Tichys Einblick
Wie Özil fühlen die meisten Türkischstämmigen

Warum die Diskussion um Özils Rücktritt unehrlich ist

An Özils Stelle würde sich Rainer Zitelmann auch ungerecht behandelt fühlen: Denn die Haltungen und Einstellungen, für die Özil kritisiert wird, sind prototypisch für hier lebende Türkischstämmige. Nur haben viele Politiker und Medien bisher die Augen zugemacht.

John MacDougall/AFP/Getty Images

Eine Ende 2017 durchgeführte Umfrage unter 2800 türkischstämmigen Bürgern in Deutschland ergab: 72 Prozent erklärten, unter „Heimat“ verstünden sie die Türkei, nur 26 Prozent sagten dies für Deutschland. Die Umfrage hatte das Meinungsforschungsinstitut Data 4U im Auftrag des NDR-Magazins Panorama – Die Reporter durchgeführt. Hier die sehr lesenswerte Studie im vollen Wortlaut.

Abgesang
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Es wurden 2.839 türkischstämmige Migranten befragt, darunter 1.037 mit einem deutschen oder mit einem Doppelpass. Die Befragung zeigt: Die Diskussion über Mesut Özil ist scheinheilig. Denn es wird nicht offen ausgesprochen und thematisiert, dass viele Türkischstämmige so denken und fühlen wie er. Özil steht für eine Grundhaltung, die eher die Regel als die Ausnahme bei Zuwanderern aus der Türkei und deren Nachkommen ist.
Als „Heimat“ wird die Türkei empfunden – nicht Deutschland

Das Umfrageinstitut wollte von den befragten Türkischstämmigen wissen, wie stark der Begriff „Heimat“ für sie mit Deutschland oder mit der Türkei verbunden sei. Vorgegeben wurde eine Skala von 1 bis 10, wobei 1 hieß, dass man das Land gar nicht als Heimat empfinde und 10, dass man das Land voll und ganz als seine Heimat empfinde. Ergebnisse:

Bemerkenswert: Jeder Dritte Befragte erklärte, dass in den vergangenen Jahren das Heimatgefühl für die Türkei sogar noch zugenommen habe.

Özils Haltung, der sich beispielsweise konsequent weigerte, vor Spielen die deutsche Nationalhymne mitzusingen, der jetzt nach seinem Rücktritt pauschal von „Rassismus“ spricht, wenn er wegen des Fototermins mit dem türkischen Präsidenten Erdogan kritisiert wird, zeigt also eine Haltung, die für die Mehrheit der türkischstämmigen Migranten in Deutschland charakteristisch ist.

Das Problem ist nicht Özil, sondern die missglückte Integration

Insofern ist es in der Tat unehrlich, jetzt alle Kritik auf Özil abzuladen. Das Problem ist nicht die Haltung von Özil allein, sondern das Problem ist die nicht geglückte Integration. Und daran sind beide Teile schuld:

Özil selbst ist Deutscher – er ist in Gelsenkirchen geboren – und hat keinen türkischen Pass. Aber seine Bewunderung für Erdogan teilt er mit den hier lebenden Türken, wie alle Wahl- und Abstimmungsergebnisse der vergangenen Jahre belegen:

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Sogar der frühere Grünen-Chef Cem Özdemir musste nach der Wahl zugeben: „Die feiernden deutsch-türkischen Erdogan-Anhänger jubeln nicht nur ihrem Alleinherrscher zu, sondern drücken damit zugleich ihre Ablehnung unserer liberalen Demokratie aus.“

An Özils Stelle würde ich mich auch ungerecht behandelt fühlen: Denn all seine Haltungen und Einstellungen sind geradezu prototypisch für in Deutschland lebende türkischstämmige Migranten. Nur haben viele davor bisher die Augen zugemacht. So hatte Angela Merkel Özil zum Musterbeispiel für gelungene Integration stilisiert und sich nach den Erodgan-Fotos ausdrücklich vor ihn gestellt. Und Claudia Roth von den Grünen versuchte mit billigen Rechentricks, die breite Zustimmung der in Deutschland lebenden Türken für Erdogan zu leugnen.

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