Eine Zen-Geschichte mahnt den neuen Schüler, seine »Tasse zu leeren« – sprich: Vorurteile und überkommene Lehrinhalte loszulassen – und als »leere Tasse« an Zen heranzutreten. Jesus vergleicht seine Lehre vom Himmelreich mit »lebendigem Wasser«. Der Ganges ist der bekannteste unter den heiligen Flüssen des Hinduismus. Monotheistische Religionen verknüpfen ihren Ritus oft mit Wasser, wie etwa das Christentum, das vom rituellen Bad der Juden, der »Mikwah« inspiriert, die Taufe entwickelt, oder der Islam, der seine Gläubigen zur rituellen Waschung vor dem Gebet anleitet.
Die Verbindung von Denkweisen und Wasser hat gute Tradition. Denkschulen und Wasser haben so viele strukturelle Ähnlichkeit, dass die Ideen im Ritus gelegentlich untrennbar mit dem applizierten H2O verflochten wurden. Doch, all die Religionen zielen auf ein Ideal, auf einen vollkommenen Zustand, und damit wird stets so getan, als ob das Wasser vollkommen rein und heilsam wäre.
In der Realität ist das Wasser, das uns täglich begegnet, eben nicht vollkommen rein. Das Wasser des Ganges etwa mag rituell reinigen, zugleich funktionieren die Klärwerke, so es sie denn gibt, nicht immer bestmöglich, und so gelangt mancher Unrat in den heiligen Fluss.
Schmutziges Wasser
Auch gänzlich ohne Ritus konsumiertes Wasser ist nicht immer so sauber, wie ein Arzt oder einfach nur ein auf Hygiene bedachter Mensch es sich wünschen würde!
Laut Schätzung von UNICEF haben aktuell 2,1 Milliarden Menschen keinen Zugang zu sauberem Trinkwasser und fast 900 Millionen haben überhaupt keinen Zugang zu Wasserversorgung (unicef.de). Während vielen Westlern das wunderbare Trinkwasser, das sie aus der Wasserleitung erhalten, nicht edel genug ist und sie noch edleres Trinkwasser in Plastikflaschen kaufen, hat ein Teil der Weltbevölkerung überhaupt keine geregelte Wasserversorgung.
Die einfachste und doch wichtigste Frage lautet: Was trinken diese Menschen dann? Die brutale Antwort wird oft lauten: Sie trinken schmutziges Wasser.
Menschen trinken schmutziges Wasser nicht, weil sie schmutziges Wasser mögen, sondern weil sie schrecklichen Durst haben, aber kein sauberes Wasser.
Drei Gruppen von Meldungen
Die meisten politischen Meldungen in Deutschland lassen sich heute in eine von drei Gruppen einsortieren:
- Vor allem in regierungsnahen Medien liest man: Es läuft alles super und bis auf ein paar Nazis lieben alle die Kanzlerin, wie diese neue Studie von Stiftung X belegt.
- Es ist Gewalt in den Straßen der »Brennpunkte«, Menschen werden dort überfallen und manchmal getötet, Frauen werden bedrängt und die Aktiven vor Ort (Soziologen, Lehrer, Polizisten) schlagen Alarm – wenn sie es nicht längst aufgegeben haben. Die Regierungskoalition hat zugleich jeden Anstand fallengelassen, die Parteien drehen sich um sich selbst und ihre eigenen Geschäfte, man liefert weiter Waffen an Staaten, die auf Menschenrechte spucken, die Parteien interessieren sich für nichts mehr außer Pöstchenverteilung und Machterhaltung – nur in einem sind sie sich einig:
- Die AfD ist schlimm. Trump ist auch schlimm, aber die AfD ist besonders schlimm.
Egal, was in Deutschland passiert, ob Morde oder politische Mauscheleien, man hört immer schnell die Mahnung: »Das nutzt bestimmt wieder den Populisten, den Rechten, der AfD« – und man hat oft nicht einmal Unrecht damit. Ob jemand an der unhinterfragbaren Wahrheit jedes Kanzlerinnenwortes zu zweifeln wagt, ob ein Deutscher von einem Flüchtling getötet wird, ob ein SPD-ler wieder mal vulgär herumpöbelt, ob man wieder mal allzu offensichtliche Machtspielchen treibt, ob man in inzwischen gewohnheitsmäßiger Persönlichkeitsspaltung die Entscheidungen kritisiert, die man selbst gerade getroffen hat – stets wird man Mahnungen hören, das sei »Wasser auf die Mühlen der AfD« (wieder das Wasser, siehe z.B. bild.de, 15,9.2018), es sei »Futter für die AfD-Wähler« (als ob es Tiere wären, siehe z.B. correctiv.org, 27.12.2016), es spielt »der AfD in die Hände« (morgenpost.de, 19.9.2018).
Was für ein Wasser ist das?
Das Wasser eines Sees hat nicht an allen Stellen die gleiche Temperatur und nicht die gleiche Zusammensetzung. Wenn Sie eine Wasserprobe nehmen, werden sie im schattigen Uferbereich andere Anteile etwa von Algen finden als in der Mitte des Sees, wo den ganzen Tag die Sonne scheint.
Auch die Botschaft einer Partei ist nicht überall dieselbe. Wenn Sie sich im Westen mit einem der von CDU oder FDP kommenden AfD-Mitglieder unterhalten, werden Sie eine andere politische Botschaft erhalten, als wenn Sie mit dem Höcke-Flügel in Thüringen reden.
Und doch: ein See ist ein See, selbst wenn sich die Konzentration der Botschaft unterscheiden mag, das Wasser tauscht und mischt sich doch. Wer das Wasser am einen Ende des Sees trinkt, der trinkt eben auch mit, was am gegenüberliegenden Ufer im Wasser schwimmt. Wer die AfD im Norden oder im Süden wählt, der wählt ein kleines Bisschen auch die AfD im Osten mit; anders als die Wahlkämpfer der anderen Parteien ihm einreden wollen, tut er es in anderer Konzentration, eine Stimme für die bayerische AfD ist zuerst eine Stimme eben für diese; und doch: mögliche Rechtsaußen-Kontakte von einzelnen Politikern färben das Wasser des gesamten Sees.
Die AfD-Wähler wissen beides: Sie wissen, dass das Wasser des Sees nicht überall gleich ist, und sie wissen zugleich, dass es dennoch ein einziger See ist, und was an einem Ufer wächst, färbt und trübt auch das Wasser an den anderen Ufern mit, selbst wenn die Trübung dort geringer sein mag.
Warum trinken Sie es dann?
In Brandenburg regiert seit 2014 der SPD-ler Dietmar Woidke in einer rot-roten Koalition mit der umbenannten SED, doch ein Jahr vor der nächsten Brandenburger Landtagswahl hat die AfD in Umfragen mit der SPD auf 23 % gleichgezogen (siehe rbb24.de, 19.9.2018).
Warum würden besonders im Osten so viele Menschen die AfD wählen?
Die Begründung ist einfach: Wahrheit ist wie Wasser. DDR-Bürger wurden jahrzehntelang angelogen, und es tat ihnen weh, ein Schmerz, an den sich einige (aber nicht alle) von ihnen bis heute erinnern. West-Deutsche dagegen bekamen zwar nach dem Zweiten Weltkrieg die radikale Wahrheit serviert, doch durch Öffentlich Rechtliche Bedudelung und den Siegeszug der 68-er lernten Westdeutsche, sich mit der süßen Lüge abzufinden.
Bei allen Unappetitlichkeiten der AfD gibt es eben auch sehr, sehr wichtige Wahrheiten, die andere Parteien nicht nur ignorieren, sondern aktiv leugnen und ihr Aussprechen mit steuerfinanzierter Propaganda bekämpfen. Eine der Wahrheiten, welche von den »Anständigen« ignoriert oder aktiv geleugnet wird: Ernsthafte Argumente sprechen dagegen, dass ein konsequent gelebter Islam mit moderner Demokratie direkt kompatibel ist – und spätestens wenn er in der Mehrheit ist, sprechen wenige Anschauungsbeispiele dafür.
Es ist für die Zukunft der westlichen Gesellschaft keine triviale Frage, ob und wie die verschiedenen Geisteshaltungen zusammenleben können – und wen soll jemand wählen, der es gefährlich findet, diese überlebenswichtige Frage aus Gründen »politischer Korrektheit« zu ignorieren?
Man könnte den Standpunkt von Haltungsjournalisten und etablierten Parteien so zusammenfassen: Wir geben euch kein Wasser, aber wehe ihr trinkt das Wasser, das hier und da etwas schmutzig ist. Verdurstet doch!
Der AfD-Wähler entscheidet sich, dass etwas Erde im Wasser besser ist als zu verdursten.
Sie blieben durstig
Parteien und Journalisten versuchen, die AfD zu bekämpfen, indem sie die Lüge attraktiver machen (Rock-Konzerte! Gratis-Limonade!) und die Wahrheit dämonisieren (Rechtspopulismus! Hetze!). Es ist eine Sisyphus-Arbeit, und der Berg wird immer rutschiger, der Stein rollt von Mal zu Mal schneller zurück.
Die Wähler der AfD wissen, dass das Wasser hier und da etwas trüb ist. Wähler und Politiker kommen oft von anderen Parteien her; sie haben versucht, von der »offiziellen Wahrheit« zu trinken, doch sie blieben durstig.
Ja, ich bin dafür, dass alle übrigen Parteien die AfD bekämpfen – und zwar, indem sie ihr den Slogan »Mut zur Wahrheit« klauen und auch praktisch umsetzen – desweiteren bin ich dafür, dass alle Parteien alle anderen Parteien bekämpfen, mit Argumenten und mit Wahrheit, das nennt man demokratische Debatte und ist in Zeiten der linksgrünen Einheitsmeinung etwas in Vergessenheit geraten.
Wenn jedes einzelne Ereignis und auch sein Gegenteil »der AfD nutzt«, wofür um des Himmels lieben Willen stehen die übrigen Parteien? Liebe Parteien und Journalisten, die ihr euch für »die Guten« haltet: Wenn das Aussprechen der Wahrheit »den Falschen« nutzt, dann stimmt etwas mit »den Richtigen« nicht.
Dieser Beitrag erschien zuerst auf dushanwegner.com.
Dushan Wegner (geb. 1974 in Tschechien, Mag. Philosophie 2008 in Köln) pendelt als Publizist zwischen Berlin, Bayern und den Kanaren. In seinem Buch „Relevante Strukturen“ erklärt Wegner, wie er ethische Vorhersagen trifft und warum Glück immer Ordnung braucht.