Im August 2015 schrieb der britische Labour-Chef und bekennende Sozialist Jeremy Corbyn auf seiner Website: “In a sense history is being played out to its fullest extent in Venezuela, where the Bolivarian revolution is in full swing and is providing inspiration across a whole continent…and Venezuela is seriously conquering poverty by emphatically rejecting the Neo Liberal policies of the world’s financial institutions. Success for radical policies in Venezuela is being achieved by providing for the poorest, liberating resources, but above all by popular education and involvement.”
Inzwischen wissen wir, wie das Experiment des “Sozialismus im 21. Jahrhundert“ endete. Es endete so, wie ausnahmslos alle sozialistischen Experimente in den vergangenen 100 Jahren – in einem Desaster. Viele haben dies heute, 30 Jahre nach dem Zusammenbruch des Sozialismus, vergessen. In vielen westlichen Ländern ist „Kapitalismus“ heute ein „dirty word“, während vom Sozialismus eine neue Attraktivität ausgeht. Das trifft sogar für die USA zu, wo sich bei den Demokraten jene Politiker durchsetzen, die drastische Steuern für Reiche (70 Prozent) fordern und eine scharfe antikapitalistische Rhetorik pflegen.
Kapitalismuskritiker beklagen vor allem eine zunehmende Ungleichheit. Sie ignorieren, dass noch niemals in der Geschichte in so kurzer Zeit so viele der Armut entronnen sind, wie in den vergangenen 30 Jahren. Ein Beispiel ist China: Dort lebten 1981 noch 88 Prozent in extremer Armut, heute sind es nur noch 1 Prozent. Dieser extreme Rückgang der Armut hatte eine einzige Ursache: Der Einfluss des Staates auf die Wirtschaft wurde (obwohl immer noch sehr stark) sukzessive zurückgedrängt. Die Chinesen erlaubten das Privateigentum und gaben dem Markt wesentlich mehr Raum. Dabei ist die Ungleichheit gestiegen. In keinem Land der Welt kommen jeden Monat so viele Milliardäre neu hinzu, wie in China. Dies zeigt jedoch, dass der „Nullsummenglauben“, dem Kapitalismuskritiker anhängen, falsch ist, wonach die Reichen auf Kosten der Armen reich werden.
Die kapitalistische Globalisierung hat weltweit zu einem Rückgang der Armut geführt, nicht nur in China: Südkorea war in den 60er-Jahren noch eines der ärmsten Länder der Welt – Nordkorea ist immer noch arm, immer wieder gibt es Hungersnöte. Aber Südkorea ist den kapitalistischen Weg gegangen und hat heute eine blühende Wirtschaft.
Anders ist es in Venezuela. Das Land war noch 1970 eines der 20 reichsten Länder der Welt. Dann ging es bergab: Seit Mitte der 70er Jahren wurde die Wirtschaft durch zunehmende Regulierungen des Arbeitsmarktes immer mehr geschwächt. 1999 kam Hugo Chavéz an die Macht und Venezuela galt vielen linken Intellektuellen und Politikern in westlichen Ländern als Vorbild im Kampf gegen Armut und Kapitalismus. Ein Vergleich der Entwicklung von Chile und Venezuela in den vergangenen Jahrzehnten zeigt die Überlegenheit des Kapitalismus: Chile ist das kapitalistischste Land in Lateinamerika. Dort hat sich die Lage der Menschen zunehmend verbessert. In Venezuela haben 20 Jahre sozialistischer Experimente zu Hunger und Armut geführt, Millionen Menschen haben das Land inzwischen verlassen.
Antikapitalisten argumentieren, sie wollten kein Regime wie in Venezuela, Kuba oder gar Nordkorea, sondern einen „demokratischen Sozialismus“. Doch der „demokratische Sozialismus“, von dem linke Demokraten in den USA oder die Anhänger von Jeremy Corbyn in Großbritannien träumen, ist ebenfalls gescheitert – nur haben die Menschen das vergessen. Verwirklicht war der „demokratische Sozialismus“ in Großbritannien und Schweden in den 70er Jahren: Dort herrschten extrem hohe Steuern für Reiche und der Staat regulierte die Wirtschaft. In beiden Ländern, in Großbritannien und in Schweden, endete dieses Experiment mit dem „demokratischen Sozialismus“ im wirtschaftlichen Desaster. Erst nach kapitalistischen Reformen kehrten Großbritannien und Schweden wieder zurück auf den Weg zu Wohlstand und Wachstum. Schweden ist heute längst kein sozialistisches Land mehr: Im „Index der wirtschaftlichen Freiheit“ der Heritage-Foundation gehört Schweden heute zu den 20 kapitalistischsten Ländern der Welt.
Obwohl der Ausgang aller sozialistischen Experimente immer wieder in die gleiche Richtung gewiesen hat, scheint die Lernfähigkeit der Menschen begrenzt. Der Philosoph Georg Wilhelm Friedrich Hegel meinte in seinen Vorlesungen über die Philosophie der Geschichte: „Was die Erfahrung aber und die Geschichte lehren, ist dies, dass Völker und Regierungen niemals etwas aus der Geschichte gelernt und nach Lehren, die aus derselben zu ziehen gewesen wären, gehandelt haben.“
Vielleicht ist dieses Urteil zu streng. Aber in der Tat sind die meisten Menschen nicht in der Lage, bestimmte historische Erfahrungen zu verallgemeinern. Aus den mannigfachen Beispielen, wo mehr Kapitalismus zu mehr Wohlstand führte, wollen viele Menschen nicht die naheliegenden Lehren ziehen, ebenso wenig wie aus dem Scheitern aller jemals auf der Welt probierten Varianten des Sozialismus.
Auch nach dem Zusammenbruch der meisten sozialistischen Systeme Anfang der 90er-Jahre wird regelmäßig erneut irgendwo auf der Welt versucht, die sozialistischen Ideale umzusetzen. „Dieses Mal“ soll es besser gemacht werden. Zuletzt geschah das in Venezuela, und wieder einmal waren viele Intellektuelle in den westlichen Ländern wie den USA oder Deutschland verzückt von dem Experiment, den „Sozialismus im 21. Jahrhundert“ zu verwirklichen. Und in schöner Regelmäßigkeit erklären uns die Sozialisten nach dem Scheitern eines jeden neuen Experimentes: 1. Das sei nicht der „wahre“ Sozialismus gewesen – das nächste Mal werde es besser. 2. Im Übrigen seien die US-Imperialisten und deren Sanktionen schuld, dass das Experiment im Desaster geendet habe. Zumindest was die Sozialisten anlangt, so hatte Hegel auf jeden Fall mit seinem Diktum Recht.
Rainer Zitelmann, Die Gesellschaft und ihre Reichen. Vorurteile über eine beneidete Minderheit. FinanzBuch Verlag, 464 Seiten, 34,99 €.
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