Tichys Einblick
Thüringen und Sachsen wählen seit August

Nur „Papierwahlen“ sind fälschungssichere Wahlen

Der 1. September ist in Thüringen und Sachsen nicht der erste, sondern letzte Wahltag. Das ist der Briefwahl zu verdanken und ihren Tücken. Doch es gibt mit der "Alternativen Glaubhaftmachung" ein wenig beschriebenes, aber eher noch explosiveres Feld. Von Dieter Schneider

picture alliance/dpa | Patrick Pleul

Dieter Schneider ist erfahren wie kaum einer in allen Untiefen von Wahlverfahren und Wahlpraxis. Sein Augenmerk richtete sich mit der Zeit immer mehr auf die  Manipulationsmöglichkeiten. Schon Josef Stalin dürfte mit seinem berühmten Wort, dass es aufs Zählen ankommt, nicht aufs Wählen (in den Stimmbezirken) das spätere Zusammenzählen gemeint haben. Das Thema wird TE weiter beschäftigen. Hier der Einstieg.

Für das vorläufige amtliche Wahlergebnis zählen am Wahlabend anonym bleibende „Staatsdiener“ durch Ihre Eingabe in eine spezielle EDV-Datei zusammen.

Ein zweites Mal auf Grund der Wahlniederschriften wird nicht mehr oder wieder durch andere oder die gleichen anonymen Staatsdiener zusammengezählt.

Der Unterschied zwischen Zählen und Zusammenzählen

Im Wahlprogramm des US-Präsidentschaftskandidaten Donald Trump steht unter Punkt 1 (von 20 Punkten): Unsere Wahlen sichern, einschließlich Wahlen am selben Tag, Wähleridentifikation, Papierwahlen und Nachweis der Staatsbürgerschaft.
Mit „Wahlen am selben Tag“ ist offensichtlich die Abschaffung der Briefwahl über mehrere Wochen als Alternative zur herkömmlichen Urnenwahl an einem Tag in einem örtlichen Wahllokal gemeint.

Der 1. September ist in Thüringen und Sachsen nicht der erste, sondern der letzte Wahltag

In Deutschland sieht es bei den bereits laufenden Landtagswahlen in Thüringen und Sachsen so aus: Die Wahl in Thüringen begann am 12. August und beginnt nicht erst am 1. September. In Sachsen hat sie sogar eine Woche früher begonnen. Der 1. September ist nicht der erste und einzige Wahltag, sondern der letzte Wahltag.

Ab 12. August können Erfurter Wahlberechtigte ihre Stimmen auch in einem sogenannten „Wahlbüro“ abgeben. Da können sie ihre verschlossenen roten Wahlbriefe mit den inliegenden verschlossenen blauen Stimmzettelumschlägen und dem darin enthaltenen entsprechend angekreuzten Stimmzetteln in eine „Wahlurne“ werfen. (So die Beschriftung einer bei Wahlen üblichen Tonne bei der letzten Briefwahl im Rathaus meiner Heimatstadt.)

Diese „Wahlurne“ ist aber nichts anderes als eine besondere Form eines Gemeindebriefkastens

Aber gewählt ist gewählt, auch wenn diese Simulation einer vorzeitigen Urnenwahl nachdenklich machen muss. Vielleicht soll misstrauischen Briefwählern die Sorge genommen werden, ihr Wahlbrief könnte auf irgendeine Weise unterwegs verloren gehen. Da in meiner Heimatstadt in Hessen drei junge Damen von der Stadtverwaltung im „Wahlbüro“ gleichzeitig bereitsaßen, den Wählern zu helfen, nicht nur korrekt, sondern möglichweise auch „richtig“ zu wählen, sind auch andere Erklärungen möglich.

Die Diskussionen um die erhöhte Gefahr von Manipulationen bei Briefwahlen sind mehr oder weniger bekannt und sollen an dieser Stelle auch nicht angereichert werden. Vielmehr soll auf die oben zitierte Forderung nach „Papierwahlen“ eingegangen werden. Und das nicht im Hinblick auf die dieses Jahr stattfindenden Wahlen in den USA, sondern im Hinblick auf die gerade begonnenen Wahlen in Thüringen und Sachsen.

„Alternative Glaubhaftmachung“

Auf diesen Begriff bin ich erstmals gestoßen, als auf TE und anderen Medien berichtet wurde, dass in deutschen Konsulaten in manchen Staaten auf Anweisung des Auswärtigen Amtes hin auch ohne fehlende „Papiere“ auf Grund glaubwürdig klingender Geschichten Visa ausgestellt wurden.

Was hat nun diese Alternative Glaubhaftmachung mit dem aktuellen deutschen Wahlrecht zu tun?
Sehr viel!

Das vorläufige amtliche Wahlergebnis, das am Wahlabend verkündet wird, ist eine Art Alternativer Glaubhaftmachung, denn das vorläufige amtliche Wahlergebnis beruht nicht auf den Wahlniederschriften auf Papier, sondern auf fernmündlichen Durchsagen der Ergebnisse am letzten Wahltag durch die Wahlvorstände der Wahlbezirke an die Gemeinden, wo sie von Gemeindemitarbeitern in ein spezielles EDV-Programm eingegeben werden.

Nun verlautbarte die Bundeswahlleiterin im Hinblick auf die nach deutschem Wahlrecht durchgeführte EU-Wahl 2024:

Das endgültige (amtliche) Wahlergebnis wird anhand der Wahlniederschriften – also anhand physischer Dokumente – auf Papier – ermittelt. Das kann nicht durch Cyberangriffe manipuliert werden.

Das entspricht aber nicht der Praxis der Stimmauszählung in wahrscheinlich fast allen Gemeinden.

Denn die sieht so aus: Am Wahlabend werden – wie schon beschrieben – die Wahlergebnisse durch telefonische Durchgabe („Alternative Glaubhaftmachung“) in eine EDV-Datei eingespeist und dann als vorläufiges amtliches Wahlergebnis über die Medien bekanntgegeben.

Die Wahlniederschriften mit den vom gesamten Wahlvorstand eines Stimmbezirkes bestätigten Ergebnissen gehen meistens erst am nächsten Tag bei der Gemeinde ein. Dazu ist zu bemerken, dass sie eigentlich bei von oben bestellten Kreiswahlleitern eingehen müssten. Die haben aber keinen eigenen Verwaltungsapparat, sondern delegieren die persönlichen Übergaben und folgende Auswertung der Wahlniederschriften an Gemeindemitarbeiter.

Die Wahlniederschriften haben als Anhang interessante Dokumente (auch auf Papier):
• Alle Stimmzettel, die durch Mehrheitsbeschluss der einzelnen Wahlvorstände für ungültig erklärt wurden
(und nur bei Briefwahlen):
• Alle geöffneten roten Wahlbriefe mit ungeöffneten blauen Stimmzettelumschlägen, die wegen festgestellter Unregelmäßigkeiten zurückgewiesen wurden (z. B. fehlende Unterschrift auf der beiliegenden Erklärung, Zusätze auf inliegendem Papier, unverschlossener blauer Stimmzettelumschlag).

Werden für ungültig erklärte Stimmzettel dann doch als gültig anerkannt, erhöht das die Wählerzahl und Stimmen für die verschiedenen Parteien.

Bei der EU-Wahl waren das bei rund 40 Millionen Wählern in Deutschland 27.686 zunächst (also mit dem vorläufigen amtlichen Ergebnis festgestellte) ungültige Stimmen, die dann durch Überprüfung der Wahlniederschriften für gültig erklärt wurden. Diesbezüglich scheint die Aussage der Bundeswahlleiterin zutreffend zu sein, dass mit der Auswertung der Wahlniederschriften die vorläufigen amtliche Wahlergebnisse berichtigt werden können.

Mit den zweiten Anlagen, den zurückgewiesenen Wahlbriefen, ist es schon schwieriger. Die erscheinen, obwohl sie in der Wahlniederschrift rechnerisch festgehalten werden müssen, weder im vorläufigen amtlichen Wahlergebnis noch im endgültigen amtlichen Wahlergebnis. Sie verschwinden rechnerisch spurlos in der Zahl der Nichtwähler. Es ist demnach von außen nicht mehr erkennbar, wenn auffallend viele Wahlbriefe in den einzelnen Stimmbezirken zurückgewiesen wurden.

Die eigentlichen Wahlniederschriften werden auch nur auf formale Fehler überprüft. Es wird weder ein zweites Mal gezählt, noch werden die zwei Einzelergebnisse für jeden Stimmbezirk (vorläufiges amtliches Wahlergebnis in der EDV und Nachzählung auf Grund der Wahlniederschriften für jeden Stimmbezirk) systematisch verglichen.
Es bleibt also mit minimalen und damit unbedeutenden Abweichungen bei der alternativen Glaubhaftmachung für die Wahlergebnisfindung auf Grund telefonischer Durchsagen und folgender Eingabe in das EDV-System.

Dafür nur ein Beispiel: Bei der EU-Wahl in meiner Heimatstadt waren die vorläufigen und endgültigen Wahlergebnisse für alle Parteien, die mindestens einen Sitz im EU-Parlament errungen haben, identisch. Eine Kleinstpartei wurde von 56 auf 58 Stimmen bei 73.758 Wählern hochgestuft, die nächstfolgende von 43 auf 41 Stimmen herabgestuft. Ansonsten unterschied sich die Bekanntgabe beider Ergebnisse darin, dass die Reihenfolge der Parteien beim vorläufigen amtlichen Ergebnis der auf dem Stimmzettel entsprach, während das endgültige amtliche Ergebnis die Rangfolge der Parteien abbildete.

Wahlfälschung

Nur durch den Vergleich von vorläufigen Ergebnissen durch telefonische Durchsagen mit den Ergebnissen auf den Wahlniederschriften kann eine wichtige Möglichkeit des Wahlbetruges aufgedeckt werden. Wenn festgestellt wird, dass die Wahlergebnisse voneinander abweichen, gelten die Ergebnisse auf dem Papier der Wahlniederschriften.

Wie erfolgt dann die Korrektur? Durch eine Korrektur in der EDV-Datei!
Vom wem? Durch Mitarbeiter der Gemeinden im Auftrag der Wahlleiter!
Die Gemeindemitarbeiter können dann auch die sein, die die Daten auf Grund telefonischer Durchsagen am Wahlabend in die EDV eingegeben haben.

Beispiel Landtagswahl NRW

Bei einer früheren Landtagswahl in NRW wurde in über 50 Stimmbezirken landesweit festgestellt, dass die vorläufigen Wahlergebnisse für eine Partei völlig unglaubwürdig waren, weil ihr viele Zweitstimmen gestohlen wurden und dabei dämlicherweise vergessen wurde, auch die entsprechenden Erststimmen verschwinden zu lassen. Das wurde wahlrechtlich in den betreffenden Stimmbezirken ohne Ergebniswirksamkeit (im Hinblick auf die Sitzverteilung im NRW-Landtag) auf undurchsichtige Weise korrigiert.

Nur in einem Stimmbezirk in Mönchengladbach kam es deshalb zu einer Strafanzeige wegen Wahlfälschung, weil die veröffentlichten Zahlen in einem Stimmbezirk nicht denen auf der Wahlniederschrift entsprachen. Das Verfahren wurde nach langer Zeit eingestellt, weil die Täter nicht zu ermitteln waren. Der Wahlvorstand hatte wahrscheinlich behauptet, die richtigen Zahlen telefonisch auf Grund der Wahlniederschrift durchgegeben zu haben. Der Gemeindemitarbeiter oder eine Gemeindemitarbeiterin auf der anderen Seite der Telefonleitung hatte wohl angegeben, nur die durchgegebenen Zahlen in den Computer eingegeben zu haben.

Daraus folgert allgemein: Für Täter auf beiden Seiten der Telefonleitung bei der Alternativen Glaubhaftmachung von Wahlergebnissen ist es persönlich völlig risikolos, entweder falsch zu senden oder falsch weiterzuleiten.

Schlussfolgerungen für Sachsen und Thüringen

Es ist bei den Wahlen in Sachsen und Thüringen nicht nur bei den Erststimmen, sondern auch bei den Zweitstimmen mit einigen knappen Ergebnissen zu rechnen. Da ist die Versuchung für an der Wahl beteiligte „Zähler“ besonders groß, „demokratisch“ zu zählen. Wenn die Wähler in Sachsen und Thüringen von den Parteien und Medien auch noch während der bereits laufenden Wahl aufgerufen werden, nur demokratische Parteien und Demokraten zu wählen, dann nehmen das auch die vorgesehenen Zähler für den 1. September wahr.

Es sollte schon vor dem letzten Wahltag und damit dem Auszähltag 1. September in Sachsen und Thüringen gesichert werden, dass die Zahlen vom Papier der Wahlniederschriften in einer gesonderten Datei zusammengetragen und für den jeweiligen Wahlausschuss vor dessen Beschlussfassung des Kreiswahlergebnisses gedruckt werden. Und das nicht durch einzelne Mitarbeiter, sondern durch verpflichtete Dreierwahlvorstände:

Eine Person liest von der Wahlniederschriften die Zahlen laut von den Wahlniederschriften ab, eine zweite Person gibt die Daten direkt in den Computer, eine Dritte überwacht das. Genau das habe ich bei einer hessischen Kommunalwahl mit sehr differenzierter Stimmauszählung (wegen der Möglichkeit des Kumulierens und Panaschierens) ab Montag nach der Wahl stichprobenweise persönlich als Wahlbürger beobachten dürfen.

Rechtlich sollten möglichst schnell zwei Dinge geklärt werden

Wahlrechtlich:
Ist die Regel in den sächsischen und thüringischen Wahlkreisen so, dass die Wahlergebnisse dort nicht ein zweites Mal auf Grund der Wahlniederschriften zusammengezählt werden?
Strafrechtlich:
§ 107a (2) Strafgesetzbuch:
Ebenso wird bestraft, wer ein Ergebnis einer Wahl unrichtig verkündet oder verkünden lässt.

Ist es eine strafbare unrichtige Ergebnisverkündung, wenn nachweisbar die Wahlergebnisse nicht auf Grund der Wahlniederschriften (auf Papier!), sondern auf Grund „Alternativer Glaubhaftmachung“ durch fernmündliche Durchsage und unkontrollierte Dateneingabe erfolgten?

Eine letzte Klarstellung: Nach deutschem Wahlrecht beschließen Kreiswahlauschüsse die Wahlergebnisse, die Kreiswahlleiter in der Eigenschaft als Vorsitzende der Wahlausschüsse verkünden sie in einer öffentlichen Sitzung einige Tage nach der Wahl. Da bleibt zu klären, wer sich strafbar machen könnte, wenn unrichtig ermittelte Ergebnisse verkündet werden. Diesbezüglich sollten sich vor allem alle Mitglieder von Wahlausschüssen in Sachsen und Thüringen kundig machen.


Dieter Schneider war lange selbst Wahlhelfer und ist seit Jahrzehnten Kenner der real existierenden deutschen Wahlvorgänge, worüber er oft auf TE schrieb.

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