Tichys Einblick
Haushaltsdebatte

Warum die Schuldenbremse fallen wird

Noch bevor Friedrich Merz Kanzler wird, bricht er ein wichtiges Wahlversprechen: Die Schuldenbremse wird fallen. Wie das genau aussehen wird, wird sich an diesem Mittwoch vorentscheiden – doch die wesentlichen Akteure sind dafür. Auch einer, von dem man es nicht glauben mag.

picture alliance / ASSOCIATED PRESS | Ebrahim Noroozi

Friedrich Merz (CDU) ist kein Dummer. Diese Aussage ist banal. Sicher, sicher. Aber es ist doch nicht ganz unwichtig, diese banale Erkenntnis vorwegzuschicken. Denn einige zweitklassige Autoren arbeiten sich an dem designierten Bundeskanzler ab und stapeln dabei Synonyme für „unfähig“, wie es Kleinstkinder mit Bauklötzen tun. In ihrer sprachlichen Unbeholfenheit versuchen sie, den Wohlklang der Wörter durch Lautstärke zu ersetzen.

Doch Friedrich Merz ist kein Dummer. In dem, was er tut, lässt sich durchaus ein Sinn erkennen. Auch und gerade dann, wenn einem dieser Sinn nicht gefällt. Dass der Kurs, den er seit Februar – auch schon vor der Wahl – eingeschlagen hat, ihn beim Wähler durchfallen lassen könnte, ist dem Blackrock-Mann durchaus bewusst. Jüngst hat er sich intern geäußert, dass die Union angesichts der Aufhebung der Schuldenbremse wie ein Umfaller dastehen werde. Bereits vor der Wahl hat er öffentlich gesagt, dass die AfD in der nächsten Wahl 40 Prozent erreichen könnte, wenn die nächste Regierung nicht erfolgreicher arbeitet als die Ampel. Merz ist sich also durchaus des Abgrunds bewusst, der sich links und rechts seines Weges befindet – den er künftig ohne Bremse beschreiten will.

Trotzdem ist er ein Mann, der noch in der Bonner Republik wurzelt. Also greift er auf deren politischen Werkzeugkasten zurück: Dazu gehört es, vor der Wahl Versprechen zu machen, die man gar nicht einhalten will. Etwa das Festhalten an der Schuldenbremse oder die Entlastung des Bürgers um rund 100 Milliarden Steuer-Euro.

Ebenso ein Teil dieses Werkzeugkastens ist es, schlechte Nachrichten unmittelbar nach der Wahl zu verkünden. Wobei Merz der erste sein dürfte, der das bereits tut, noch bevor er im Amt ist. Aber wenn der kommende Kanzler schon sein Versprechen bricht, die Schuldenbremse abzuschaffen, dann hat er eh schlechte Presse und dann lohnt es sich, gleich richtig Schulden zu machen. 100 Milliarden Euro „Sondervermögen Bundeswehr“? Lächerlich. 200 Milliarden Euro „Doppelwumms“? Kindergarten. Merz‘ Team hat die Info gestreut, die neue Regierung werde rund 900 Milliarden Euro neuer Schulden aufnehmen – für das Militär und für defekte Straßen, Brücken und Schienen.

Friedrich Merz ist kein dummer Leut. Aber er ist aus der Zeit gefallen. Diese Instrumente mögen vor 40 Jahren funktioniert haben, als es genügte, sich in einem Bonner Lokal mit einem Kumpel von der FAZ und einem vom Staatsfernsehen so lange zu besaufen, bis es gute Presse gibt. 2025 aber gibt es im Internet eine kritische Bürger-Öffentlichkeit, die „Sondervermögen“ Schulden nennt – anders als die Schoß-Journalisten in Berlin. Eine Öffentlichkeit, die einem Politiker einen so dreisten Wortbruch nicht durchgehen lässt. Zumal Merz ein verschuldetes Amt übernimmt. Nicht nur pekuniär. Das Vertrauen der Bürger in die Politik ist in den negativen Bereich gerückt. Mit seinen Bonner Altherrentricks springt Merz nun denen mit dem Po ins Gesicht, die sich bemühen, noch an was Gutes in der Politik glauben zu wollen.

Trotz alledem ist Friedrich kein Dummer. Die CDU hat einen Vorsitzenden mit einer guten Ausbildung und vielen beruflichen Erfolgen. Themenwechsel: Die SPD hat Saskia Esken als Vorsitzende. Die hat sich während einer Pressekonferenz geärgert, als Journalisten sie öffentlich damit konfrontierten, dass Merz‘ Team gestreut hat, dass die Union in Sachen Schuldenbremse nicht nur nachgeben will – sondern gleich über neue Schulden in Höhe von bis zu 900 Milliarden Euro reden will. Erstaunlich. Denn es war ja die SPD, die mit der Lockerung der Schuldenbremse Wahlkampf gemacht hat.

Warum ist die SPD also jetzt inhaltlich gegen neue Schulden? Kleiner Scherz. Mieser Trick. Als ob es der SPD um Inhalte ginge. Es ist Machtinstinkt. Drei „große Koalitionen“ sind die Sozialdemokraten seit 2005 als Juniorpartner der Union eingegangen. In dieser Zeit hat sich ihre Wählerschaft halbiert und ist die AfD auf Platz zwei der stärksten Parteien davongezogen. Esken hat Angst davor, ihre Partei in die nächste Juniorpartnerschaft mit der Union zu führen. Immerhin. Machtinstinkt hat sie.

Merz ist ein kluges Etwas und macht nun genau das, womit seine Vorgängerin Angela Merkel die SPD in der Koalition schrumpfen ließ: Hat der kleinere Partner endlich mal ein Thema, das mehrheitsfähig ist und mit dem sie für sich punkten könnte, dann räumt sie es selbst ab und sammelt die entsprechenden Punkte. Nach einer weiteren Halbierung der Wählerschaft stünde die SPD bei 8,2 Prozent. Im Bund. In Baden-Württemberg könnte im März 2026 schon ernsthaft die Rede davon sein, ob es die SPD nochmal in diesen Landtag schafft. Es stört die SPD, dass nun der Kanzler dieses Thema besetzt. Das ist alles. Ansonsten ist die Partei noch an Bord.

Für ein wie auch immer gestaltetes Ende der Schuldenbremse braucht es im Parlament neben der SPD und der Union auch die Grünen. Bis Ende März ist noch der alte, der 20. Bundestag in Kraft. Im neuen, im 21. Bundestag bräuchte es obendrein noch die Stimmen der Linken. Eigentlich wäre es ein smarter Zug von Merz, das Thema bis dahin zu verschleppen. Dann könnte der neue Kanzler die Linken vor das gleiche Dilemma stellen wie in der Pandemie: Erfüllen sie die Interessen ihrer Wähler? Dieses Mal mit einer Verweigerung höherer Ausgaben fürs Militär? Oder geben sie dem Druck der Allparteienkoalition nach und stimmen für ein „Sondervermögen“? Allein 400 Milliarden Euro neuer Schulden nur für die Aufrüstung. Der linke Rausch könnte rasch in kalten Entzug übergehen.

Die Position der Grünen rational darzustellen, ist nicht schwer. Es ist zurzeit unmöglich. Mit Meldungen von vermeintlich zigtausend neue Mitgliedern und salbungsvollen täglichen Botschaften des Gottkaiserkandidaten Robert Habeck haben sie sich selbst glauben lassen, sie würden die Wahl gewinnen. Das tatsächliche Ergebnis hat sie mit der Wucht getroffen, mit der Mike Tyson eine altersschwache Oma umhauen würde. Der Treffer wirkt noch, die Grünen torkeln durch die politische Landschaft und geben unkoordiniert Statements ab. Etwa Konstantin von Notz, der öffentlich von einer russischen Wahlverschwörung schwurbelt. Wenn die Grünen nun dem Ende der Schuldenbremse zustimmen, dann nur, weil sie das zu einer Zeit wollten, als sie noch über eine Orientierung verfügten.

Bliebe noch ein Player in diesem Spiel. Der Bürger. Das werden manche jetzt hier nicht gerne lesen. Aber sie können ihren Unmut darüber ablassen, indem sie in den Kommentaren nahezu exklusiv mitteilen, dass der Autor früher für die Grünen gearbeitet hat. Aber genug geschnackt, zurück zur bitteren Wahrheit: Den meisten Bürgern ist es recht, wenn die Politik die Haushalts-Disziplin aufgibt. Aus unterschiedlichen Gründen.

Die Älteren, etwa die im Rentenalter, sind noch zugänglich für ARD und ZDF. Die Trump-Dämonisierung des Staatsfernsehens verfängt bei ihnen. Wenn dann ein Kanzler sagt, wir müssen unbegrenzt Schulden machen, weil Putin und Trump … dann halten sie das für verantwortungsvoll. Die Generation der heute 30- bis Mitte-50-Jährigen indes ist mit der Gesamtsituation unzufrieden: Sie muss bereits für die Schulden aufkommen, die ihnen die Boomer-Generation aufgehalst hat. Nun soll sie den Haushalt für die kommende Generation fitmachen?

Angesichts der eh schon hohen Belastung ist es falsch und unseriös, aber humanwesentlich nachvollziehbar, sich selbst auch mal einen Schluck aus der Pulle gönnen zu wollen. Nach uns die Sintflut. Blieben die Jüngeren. Die wählen mehrheitlich die Linken und haben Mathematik auf deutschen Schulen gelernt – wer will da die Aufgabe übernehmen, ihnen zu erklären, wie enorme Staatsverschuldung eine Abwärtsspirale aus Preissteigerung, höheren Steuern und fehlender Wettbewerbsfähigkeit in Gang setzt?

Die Schuldenbremse ist wie die Ampel. Noch in Kraft. Irgendwie. Aber eigentlich schon Geschichte. Ob die „große Koalition“ nun „Sondervermögen“ gründet, weil sich das besser anhört als Schulden. Oder ob sie die Schuldenbremse gleich aufweicht oder ganz abschafft. Es ist eigentlich egal und bedeutet so oder so einen Dammbruch. Schon jetzt – noch vor dem Ende der Schuldenbremse – überschlagen sich Abgeordnete und „Nichtregierungsorganisationen“ mit Vorschlägen wie „Sondervermögen für Soziales“ oder „Sondervermögen fürs Gesundheitswesen“. Es ist noch Suppe da, wer hat noch nicht, wer will nochmal.

Dazu passt, dass die Christdemokratin Ursula von der Leyen nun in Brüssel die Haushaltsdisziplin gänzlich aufgeben will. Bisher nahm die Merkel-Schülerin die Pandemie und den „Green Deal“ als Vorwand, um Steuergeld schneller durch die Gegend zu werfen als Kamellen auf einem Karnevalszug. Nun sind es Pump und Trutin. Das Angstszenario soll eine berechtigte Sorge überspielen: die um die Stabilität des Euro. Denn die Schulden für den Frieden werden schnell zum Vorwand, das Versprechen zu brechen, das den Deutschen mit Einführung der Währung gemacht wurde: Griechische, portugiesische, französische, spanische oder italienische Schulden würden dann irgendwann auch offiziell zu deutschen Schulden. Dann hat sich ohnehin jede Haushaltsdisziplin erledigt. Friedrich Merz weiß das. Er ist ein kluger Zweibeiner.

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