Tichys Einblick
Ostbeauftragter Marco Wanderwitz

„Aber mich als Ostdeutschen zu bezeichnen …, das käme mir nie in den Sinn“

Über die Ostdeutschen urteilte Wanderwitz vor kurzem faktenfrei: „Wir haben es mit Menschen zu tun, die teilweise in einer Form diktatursozialisiert sind, dass sie auch nach 30 Jahren nicht in der Demokratie angekommen sind.“

IMAGO / Jürgen Heinrich

Wirft man einen Blick auf die Äußerungen des Beauftragten der Bundesregierung für die neuen Bundesländer, kurz Ostbeauftragter, fragt man sich, wovor Marco Wanderwitz flieht. Projektion nennt man das Phänomen, wenn man eigene, sehr individuelle Probleme oder Ansichten auf eine Gruppe von Menschen überträgt.

Über die Ostdeutschen urteilte Wanderwitz vor kurzem faktenfrei: „Wir haben es mit Menschen zu tun, die teilweise in einer Form diktatursozialisiert sind, dass sie auch nach 30 Jahren nicht in der Demokratie angekommen sind.“ Um seinen Verschwörungstheorien ein seriöses Gepräge zu geben, nennt er seine Mutmaßungen Analyse: „Teil meiner Analyse ist ja, dass ein nicht unerheblicher Teil der AfD-Wähler leider dauerhaft für die Demokratie verloren ist. Insofern gibt es da keinen Lösungsansatz mehr, außer die Brandmauer möglichst hoch zu ziehen.“

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Eine Brandmauer wurde übrigens auch am 13. August 1961 möglichst hoch gezogen, weil die DDR-Führung für die Flucht kritisch denkender Menschen, für die Abwanderung von Fachkräften und Spezialisten keinen anderen Lösungsansatz mehr sah. Die Brandmauer wurde laut Eduard von Schnitzler zur Rettung des Friedens und der Demokratie errichtet. Für Schnitzlers Demokratie mit Sicherheit.

Doch AfD-Wähler sind nicht nur laut Marco Wanderwitz für die Demokratie verloren, sondern sie stellen als „Pandemieverbreiter” sogar eine Gefahr für das Leben und den Wohlstand der übrigen Bürger dar, sind also gemeingefährlich, denn: „Es gibt zwischen der Zustimmung für die AfD und Impfablehnung einen klaren Zusammenhang.“ Die Welt leitete Wanderwitzens Äußerung gegenüber der Funke Mediengruppe mit dem Satz ein: „Wissenschaftlich belegt ist der Zusammenhang aber bisher nicht.“

Vielleicht bestellt sich der Ostbeauftragte in seiner Not auf Steuerkosten noch eine „Studie“.

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Weiter behauptet Wanderwitz: „Sämtliche AfD-Funktionäre leugnen Corona und raten vom Impfen ab.“ Sämtlich heißt in diesem Zusammenhang alle! Sowohl Jörg Meuthen, als auch Alexander Gauland haben sich impfen lassen, sie leugnen weder Corona, noch raten sie vom Impfen ab. Also doch nicht alle, doch nicht „sämtliche AfD Funktionäre“. Oder wurden Meuthen und Gauland inzwischen aus der AfD ausgeschlossen? Weiß Marco Wanderwitz hier etwas, was sonst niemand außer ihm weiß?

Zudem „leugnet“ man Corona nicht, wenn man vom Impfen abrät. Man würde dann nur das Impfen als falsche Maßnahme gegen Corona sehen. Wieder liegt Marco Wanderwitz mit seinen persönlichen „Analysen“ falsch.

Auch die Behauptung des Ostbeauftragten von Merkels Gnaden, dass der frühere US-Präsident Donald Trump aggressiv gegen das Impfen sowie gegen sämtliche Corona-Maßnahmen vorginge, steht im Widerspruch zu den Tatsachen, denn wie berichteten Frankfurter Rundschau und der Spiegel vor kurzem: auf die Frage der Moderatorin des Senders Fox News antwortete Donald Trump über die Impfung: „Ich würde es vielen Menschen empfehlen, die sie nicht wollen – und viele der Menschen haben für mich gestimmt, wirklich.“ Und: „Wir haben unsere Freiheiten und müssen uns daran halten, und das sehe ich auch so. Aber es ist eine großartige Impfung, es ist eine sichere Impfung.“

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Auf den Spuren des Hobbyapokalyptikers Karl Lauterbach wandelnd prophezeit Marco Wanderwitz dem Osten „im Herbst aufgrund der Delta-Variante eine Corona-Welle …, die das Gesundheitssystem erneut an seine Grenzen bringen werde.“ (Welt). Auch hier lebt Marco Wanderwitz in seiner eigenen, in seiner Marco Wanderwitz Welt, denn das deutsche Gesundheitssystem ist bisher noch nicht an seine Grenzen gestoßen. In Marco Wanderwitz Welt wird Corona zu einem politischen Strafgericht. In der frühen Neuzeit versetzten Bußprediger ihrer Zuhörer in Angst und Schrecken vor dem strafenden „Engel Syphilis“ für unkeusches Verhalten.

Armer, armer Marco Wanderwitz, nicht einmal sich selbst kann er mit seinen Thesen, die nur falsifiziert, nicht aber verifiziert werden können, überzeugen, denn er schränkt ein, dass seine Aussagen als „politische“ Bewertungen zu verstehen seien, denn der Zusammenhang zwischen Impfakzeptanz und politischer Einstellung ist wissenschaftlich nicht nachgewiesen.

Ostdeutsche wissen, dass politische Bewertungen, also die vom Klassenstandpunkt aus vorgenommen worden waren, mit der Realität nichts zu tun hatten, sondern Verfügungen der Macht aus ideologischen Gründen darstellten, weil sich die Realität mal wieder querstellte. Das härteste Argument gegen Tatsachen, gegen die Realität in der DDR lautete: „Das musst du politisch sehen!“ Oder: „Das musst du vom Klassenstandpunkt aus sehen!“

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Wer sich den Verfügungen der Macht nicht unterwarf, sondern sich weiterhin an die Realität und nicht an den Klassenstandpunkt oder die politische Bewertung hielt, der war natürlich den „Argumenten“ der Macht nicht zugänglich.

Wenn es, wie Marco Wanderwitz behauptet, ein Kennzeichen der AfD-Wählerschaft wäre, dass sie für die Argumente von Marco Wanderwitz nicht zu gewinnen sei, dann arme CDU, dann dürfte die AfD bei den Bundestagswahlen locker die absolute Mehrheit einfahren. Marco Wanderwitz unternimmt jedenfalls alles in seiner Macht stehende dafür, er ist derzeit der beste Wahlhelfer der AfD im Osten.

Unterdessen gab der Ostbeauftragte der Bunderegierung der dpa zu Protokoll: „Aber mich als Ostdeutschen zu bezeichnen …, das käme mir nie in den Sinn“.

Und in diesem, und nur in diesem Punkt stimme ich Marco Wanderwitz vollkommen zu, auch ich würde ihn nicht als Ostdeutschen bezeichnen. Damit wäre er der erste nicht ostdeutsche Beauftragter der Bundesregierung für die neuen Bundesländer.


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