Tichys Einblick
Plädoyer gegen Strategische Stimmabgaben

Wählt doch einfach, was ihr wollt!

Wer x wählt bekommt y, wer y wählt verhindert z? Die immer absurderen Gedankenspiele zum "strategischen Wählen" schaden der Demokratie. Mündige Bürger sollten beim Urnengang in aller erster Linie ihrem Gewissen folgen. Am Ende kommt es ohnehin anders als gedacht.

Heute geht Deutschland an die Wahlurnen. Zumindest der Teil, der das nicht schon längst über die Brieftaube gemacht hat. So eine Wahl sollte gut überlegt sein, schließlich sind vier Jahre eine lange Zeit – in der viel richtig und noch mehr falsch gemacht werden kann. Aber ein Phänomen, dass man zunehmend insbesondere bei politisch interessierten und gebildeten beobachten muss, ist, dass aus dem Wählen gerne mal eine Raketenwissenschaft gemacht wird. Klar, dafür dass in einer Demokratie ja eigentlich das Volk regieren soll, sind ein Kreuzchen alle paar Jahre schon ziemlich dürftig. Und einfach nur ein Kreuz in ein Kreis zeichnen, ist so schrecklich banal.

Aber was aus diesem Gedanken wird, ist dann jenes ominöse „strategische Wählen“ – wenn man die Wahlentscheidung nicht nach Grundüberzeugungen, sondern nach Mehrheiten trifft. In der Schule wurde uns das auch tatsächlich so beigebracht. Da hat der Lehrer uns gefragt, was ein FDP-Wähler machen sollte, wenn die FDP gerade schlecht in den Wahlen abschneidet. Dafür wurde uns erklärt, welche Parteien sich am meisten ähneln und auf welche man gegebenenfalls ausweichen sollte. Eigentlich ziemlich problematisch.

Klar, ich kann verstehen, dass ein Wähler der Tierschutzpartei dann doch eher die Grünen wählt. Dass man beinahe völlig umsonst zur Wahl gegangen ist und im Bundestag überhaupt nicht vertreten wird, stelle ich mir ziemlich ernüchternd vor. Andererseits: Wie soll die Partei, von der man sich mehr vertreten fühlt, denn jemals groß werden, wenn niemand sich traut, sie zu wählen?

Richtig pervers wird es, wenn Leute Parteien wählen, mit denen sie überhaupt nichts gemein haben. Ich habe in Berlin kurzzeitig überlegt, die SPD zu wählen, weil ich Giffey immer noch besser als die Grünen oder die Linke finde. Ich meine, macht was ihr wollt – aber ich möchte nicht wissen, wie viele Leute bereuen, Merkel an die Macht gebracht zum haben, nur weil die SPD gerade hohe Umfragewerte hatte. Und da komme ich zu dem Teil, der den ganzen Prozess so schwierig macht: die Umfragen. Das ist das wesentliche Instrument, mit dem strategische Wahlen getroffen werden. Dabei weiß doch jedes Kind, dass man nur den Statistiken trauen sollte, die man selbst gefälscht hat.

Es gibt so viele Möglichkeiten, wie man mit unterschiedlichen Entwicklungen in den Umfragen die Menschen manipulieren kann. Im Ernst haben wir doch keine Ahnung, welche Stimme wozu führen wird. Und wenn Bürger nur noch aufgrund von wilden Spekulationen abstimmen, gibt es bald gar kein vernünftiges Meinungsbild mehr. Das Parlament soll repräsentieren – sondieren und koalieren können die Politiker schon alleine viel zu gut, da braucht der Wähler nicht auch noch mitzumachen.

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