals auch nicht gewählt. Trump hat drei starke Jahre gehabt, seine Wirtschaftsreformen brachten einen deutlichen Job-Zuwachs, Wirtschaftsaufschwung, mit einer der größten Steuersenkungen für die Mittelschicht in der Geschichte. Das ist sein zentraler Erfolg, daneben kommt seine beliebte Politik für das Militär und die Polizei. Letzteres trug ihm aufgrund der Black Lives Matter-Ausschreitungen jüngst Pluspunkte ein. Anfang des Jahres hatte Trump daher sehr gute Beliebtheitswerte, seine Wiederwahl war selbst nach offiziellen Zahlen gerechnet sehr wahrscheinlich. Dann kam Corona, und die neu geschaffenen Jobs gingen verloren – wie sehr das seine Schuld war, und wie schlecht die amerikanische Politik im Vergleich etwa zu Europa war, kann sich erst in den nächsten Monaten zeigen. Es ist trotzdem Bidens zentraler Wahlkampfpunkt, und tatsächlich ist Trump durch Corona massiv in der Wählergunst abgefallen.

Doch seine Beliebtheitswerte liegen jetzt stabil, sogar geringfügig höher als zu seinem Amtsantritt und etwa verglichen mit Obama können sie sich sehen lassen:

Biden ist zwar nicht beliebt, aber er ist weitaus weniger unbeliebt als Hillary Clinton – das ist in der Tat ein Unterschied zu 2016. Die Wahl entscheidet sich daran, ob es Biden gelingt, so vage und unprofiliert zu bleiben, dass er alle Wähler, die Trump nicht positiv sehen, für sich gewinnen kann. 

Wesentlich wird hier der weitere Gang der Korruptionsaffäre gegen ihn. Bisher dringen die Vorwürfe nur mittelmäßig durch, die linken Medien schweigen sie tot, die sozialen Netzwerke zensieren die Verbreitung. Gerät sein Saubermann-Image ins Wanken, kann ihm das das Genick brechen. Denn dann entsteht zwischen den Lagern – wie 2016 – ein Anteil von 20-30 Prozent der Wähler, die sich zwischen Pest und Cholera entscheiden. Trump muss nur wenige davon gewinnen: Mit seiner treuen Unterstützerbasis zusammen reicht das für den Wahlsieg.

Zur Zeit liegt Biden in den Umfragen deutlich vor Trump. Und es wäre nicht seriös, Gegenteiliges zu behaupten, wahrscheinlich liegt Biden wirklich leicht im Vorteil. Aber das Rennen ist offen, mindestens genauso wie 2016. Wer Trump zu früh abschreibt, wiederholt den Fehler von 2016. Und eine erneute, so extreme Blamage könnte die Vorherrschaft der linkslastigen Medien mindestens in den USA endgültig brechen. 

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