Politisch ist Ursula von der Leyen (UvdL), in unvordenklichen Zeiten als Kanzlerin-tauglich gehandelt, längst abgemeldet. Sie ist mit ihrer Haltung auf der Hardthöhe spätestens gescheitert, als Einzelfälle zwielichtiger Traditionspflege und rechtsradikaler Aktivitäten in der Truppe in den öffentlichen Fokus gerieten und sie ganz generell von einem „Haltungsproblem“ in der Bundeswehr sprach. Die mangelnde Einsatzfähigkeit der Bundeswehr, die permanenten Probleme bei der Beschaffung von Rüstungsgütern, die Kostenexplosion bei der „Gorch Fock“, aber auch die immensen Beratungskosten für externe Kräfte: Nach fünf Jahren im Amt sind alle diese Aufreger zum Problem der UvdL geworden. Ihre anfängliche Strategie, alle Übel an ihre Vorgänger im Amt zu delegieren, hat sich längst gegen sie persönlich gerichtet. Ihre Zustimmungswerte in der Truppe, in der eigenen Partei, in der Opposition wie in der öffentlichen Wahrnehmung sind unterirdisch. Wer eine solche Ressortchefin hat, kämpft vergeblich um eine massive Erhöhung des Verteidigungshaushalts – 1,5 Prozent-Zusage der Kanzlerin an die NATO (bis 2024) hin oder her. Längst werden in Berlin Wetten abgeschlossen, dass UvdL nach den Europawahlen ihr Ministeramt verliert. Ihre Ablösung bei der im Juni anstehenden Kabinettsumbildung wird inzwischen für wahrscheinlicher gehalten als ein baldiger Stabwechsel im Kanzleramt.
Bedingt einsatzfähiges „Bürokratiemonster“ namens Bundeswehr
Wer sich über den Zustand der Bundeswehr informieren will, dem ist der Jahresbericht 2018 des Wehrbeauftragten zur Lektüre empfohlen. Einige Kostproben aus allen drei Teilstreitkräften will ich Ihnen nicht vorenthalten.
Ein Marinekommandeur schreibt 2018: „Wir bewegen uns ressourcenmäßig am Limit und leben von der Substanz. Anforderungen an uns, der tatsächliche Zustand unseres Materials und die Verfügbarkeit von Personal befinden sich nicht in der Waage, um die Einsatzbereitschaft im geforderten Umfang herzustellen und Belastungen ausgewogen zu verteilen.“
Das Heereskommando analysiert in einem Thesenpapier: „Die derzeitige Beschaffungspraxis ist darauf ausgerichtet, Risiken möglichst auszuschließen und strebt maximale (rechtliche) Sicherheit und Regelkonformität an. Immer komplexere, sich gegenseitig sogar widersprechende Regelungen erzeugen immer höheren sequentiellen Abstimmungsbedarf und vielfältige Schnittstellen.“
Im Jahresbericht wird der Luftwaffeninspekteur zitiert, der im Sommer 2018 öffentlich mitteilte: „Die Luftwaffe befindet sich an einem Tiefpunkt.“
Hans-Peter Bartels, der Wehrbeauftragte des Bundestags, resümiert in seinem 126-seitigen Bericht: „Als Haupthindernis für notwendige Verbesserungen erleben viele Soldatinnen und Soldaten die Überorganisation von allem und jedem. Sie sagen: ‚Wir verwalten uns zu Tode‘ und sprechen vom ‚Bürokratiemonster Bundeswehr‘.“
Bartels weiter: „Warum erwirtschaftet etwa die Royal Air Force mit ihrer Eurofighter-Flotte so viel mehr Flugstunden als unsere Luftwaffe? Warum müssen Baumaßnahmen der Bundeswehr stets doppelt oder dreimal so lange dauern wie ziviles Bauen?“
Im 2. Halbjahr 2018 gab es bei der Marine keine Tanker, ein großer Teil der U-Boote war defekt. Weniger als die Hälfte der Eurofighter und Tornados war flugfähig. Die Munitionsbestände sind auf ein Minimum reduziert. Es gibt zu wenig Schutzwesten, Stiefel, Bekleidung, moderne Helme und Nachtsichtgeräte.
Die Folge: „Nur mit großen Anstrengungen“ konnten 8.000 deutsche Soldatinnen und Soldaten, die im Herbst 2018 an der NATO-Übung „Trident Juncture“ in Norwegen teilnahmen, mit Winterkleidung und Schutzwesten ausgestattet werden.
Der traurige Zustand der Bundeswehr wurde in den vergangenen Jahren auch regelmäßig öffentlich dokumentiert, wenn der Bericht zur Einsatzfähigkeit der Hauptwaffensysteme der Bundeswehr dem Verteidigungsausschuss des Bundestags schriftlich vorgelegt und von den Inspekteuren der drei Teilstreitkräfte auch vorgetragen wurde. Gemäß der UvdL-Strategie, die Vorgänger im Amt in Haftung zu nehmen, scheute die Ministerin bis dato die Öffentlichkeit für diese Hiobsbotschaften nicht. Doch jetzt, im 6. Jahr ihrer Amtszeit, verfügt das Ministerium plötzlich die Geheimhaltung dieses Berichts, „weil eine Kenntnisnahme durch Unbefugte die Sicherheitsinteressen der Bundesrepublik Deutschland schädigen würde“. So jedenfalls begründete der Generalinspekteur der Bundeswehr in einer Parlaments-Unterrichtung die neue Geheimhaltungsorder. Ein Schelm, wer Böses dabei denkt!
Olaf Scholz und die 1,5%-Quote der NATO
Donald Trump macht schon von Beginn seiner Amtszeit an Druck, dass die NATO-Partner – allen voran Deutschland – ihre eigenen Verteidigungsanstrengungen signifikant auf 2 Prozent ihrer jährlichen Wirtschaftsleistung (BIP) erhöhen. Im aktuellen Haushaltsjahr 2019 will Deutschland 43,228 Milliarden Euro für den Epl. 14 Verteidigung ausgeben. Das sind knapp 1,3 Prozent des BIP. Die Bundeskanzlerin hat der NATO öffentlich versprochen, die Ausgaben bis zum Jahr 2024 auf 1,5 Prozent des BIP zu steigern. Dabei geht es um keinen Pappenstiel. Denn bei einem BIP von 3;39 Billionen Euro im Jahr 2018 entspricht eine Erhöhung um 0,1 Prozent bereits einem Aufwuchs des Verteidigungsetats um rund 3,5 Milliarden Euro im Jahr.
UvdL will deshalb im Vertrauen auf ihre Kanzlerin beim Bundesfinanzminister einen Erhöhungspfad durchsetzen, der ihrem Haus jährlich zweistellige zusätzliche Milliarden Euro gegenüber der heutigen Planung beschert. Der sozialdemokratische Finanzminister stellt sich bei diesen Forderungen stur, weil er seine Partei hinter sich weiß. Außerdem müsste er sich bereits im kommenden Jahr von der schwarzen Null verabschieden, für die vor allem die Partei der Kanzlerin steht. Eine interessante politische Konstellation für die kommenden Monate!
Olaf Scholz schreibt in seinen Eckwerten für den Regierungsentwurf des Bundeshaushalts 2020 und des Finanzplans 2019 bis 2023 zum Verteidigungshaushalt:
„Die Bundesregierung bekennt sich zu ihren Verpflichtungen aus der Bündnisfähigkeit in der NATO sowie innerhalb der Europäischen Union. Daher werden die Mittel für den Verteidigungshaushalt noch einmal um rund 3,3 Milliarden € bis 2023 aufgestockt. Für 2020 wird damit eine NATO-Quote von 1,37% des BIP erreicht.“
In Zahlen gewährt der Bundesfinanzminister dem Epl. 14 damit einen Aufwuchs von 1,873 Milliarden im Jahr 2020 gegenüber dem laufenden Jahr – von 43,228 auf 45,101 Milliarden €. Das entspricht einer Steigerungsrate von 4,3 Prozent im Jahr 2020. Doch in der Finanzplanung ab 2021 bis 2023 sinken die absoluten Etatansätze wieder auf jeweils rund 44,25 Milliarden ab. Das bringt die Union, die Verteidigungspolitiker und die USA in Rage. Denn damit würde die deutsche NATO-Zusage Makulatur, weil die 1,5 Prozent-Quote nie zu erreichen wäre.
Eine ablösungsreife Verteidigungsministerin UvdL wird den Kampf um so viel mehr Geld für die Bundeswehr nicht gewinnen. Das scheint mir sicher. Und dass die Union und ihre Noch-Kanzlerin im Zweifel lieber die schwarze Null verteidigen als eine NATO-Zusage ist ebenso wahrscheinlich.
Viel hilft viel? Machen viele Milliarden die Bundeswehr wirklich leistungsfähiger?
Ein System organisierter Verantwortungslosigkeit wird nicht dadurch besser, dass man es innerhalb kürzester Zeit mit viel frischem Geld zuschüttet. Wer das „Bürokratiemonster“ Bundeswehr unvoreingenommen beurteilt, kann auch zu dem Schluss kommen, dass Veränderungen zunächst und vor allem durch dezentrale Ressourcenverantwortung steigerbar wären: Mehr Entscheidungskompetenz für die Standortkommandeure, die einen frei bewirtschaftbaren Haushaltsansatz für Instandhaltung erhalten. Bei der Gerätewartung wieder mehr Inhouse-Lösungen statt des heute praktizierten Industrie-Outsourcings, das zu langen Stillstandszeiten führt. Bei Beschaffungsvorhaben zwar europäisch denken, aber nicht um den Preis sündhaft teurer Multi-Standort-Workshares, die mehr industriepolitischen Sonderinteressen als der Kosteneffizienz dienen.
Eine Grundfrage stellt ohnehin kaum jemand: Warum soll die Personalstärke der Bundeswehr auf 203.000 erhöht werden? Die Personalrekrutierung gestaltet sich in Konkurrenz zum Aufwuchs bei den Sicherheitsorganen ohnehin schon schwierig genug. Außerdem verändert sich das sicherheitspolitische Umfeld und die Militärtechnik immer stärker in Richtung Cyberattacken-Abwehr. Ist die BMVg-Personal- und Organisationsplanung wirklich à jour?
Auch eine andere, allerdings politisch in Deutschland besonders heikle Frage stellt sich: Unisono verlangen Politiker der meisten deutschen Parteien, auch der Grünen, eine europäische Sicherheits- und Verteidigungspolitik. Sie fordern auch gemeinsame europäische Rüstungsbeschaffungen. Doch wer Flugzeuge, Schiffe und Militärgerät entwickelt, lebt auch von Stückzahlen. Gute Produkte finden Abnehmer auch in anderen Ländern und reduzieren die Stückpreise. Weil Deutschland unter dem Druck der öffentlichen Meinung (und der SPD) immer restriktiver bei der Ausfuhrkontrollgenehmigung von militärisch relevanten Produkten verfährt, werden immer mehr Rüstungsgüter ohne deutsche Wertschöpfungsanteile („German free“) in Frankreich oder anderswo geplant, gebaut und exportiert. Das trifft vor allem mittelständische Zulieferer in Deutschland. Es fördert massive nationale Know How-Verluste und reduziert die Mitgestaltungsspielräume der deutschen Sicherheitsarchitektur.