Nachdem erst kürzlich der baden-württembergische Sprecher der Landesarbeitsgruppe Bildung, Jan Werner, seinen Austritt aus der Partei Die Linke in einem polternden Brief verkündete, folgt ihm nun sein Brandenburger Genosse und stellvertretende Landesvorsitzende Justin König in die Parteilosigkeit. Ebenso wie Werner dürfte auch König einen guten Draht zum Spiegel haben, dem er seine Entscheidung begründete. Ausschlaggebend für seinen Austritt pünktlich zu seinem anstehenden 25. Geburtstag waren demnach seine „Eindrücke des Aufstands für den Frieden“. Allerdings wird auch der Mitgliederschwund an der Basis als Grund für sein Ausscheiden angeführt.
Warum einem Sozialisten an dieser Nachkriegsordnung so viel gelegen sein sollte, wird daraus aber nicht ersichtlich. Der 24-Jährige warf der Partei vor, mit ihrer Haltung dazu beizutragen, „den Diskurs nach rechts zu verschieben“. Das ginge letztlich an seine „antifaschistische Substanz“. Stattdessen plädiert König für „Haltung“.
Zwar räumte König ein, dass auch „der Westen, der in dieser Verallgemeinerung überhaupt nicht existiert“, viele Fehler gemacht habe, doch das gelte auch für den Osten. Dann aber wurde es analytisch, als er feststellte, „die kommunistische Herrschaft in Ost- und Mitteleuropa” sei „doch nicht ohne Grund gescheitert“. Angesichts seiner „antifaschistischen Substanz“ und bisherigen Mitgliedschaft in der Linken dürfte das Scheitern aber dann wohl eher einer Eigenheit der Osteuropäer, denn der intrinsischen Destruktivität sozialistischer Gesellschaftsmodelle anzukreiden sein. Mit anderen Worten: Für König ist der Kommunismus in Osteuropa daran gescheitert, dass Slawen dazu nicht fähig sind. Das hätten wohl deutsche Sozialisten machen sollen. Das fand Lenin nebenbei auch.
Theoretische Quellenkenntnis der eigenen Ideologie? Fehlanzeige
Weiter schreibt König in seinem Abschiedsbrief „Gewalt darf niemals Mittel der Politik sein“ und trifft dabei eine Unterscheidung in offensive und defensive Gewalt (Letztere befürwortet er ja), die politischen Theoretikern des sozialistischen Spektrums seit jeher fremd war und man fragt sich, was nur aus dem politisch-theoretischen Anspruch der Linken geworden ist? Wo einst der „historische Materialismus“ an allen Ecken und Enden vermeintliche Lehren aus der Geschichte zu ziehen vorgab, tummelt sich nur noch veganes Hafer-Lattecino-tum, kuschelige Starbucks-Atmosphäre, in der alle nur einfach einsehen müssen, dass Gewalt schlecht ist, sonst setzt es Gewalt.
Clausewitz, der den Krieg als Fortsetzung der Politik mit anderen Mitteln bezeichnete? Pah, ein alter weißer Mann, außerdem war der ja kein Sozialist. Das war auch Heraklit nicht, der den Krieg den „Vater aller Dinge“ nannte. Doch auch Lenin schrieb, dass der Krieg „die innere Fäulnis offenbare“ sowie „die schwachen Seiten der Regierung“, womit er ihm zumindest eine enthüllende Komponente zuschrieb. Und Karl Marx? Der bezeichnete im Kapital die Gewalt als „Geburtshelfer jeder alten Gesellschaft, die mit einer neuen schwanger geht“. Nur eine Frage der Zeit, bis auch Marx und Lenin die „alter, weißer Mann“-Behandlung blüht.
Zum Abschluss seines Schreibens räumte König allerdings seine Jugend ein, er hatte das „Glück, in der demokratischen Gegenwart aufgewachsen zu sein“. Die Frage, wie sein Hohelied auf die Freiheit und Demokratie mit der Mitgliedschaft in einer sozialistischen Partei vereinbar ist, stellt er sich aber nicht.
„Generation Tagesschau“: Nichts hat Konsequenzen, Hauptsache es klingt gut
Unabhängig davon, wie man zu den Waffenlieferungen in die Ukraine steht, entblößt sich König mit seinem Schreiben als Teil der „Generation Tagesschau“, die wohlklingende Phrasen wie „Haltung“, „Gewalt darf niemals Mittel der Politik sein“ und die Verurteilung des „Endes der Nachkriegsordnung in Europa“ mit dem Anspruch an eine vermeintliche „antifaschistische Substanz“ und dem Traum von einem „demokratischen Sozialismus“ (aber diesmal machen wir es richtig!) verbindet.
Nach den Beschreibungen von Jan Werner kann wenig Zweifel über den in der Linken vorherrschenden Parteienfilz bestehen, doch „Politiker“ wie König zeigen ein womöglich viel gravierenderes Problem einer politischen Jugend auf, die zu tatsächlich politischem Denken nicht im Stande ist. Diese „Generation Tagesschau“ sieht sich lediglich als parlamentarischer Arm einer medial diktierten Stimmung in der Gesellschaft, bei der selbst ein entsetzliches Drama wie der Krieg in der Ukraine lediglich dazu dient, mit medial vorgekautem, hypermoralischem Vokabular Haltung zu zeigen, anstatt die komplexe geopolitische Situation auch nur ansatzweise analytisch zu erfassen.
Nur so ist es möglich, dass König die Angst der Menschen vor einem Atomkrieg als Offenbarung des „wahren opportunistischen Denkens“ bezeichnen kann. Es mag richtig sein, dass heutzutage niemand mehr eine Linke voller Altstalinisten braucht, doch eine junge Generation von Salonsozialisten, die sprachliche Bausteine aus den Medien widerspruchsfrei nachplappert, brauchen wir genauso wenig.