Tichys Einblick
Wahlkrampf

Warum ist die Zuwanderung nicht das Hauptthema im Wahlkampf?

Aktuelle Umfragen zeigen, dass nach wie vor kein Thema die Deutschen so sehr bewegt wie die Zuwanderung. Normalerweise sollte die Zuwanderung im Mittelpunkt des Wahlkampfes stehen – doch davon kann gar nicht die Rede sein.

28. Oct. 2015 - German police lead arriving migrants across a field to a transport facility after gathering them at the border to Austria near Wegscheid, Germany

© Johannes Simon/Getty Images

Im Wahlkampf sollte um die wichtigsten Themen gestritten werden, die die Bürger bewegen. Regelmäßig ermittelt die Forschungsgruppe Wahlen (ZDF-Politbarometer), was für die Deutschen die wichtigsten Themen sind. Mit großem Abstand an erster Stelle rangiert das Thema Zuwanderung/Flüchtlinge. In der letzten Umfrage der Forschungsgruppe Wahlen vom 21. Juli erklärten 49 Prozent der Befragten, die Zuwanderung  sei für sie das Thema Nr. 1. Seit Mai ist dieser Prozentsatz sogar erstmals wieder deutlich gestiegen, und zwar um acht Prozentpunkte.

Hauptthemen von CDU und SPD interessieren kaum

Das Thema „Arbeitslosigkeit“, das die CDU mit ihrem Versprechen der Vollbeschäftigung in den Mittelpunkt des Wahlkampfes stellt, bewegt dagegen laut dieser Umfrage verständlicherweise gerade einmal 7 Prozent der Wähler! Und die Renten, ein Hauptthema im SPD-Wahlkampf, interessieren nur 10 Prozent der Wähler. Die beiden großen Parteien haben also Themen in den Mittelpunkt ihres Wahlkampfes gestellt, die bei den Wählern unter „ferner liefen“ rangieren.

Keines der Probleme um die Zuwanderung ist gelöst

Um das Hauptthema, über das sich die Menschen Sorgen machen, also die Zuwanderung, ist es jedoch ruhig geworden, obwohl keines der Probleme gelöst ist. Entgegen der Ankündigung von Merkel und anderen Politikern gibt es kaum Abschiebungen abgelehnter Asylbewerber. Das war vorherzusehen. Es ist ja auch unsinnig, erst eine Million Einwanderer ins Land zu holen, von denen die allermeisten keine Aufenthaltsperspektive haben, um diese dann wieder mit einem hohen bürokratischen Aufwand und hohen Kosten zurückzuschicken. Auch gegenüber diesen Migranten, denen man zuerst Hoffnungen gemacht hat, ist das alles andere als fair. Die nächste Zuwandererwelle hat sich bereits auf den Weg gemacht. Sie wartet in Afrika oder in Italien. Und niemand weiß, wann der türkische Diktator Erdogan seine Drohungen wahr macht, das Flüchtlingsabkommen aufkündigt und wieder Hunderttausende nach Europa (d.h. vor allem nach Deutschland) lässt.

Warum wird darüber nicht gesprochen?

Warum ist das nicht das Hauptthema im Wahlkampf? Dafür gibt es mehrere Gründe:

  1. Die CDU möchte es nicht an die große Glocke hängen, weil Merkel diejenige ist, die uns die Probleme eingebrockt hat.
  2. Die CSU wiederholt zwar gebetsmühlenartig das Wort von der „Obergrenze“, ist aber ansonsten ganz zahm, weil sie fürchtet, ein neuer Streit zwischen den Unionsparteien könne bei den Wahlen schaden.
  3. SPD-Kandidat Schulz hat, so wie früher Gabriel, immer mal wieder den Versuch gemacht, das Thema anzusprechen. Aber da sich die Positionen der SPD in Wahrheit nicht von jenen der Union unterscheiden und weil er starken Widerstand der SPD-Linken befürchtet, sollte er für eine restriktive Zuwanderungspolitik plädieren, schweigt er lieber.
  4. Die Grünen und die Linken, die für eine grenzenlose Einwanderung sind, wissen, dass sie damit auch bei ihren Wählern nicht punkten können. Das trifft besonders für die Linke zu, die wegen der Flüchtlingspolitik in der Vergangenheit viele Wähler an die AfD verloren hat.
  5. Alle Parteien haben Angst, dass das Thema wieder hoch kocht, weil sie fürchten, dass dies der AfD nutzen könne.
Und die FDP?

Die FDP hat objektiv keinen Grund, das Thema klein zu halten. Sie war – anders als alle im Bundestag vertretenen Parteien – nicht an der Politik der Grenzöffnung beteiligt. Im Gegenteil. Christian Lindner hat in der Vergangenheit die Flüchtlingspolitik von Merkel scharf kritisiert. CDU-Generalsekretär Tauber hatte ihm deshalb bereits vorgeworfen, er spreche die gleiche Sprache wie Alexander Gauland von der AfD.

Von deutschen Fehlern profitiert Ostasien
Migration und Weltmarkt
In einem aktuellen Interview äußerte der FDP-Vorsitzende: „Die Zuwanderung wird für Europa ein prägendes Thema bleiben. Wir haben stark steigende Ausgaben für Hartz IV, wir haben eine steigende Arbeitslosigkeit von Geringqualifizierten. Wir haben steigende Flüchtlingszahlen, wir haben Wanderungsbewegungen in Afrika. Keines dieser Probleme ist gelöst … Es war falsch von Frau Merkel, ohne Absprache mit unseren europäischen Partnern die Grenzen zu öffnen. Wir waren damals zu Recht sehr kritisch. Aber jetzt muss man nach vorne schauen. Auf der europäischen Ebene werden Chancen vertan. Die Flüchtlinge sollten gar nicht erst aufs Mittelmeer gelangen. Und die Nichtregierungsorganisationen dürfen nicht zu Helfern der Schlepper werden … Auch edle Motive können zu schlechten Ergebnissen führen. Wenn auf eigene Faust und ohne Einbettung in eine internationale Strategie Rettungsschiffe unterwegs sind, ist das ein Signal an Schlepper, dass man Flüchtlinge alleinlassen kann. Das Ziel muss sein, dass Schlepperboote nicht die Küstengewässer verlassen können – und dass die Flüchtlinge an Bord an den Startplatz zurückkehren, statt nach Europa zu gelangen. Deutschland, Frankreich und Italien müssen ihr Engagement zur Schaffung stabiler Zonen in Libyen massiv verstärken. Außenminister Gabriel macht zu wenig. Das ist eine entscheidende Voraussetzung dafür, dass die Flüchtlinge zurück an die Küste gebracht werden können … Staaten, die keine Verantwortung für ihre Staatsbürger übernehmen, müssen Konsequenzen spüren. Das kann Entwicklungshilfe, Tourismus oder Handel betreffen.“ Lindner vertritt inhaltlich aus meiner Sicht die richtigen Positionen zum Thema, fürchtet aber wohl, wenn er es zu stark betont, könne man ihm auch „Rechtspopulismus“ vorwerfen.
Bestimmt die AfD, worüber (nicht) gesprochen wird?

Ich denke, Maßstab dafür, wie stark ein Thema im Wahlkampf angesprochen wird, muss erstens die objektive Wichtigkeit des Themas sein und zweitens die Frage, wie stark es die Bürger bewegt. Dagegen ist es falsch, wenn zum Kriterium dafür, ob über das Thema gesprochen wird, die Furcht vor Wahlerfolgen der AfD ist. Das hieße ja, dass die AfD darüber bestimmt, über welche Themen in Deutschland (nicht) diskutiert wird.

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