Tichys Einblick
Nach den Wahlen in Hessen und Bayern

Grüne nur auf Platz vier – jetzt werden sie eskalieren

Die Grünen haben äußerlich eine Niederlage erlebt. Doch operativ schwächt sie diese Niederlage kaum – dafür werden sie jetzt aber ihren bisherigen Kurs noch eskalieren.

IMAGO

Die letzten Wahlen in Hessen und Bayern fanden 2018 statt. Die Regierung Merkel (CDU) hatte da schon abgewirtschaftet, war altersschwach. CDU und SPD verloren 2018 in Hessen zusammen 22,2 Prozentpunkte. Die Grünen waren zu der Zeit im Bund 13 Jahre aus der Regierungsverantwortung. So ernteten sie viele Stimmen der Enttäuschten – 8,7 Prozentpunkte legten die Grünen auf diese Weise zu.

Seit Dezember 2021 sind die Grünen im Bund in der Verantwortung. Dass sie nun bei Landtagswahlen verlieren, folgt einer Logik: Ergebnisse, die mit Rückenwind eingefahren wurden, werden verglichen mit Ergebnissen, die mit Gegenwind eingefahren werden. Solche Wellenbewegungen sind in der Politik normal. Entscheidend für die Strategen bei den Grünen ist, dass die Welle nicht so tief nach unten führt wie beim letzten Abstieg. Tatsächlich stehen die Grünen besser da als beim letzten Niedergang. 2017 gab es im Wahlkampf Momente, in denen ihnen ernsthaft ein Rauswurf aus dem Bundestag drohte – von diesem Szenario sind die Grünen 2023 weit entfernt.

Das Klimathema rettete die Grünen 2017

2017 spielte lange die Flüchtlingspolitik eine entscheidende Rolle im Wahlkampf. Das führte zu einer Polarisierung zwischen Angela Merkels CDU auf der einen und der AfD auf der anderen Seite. Die Grünen drohten hinten wegzurutschen. Erst spät kam in diesem Wahlkampf das Klimathema auf. Das rettete die Grünen. Doch mit 8,9 Prozent bildeten sie nur die sechststärkste Partei im Bundestag.

In Bayern und Hessen sind die Grünen nun die viertstärkste Kraft. Vor allem in Hessen schmerzt das die Partei. Dort formte Joseph Martin Fischer besser bekannt als „Joschka“ einen wilden Fundihaufen in eine Realo-Partei um. In Wiesbaden übernahmen die Grünen erstmals Regierungsverantwortung auf Landesebene – die Turnschuhe, die Joschka bei seiner Vereidigung trug, stehen mittlerweile im Haus der Geschichte. Nur viertstärkste Partei in Hessen – das ist ein schwerer Schlag für die Grünen.

Im Halbdunkel glänzen grüne Themen

Nur knapp zwei Jahre ist es her, dass die Grünen sich auf dem Weg zur stärksten Partei in Deutschland sahen. Die Umfragen gaben ihnen recht. Medien wie ARD, ZDF oder Süddeutsche Zeitung sowieso. Doch dann verbaerbockte Annalena den Wahlkampf. Auch tut es den Grünen nicht gut, wenn die Scheinwerfer sie wie damals allzu hell beleuchten. Im Halbdunkel glänzen ihre Themen: Was fürs Klima machen, für Toleranz, für den Frieden – wer könnte da auch etwas dagegen haben? Bei hellem Licht wird deutlich, wie die Grünen diese Ziele verfolgen – ebenso, wie groß die grüne Lücke zwischen Zielen und tatsächlichen Realitäten ist.

Inhaltlich sind die Grünen die dominante Partei in der Ampel. Anders als ihre Partner sind die Grünen eine Weltanschauungspartei. Christian Lindner war zwei Jahre bereit, mit der FDP den Weg in Richtung Klimasozialismus zu gehen. Hauptsache, das Gehalt war hoch genug, um sich eine Hochzeit auf Sylt leisten zu können. Die SPD hat Habecks Heizhammer und damit faktisch der Enteignung von zigtausenden Hausbesitzern zugestimmt. Hauptsache, ein Sozialdemokrat sitzt im Kanzleramt. Solche Kompromisse würden die Grünen nie eingehen.

SPD und FDP strafte der Wähler ab, weil sie ihre Politik verrieten, die Grünen, weil sie ihre Politik durchzogen 

Die Hessen und Bayern haben alle Ampelparteien abgestraft. Aber es gibt einen wesentlichen Unterschied: SPD und FDP hat der Wähler abgestraft, weil sie ihre Politik verraten haben, die Grünen, weil sie ihre Politik durchgezogen haben. Christian Lindner erzählt seit zwei Jahren, warum die Kernkraft gut, richtig und wichtig ist. Doch der selbe Christian Lindner hat dem Ausstieg aus der Kernkraft mitten in der Energiekrise zugestimmt. Der FDP-Chef hofft, der Wähler würde die reine Absicht goutieren. Der Wähler indes denkt sich: Willst du mich verars…n?

Die Grünen haben indes ihr Kernklientel bedient. Die bleibt der Partei treu. Die Wähler, die Grüne jetzt verlieren, sind die, die gedacht haben, man könne „Klimaschutz“ und gutes Wissen zum Nulltarif haben. Jetzt sehen sie, dass die Grünen „Klimaschutz“ als Türöffner nehmen, um ihnen bis in die Wohnung hinein zu regieren. Welche Heizung sie installieren, entscheidet unter den Grünen der Staat. Dem werden sie künftig zudem Auskunft erteilen müssen über jede Umdrehung dieser Heizung. Radikale Klimaschützer sind begeistert, gemäßigte Wohlfühlklimaschützer sind entsetzt.

Die Grünen werden eskalieren

Das ist die Ausgangssituation für das künftige Handeln der Grünen: Sie sehen sich selbst als stärkste deutsche Partei – doch der Wähler hat sie auf Platz vier gesetzt. Die gemäßigten Wähler gehen ihnen verloren, doch die radikalen sichern ihre Existenz ab. Beides führt nicht dazu, dass die Grünen Rücksicht auf ihre Koalitionspartner nehmen und einer gemäßigten Politik zustimmen werden. Die Grünen werden eskalieren.

Einen Vorgeschmack haben die Tage vor der Wahl gegeben. Olaf Scholz versichert den europäischen Partnern, dass die Deutschen aufhören, „Seenotretter“ genannte Schlepper finanziell zu unterstützen. Kurz danach widerspricht ihm seine Außenministerin Annalena Baerbock (Grüne) öffentlich. Gerd Schröder, Helmut Schmidt oder Willy Brandt hätten sich ihren Koalitionspartner nach einer solchen Brüskierung zur Brust genommen. Olaf Scholz grinst und hofft, dass die Bürger seine Schwäche so schnell vergessen wie er selbst.

Die Grünen haben in ihrer Eskalation drei Pfunde in der Hand. Das eine ist der willensschwächste Kanzler, den die Bundesrepublik je hatte. Das andere ist ein FDP-Chef, der lieber schlecht regiert, als sich eine Party auf Sylt nicht mehr leisten zu können. Und das Entscheidende ist eine Oppositionspartei CDU/CSU, die entgegen aller Beteuerungen sofort bereit wäre, eine Koalition mit Grünen und FDP anzuführen, wenn die nur überlaufen würden. Das verleiht den Grünen eine mächtige Position. Obendrein verfügen die Grünen mit ARD und ZDF über einen 8,5 Milliarden Euro schweren Propaganda-Apparat, den zumindest Christian Lindner als ideologischen Zuchtmeister fürchtet.

Grüne Positionen durchsetzen ohne gesellschaftliche Mehrheiten

2015, als sich Robert Habeck um das Amt des Grünen-Chefs noch bewarb, tourte er durch die Republik. Den Kreisverbänden versprach er seinerzeit, man könne grüne Positionen durchsetzen, auch wenn es dafür keine gesellschaftlichen Mehrheiten gäbe. Die Konstellation in den Parlamenten und die Hilfe durch Medien würden dies möglich machen. Habeck hat Wort gehalten:

Die Grünen haben sich beim Ausstieg aus der Kernkraft durchgesetzt. Mitten in der Energiekrise. Die Grünen haben ein Heizungsgesetz durchgeboxt, das Millionen Häuser mit einem Schlag offiziell zum Sanierungsfall macht. Und damit im Wert rapide sinken lässt. Mitten in einer sich entwickelnden Wirtschaftskrise. Härter ist in der Bundesrepublik niemand Millionen von Arbeitnehmer angegangen als eine formal von Sozialdemokraten geführte Bundesregierung. Die Grünen setzen eine unkontrollierte Einwanderung durch, obwohl sogar ihre eigenen Kommunalpolitiker bereits um Hilfe schreien.

Diese Politik bleibt. Trotz der Wahlen in Hessen und Bayern. Wegen der Wahlen in Hessen und Bayern. FDP und SPD sind zu schwach, sich den Grünen in den Weg zu stellen. Die werden sich jetzt radikalisieren, um der Kernklientel gerecht zu werden, die ihnen treu bleibt. Weh dem, der sich jetzt gegen die Grünen stellt. ARD, ZDF oder Süddeutsche Zeitung werden bis in die Schulranzen hinein nach belastendem Material suchen. Ein Arbeitskollege, der sich über einen beschwert, findet sich schließlich bei nahezu jedem.


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