In den Umfragen für die drei Landtagswahlen im September steht das Bündnis Sahra Wagenknecht zwischen zehn und 20 Prozent. In allen drei ostdeutschen Ländern könnte es zu einer Sperr-Majorität von AfD und Bündnis Sahra Wagenknecht kommen. Dann ginge keine Koalition ohne eine der beiden Parteien. Das kann vor allem dann passieren, wenn Grüne, SPD oder Linke aus einem der Landtage fliegen.
Sahra Wagenknecht hat also beste Chancen, im Osten in Landesregierungen einzutreten. Falls die Frau von Oskar Lafontaine das überhaupt will. Denn in einem Interview mit der Nachrichtenagentur DPA hat sie mögliche Koalitionen in Landtagen vom Verhältnis der Koalitionspartner zur Ukraine-Frage abhängig gemacht. Wer für Waffenlieferungen nach Kiew ist, kann demnach in Dresden keine Kita-Plätze schaffen oder in Potsdam den Rundfunkstaatsvertrag überarbeiten. Zieht Wagenknecht diese Forderung konsequent durch, ist das Bündnis Sahra Wagenknecht im Osten nicht regierungsfähig. Zumindest nicht ohne AfD.
Wagenknechts Schritt ist in zweierlei Hinsicht interessant. Zum einen hat die ehemalige Vorsitzende der Kommunistischen Plattform in der PDS sich bisher gegen den Vorwurf gewehrt, Putins Russland nahe zu stehen. Nun macht sie sogar die Zusammenarbeit auf untergeordneter Ebene davon abhängig, dass sich ihre potenziellen Partner nicht gegen den russischen Angriffskrieg stemmen. In der Sexualität nannte sich sowas Outing.
Zum anderen ist es unüblich, Landes- und Bundespolitik ohne Not derart zu vermengen. Wenn es etwas gibt, das in Thüringen, Sachsen oder Brandenburg nicht verhandelt wird, dann sind es Außen- und Verteidigungspolitik. Die sind ausdrücklich und ausschließlich Bundessache. Bisher haben etablierte Parteien junge Parteien dazu genötigt, sich in diesen Punkten zu mäßigen, um auf Stadt-, Kreis- oder Landesebene als möglicher Partner zu gelten. Wer Wagenknecht Rationalität unterstellen will, der kann in ihrer Aussage noch den Versuch sehen, den Machtanspruch einer größeren Partei zu demonstrieren – angesichts der starken Umfragewerte.
Es gäbe aber noch eine andere, perfidere Lesart: Wagenknecht gibt sich in den fünf bis sieben Wochen vor den Wahlen als Hardlinerin. So bindet sie Wähler an sich, die eine radikale Abkehr von den etablierten Parteien fordern. Auch und vor allem in der Ukraine-Frage. Sie bindet diese Wähler an sich, um dann aber nach den Wahlen zu erklären, dass auf Landesebene Koalitionen auch mit Befürwortern der Kriegsunterstützung doch möglich sein müssen. A la: Das entscheiden die Landesverbände vor Ort … Das wäre dann Wahlbetrug mit Ansage und das Bündnis Sahra Wagenknecht die erste Partei, die im Januar erklärt, alles anders als die alten machen zu wollen – um im Dezember genauso, wenn nicht noch schlimmer, zu handeln wie die selbst.