Tichys Einblick
Neugründung 1

Die Wagenknecht-Partei: Potenzial ja, gute Chancen nein

Sahra Wagenknecht elektrifiziert derzeit die deutsche Politlandschaft mit der Idee einer neuen Partei. Die hätte tatsächlich auch Potenzial – allerdings nur wenig Chancen. Zumindest bräuchte sie einen langen Atem.

IMAGO / Christian Spicker

Die Bundesrepublik kennt nach 1950 nur noch zweieinhalb erfolgreiche Parteiengründungen: die Grünen und die AfD. Dazu kommt als halbe Gründung – und als halb erfolgreich – die Fusion aus PDS und WASG, aus der „Die Linke“ entstanden ist. In der Geschichte der Grünen und der AfD kommt es zu vielen Parallelen. Daraus lassen sich Mechanismen ableiten, die auch eine Wagenknecht-Partei beachten müsste.

Die Wurzeln der Grünen ähneln eher denen der Wagenknecht-Bewegung als denen der AfD: Sie sind anfangs eine Sammelbewegung aus Gruppen, die sich im Bundestag der 1970er Jahre nicht mehr vertreten sehen: Umweltschützer, Klimaschützer und Friedensbewegte bilden dabei die drei größten Gruppen. Die ideologische Ausrichtung ist in diesen Tagen noch offen. Eine wichtige Streitschrift aus den frühen Tagen der Grünen heißt: „Nicht links, nicht rechts, sondern vorn“.

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Die frühe AfD ist zwar auch offen für verschiedene Gruppen. Doch die definieren sich nicht durch ihre Ferne zum Politbetrieb, sondern durch ihre Ablehnung der bedingungslosen Euro-Stützung durch Kanzlerin Angela Merkel. Das ist das Gründungsthema der AfD, und viele Vertreter der ersten Stunde sind ehemalige Christdemokraten oder gesellschaftliche Vertreter, die der CDU nahestanden. Der Name „Alternative für Deutschland“ bezieht sich auf die Behauptung Merkels, dass ihre Euro-Politik „alternativlos“ sei.

AfD und Grüne scheitern bei ihrem ersten Versuch, in den Bundestag einzuziehen, sind beim zweiten erfolgreich und verlieren beim dritten beziehungsweise vierten Versuch an Stimmen. Das heißt: Sie müssen nach einer Aufstiegsphase eine Durststrecke überstehen. Für die Grünen hätte das unter normalen Umständen den Rauswurf aus dem Bundestag bedeutet: Sie scheitern 1990 an der Fünf-Prozent-Hürde. Dank einer Sonderregelung genügt es ihnen, dass ihre ostdeutschen Verbände kurz nach der Wiedervereinigung diese Hürde genommen haben.

Parteigründungen ziehen eine Gruppe an, die sich durch abstruse Ideen auszeichnet und dadurch, dass sie sozial bedingt integrierbar ist. Milde formuliert. Diese Gruppe ist klein, sorgt aber schnell für vernichtende Schlagzeilen. Die Piraten können ein Lied davon singen – eigentlich ist es eher ein Konzert. Im Saarland gibt es knapp zwei Dutzend Menschen, die von den 80ern an in Grünen, PDS, Stattpartei, WASG und Piraten waren. Zum Erfolg der Parteien etwas beitragen konnten sie nicht – nicht selten waren sie für ihren Untergang verantwortlich.

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Die Grünen brauchten mindestens ein Jahrzehnt, um sich von unliebsamen Mitgliedern zu trennen. Die völkische Gruppe in ihrer Partei wurden sie früher los, die „Großstadtindianer“ blieben den Grünen bis in die 90er treu. Das sind Erwachsene, die Sex mit Kindern haben wollen und dies entsprechend legalisieren wollen. Mitunter nur knapp konnten die Grünen in den 80er Jahren verhindern, dass die Ideen der Großstadtindianer in ihr Programm einfließen. Deren Aktivitäten fielen der Partei noch im Wahlkampf 2013 auf die Füße.

Die AfD wird erst am 6. Februar zehn Jahre alt. Von den Gründungsvätern sind viele gegangen. Die Flüchtlingswelle hat ab 2015 das Ursprungsthema Euro verdrängt. Mit diesem Thema drängte eine Klientel massenweise in die Partei, die über die üblichen, versprengten Neugründungs-Querulanten hinausgeht. Zwar gab und gibt es in der AfD Versuche, Rechtsextreme rauszuwerfen. Aber es gibt auch Björn Höcke, der Rechtsextremen in der Partei eine Heimat gewährt. Wie diese Flügelkämpfe ausgehen, ist nach weniger als zehn Jahren AfD zwar noch offen, doch Höcke ist – anders als die Großstadtindianer bei den Grünen – in der Lage, in der AfD Mehrheiten zu generieren.

Meist ist es ein großes Thema, das die Neugründung einer Partei ermöglicht. Auch wenn die Grünen eine Sammelbewegung waren, so sind es doch der Umwelt- und der Klimaschutz, die ihren Durchbruch ermöglichen. Der Name sagt es. Bei der AfD war es die Euro-Politik Merkels. Doch neue Parteien brauchen Anschlussthemen, die sie weitertragen. Dann, wenn die erste Euphorie abebbt und die etablierten Parteien ihnen die Luft nehmen, indem sie auf ihre wichtigsten Kernforderungen eingehen. Bei den Grünen war das die Aufrüstung der Kanzler Schmidt und Kohl und ihre Friedenspolitik als Reaktion darauf, bei der AfD war es die Flüchtlingswelle.

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Aber welche Themen sind anschlussfähig für eine Partei? Die Piraten nährten sich durch die Rückständigkeit Deutschlands in der Digitalisierung. Doch darüber hinaus gab es weder eine soziologische noch eine ideologische Basis, aufgrund derer sie sich bei neu anstehenden Themenlagen einigen konnten. Heute finden sich in der Partei, die für Netzfreiheit steht, Landesaccounts, die gegen Menschen möppern, die sich weigern eine Maske zu tragen.

Die Grünen der frühen Tage einigt ihr antiamerikanistisches und antikapitalistisches Weltbild, ihre Furcht vor Modernisierungen und ihre allgemeine Protesteinstellung. Diese führten dazu, dass sich die Grünen der 80er Jahre zwar auf Forderungen einigen konnten, diese aber nicht mehrheitsfähig waren: So kämpften die Grünen gegen den Computer im Büro und gegen die Wiedervereinigung. Die Attitüde, eine Digitalpartei zu sein, legten sich die Grünen erst 2012 zu, als die Piraten massiv in ihr Wählerresservoir eindrangen. Bürgerinitiativen gegen Funkmasten lebten von Aktivisten mit grüner Organisationserfahrung.

Die AfD der frühen Tage war eine liberal-bürgerliche Partei. Ihre Sozialpolitik – etwa Ausdünnung von Sozialleistungen – wirkt bis heute nach. Das hat es der AfD schwer gemacht, Sozialthemen zu etablieren, als nach 2017 das Interesse an der Einwanderungspolitik allmählich abflachte. Der einzige gemeinsame Kitt in der AfD ist die Protesthaltung. Das zeigte sich besonders anschaulich in der Pandemie: Vor dem März 2020 war es die AfD, die vor der Gefährlichkeit Coronas warnte und Maßnahmen forderte; die Bundesregierung tat diese Warnungen als überzogen ab und kündigte den Kampf gegen Fake News an, falls wer behaupte, es könnte einen Lockdown geben. Ab März 2020 tauschten Regierung und Fundamental-Opposition dann einfach die Rollen.

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Die Organisationserfahrung ist ein zentraler Punkt für neue Parteien. Sie brauchen Menschen, die eine Sitzung organisieren, ein Protokoll schreiben, einen Antrag einreichen und eine Kasse führen können. Die solche Erfahrungen entweder in Vorfeldorganisationen wie Greenpeace oder Gewerkschaften gelernt haben oder durch ihren Job im Öffentlichen Dienst entsprechende Erfahrungen mitbringen. Aufgrund dieser Erfahrung setzen sich diese Menschen in neuen Parteien oft durch.

Das beste Beispiel dafür ist Joseph Fischer, genannt Joschka. Die Grünen träumten davon, eine Basisbewegung zu sein, in der alle mit gleichen Chancen zusammenkommen, sich einen Wettstreit der Argumente liefern und dann den besten nach vorne schicken. Fischer und seine Genossen wussten aus den K-Gruppen der 70er Jahre, wie man Macht organisiert. Den Schwärmern ließen sie Aufgaben wie Gesprächskreise betreuen, in denen politische Ideen entwickelt werden. Sie selbst sicherten sich Mandate. Geld ist Macht, Wissen ist Macht, Zugang ist Macht. Auch in Basisbewegungen.

Wo steht nun angesichts dieser Erfahrungen die Wagenknecht-Partei? Eins ist klar. Wagenknecht alleine ist keine Partei. Sie braucht einen übers ganze Land verteilten Apparat. Das bedeutet 16 Landesverbände mit 400 Kreisverbänden – am besten mit so wenigen weißen Flecken wie möglich. Also sind das mindestens 200, eher 400 oder besser noch mehr als 1000 Menschen mit Talent und Organisationserfahrung – die nicht alle in Berlin oder Ostdeutschland sitzen.

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Eine soziologische Basis hat Wagenknecht. Es sind die Menschen, die in Deutschland den Wohlstand produzieren, ohne etwas davon zu haben. Die schwer arbeiten, wenig verdienen und denen nach Abzug von Steuern und Kosten nichts bleibt. Die sich noch an den Tagen des Monats zur Arbeit schleppen müssen, an denen sie kein Geld mehr übrighaben. Die großgrüne Koalition von Linke bis CSU hat diese Menschen in den letzten zwei Jahrzehnten sträflich vernachlässigt. Sie durften zahlen für die Euro-Rettung, für die Bankenrettung, für die Sozialpolitik, die Umweltpolitik, die Klimapolitik und die Einwanderungspolitik. Und zum Dank erhielten sie dafür noch eine Integrationsbeauftragte vor die Nase gesetzt, die sie als Kartoffeln beschimpft.

Diese Gruppe ist groß und stellt ein Wählerreservoir, das die Wagenknecht-Partei locker zweistellig werden lassen könnte. Und die Gruppe macht Themen anschlussfähig, wenn sich die Wagenknecht-Partei an ihr orientiert: Verkehrspolitik? Muss zuerst dazu dienen, dass Arbeitnehmer so bequem wie möglich zur Arbeit kommen. Sozialpolitik? Keiner soll fallen gelassen werden. Aber Menschen, die den Wohlstand erwirtschaften, denen muss es auch gut gehen. Innenpolitik? Wir brauchen sichere, öffentliche Räume; unsere Zielgruppe ist auf die U-Bahn angewiesen, die Reichen können Taxi fahren. Das ließe sich durch alle politischen Themen weiter so durchdeklinieren.

Die Wagenknecht-Partei braucht aber auch Geld und Organisationsfähigkeit. Mit Großspenden wie die Grünen hätte sie anfangs eher nicht zu rechnen. Sie müsste also nicht nur die Arbeitnehmer als Wähler erreichen, sondern auch als Kleinspender. Ob es ihr gelingt, Hunderte von Menschen mit Organisationsfähigkeit in der Breite des Landes zu gewinnen, müsste sie erst beweisen. Immerhin hat Wagenknecht Zugang zu gesellschaftlichen Eliten. Die AfD hatte dies anfangs durch Hans-Olaf Henkel, und sogar den Grünen öffneten sich durch Petra Kelly und Gert Bastian manche Türen, die offen sein müssen, wenn eine Partei weiterkommen will.

Von einer neuen Partei geht immer der Zauber aus, dass sie noch keine Fehler gemacht hat. Der verfliegt mit den ersten Fehlern, die sich zwangsweise einstellen. Bis dahin müsste Wagenknecht Strukturen schaffen, die einen sicheren Geldfluss garantieren und auf ausreichend Menschen mit Verwaltungserfahrung basieren. Die es verstehen, eine soziologische oder ideologische Basis zu definieren, an der sich die Partei orientiert, wenn es darum geht, sich bei neuen Themen neu auszurichten. Das ist nicht unmöglich. Die Grünen und die AfD haben dies bewiesen. Aber Gesamtdeutsche Volkspartei, NPD, DKP, ÖDP, Republikaner, Stattpartei, Schillpartei, Piraten, Die Partei oder Volt beweisen, dass die Chancen eher gering sind.

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