Tichys Einblick
Sag zum Abschied leise Servus

Von der freien zur kontrollierten Demokratie?

Was gestern noch zu den Grundsätzen unserer freiheitlichen Gesellschaft gehörte, muss heute dem „Kampf gegen rechts“ oder einer wie auch immer formulierten Gerechtigkeit weichen, die letztlich nur die Maske des Unrechts ist.

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Vermutlich erinnert sich in unseren schnelllebigen Zeiten kaum jemand an einen früheren Gesundheitsminister namens Philipp Rösler, dessen praktische Politikexempel aus seltsamen Bereichen stammten. Ein Frosch der in einem Wassertopf sitzt, würde herausspringen, so meinte der FDP-Politiker, wenn man schlagartig die Temperatur erhöhen würde, begänne man die Erhitzung als sehr langsame Erwärmung, bliebe das Tier im Topf, bis es platzen würde.

So in etwa kann man sich den Abschied von der Demokratie vorstellen, der von der „neuen Klasse“, wie Paul Collier das Establishment in seinem Buch „Sozialer Kapitalismus“ nennt, vorangetrieben wird. Was gestern noch zu den Grundsätzen unserer freiheitlichen Gesellschaft gehörte, muss heute dem „Kampf gegen rechts“ oder einer wie auch immer formulierten Gerechtigkeit weichen, die letztlich nur die Maske des Unrechts ist. Die Demokratie wird mit hochmoralischen Argumenten ausgehöhlt. Der gesellschaftliche Diskurs gerät unter den Druck selbsternannter Inquisitoren in den Medien, für die Einseitigkeit noch Vielfalt bedeuten würde. Ein Format wie das frühere Frontal, das gemeinsam gegeneinander von einem Linken und einem Konservativen, nach heutiger Lesart von einem Rechten, bestritten wurde, sucht man im ZDF vergebens und es wäre auch inzwischen leider undenkbar.

Von jeher besitzen die Intellektuellen die Aufgabe zu warnen, doch nur allzu viele beeilen sich stattdessen, in die erste Reihe, wenigstens in die zweite vorzudringen, erfüllt von dem Wunsch, mitzutun am großen Werk, andere schweigen lieber, weil sie sehen, mit welch erheblichen Schwierigkeiten diejenigen konfrontiert werden, die treu und brav ihrer unbequemen Intellektuellenpflicht nachkommen. Nichts jedoch ereignet sich aus heiterem Himmel und alles kündigt sich an. Wenn man sehen will, wie täglich demokratische Werte und Regelungen in Frage gestellt oder sogar deformiert werden, kann man es, wie folgende Beispiele pars pro toto belegen:

Angst vor dem Gebührenzahler
Der New Speak der ARD - wie wir manipuliert werden sollen
In Brandenburg wird ein Parité-Gesetz durch den Landtag gejubelt, dessen Unvereinbarkeit mit dem Grundgesetz und den Prinzipien der Demokratie offensichtlich ist, doch spielt das keine Rolle, denn ohne auch nur auf die Argumente einzugehen, werden diejenigen, die darauf hinweisen oder gar protestieren, als Anhänger der AfD oder als Rechtspopulisten verdächtig gemacht oder eben als Männer geoutet, die aufgrund ihrer niederen Kultur nicht anders können, als Angst vor klugen, fähigen, modernen Frauen zu haben, die sie deshalb unbedingt zu verhindern trachten. So klug wie Angela Merkel? So befähigt wie Ursula von der Leyen? So modern wie Franziska Giffey? Thomas De Maiziere würde, obwohl er keine Frau ist, in diese Liste passen, was nur zeigt, dass es eben nicht um das Geschlecht, sondern um die Professionalität und das Können geht.

Nachdem die neue Verfassungsrichterin Juli Zeh in Brandenburg das Politische dem Juristischen vorzieht – und dadurch praktisch die Gewaltenteilung ignoriert, sollte man nicht allzu große Hoffnungen hegen, dass dieses grundgesetzwidrige Gesetz vom Brandenburgischen Verfassungsgericht gestoppt wird. Zeh bezieht sich auf die Schlüsselposition der „kleinen Verfassungsgerichte“, wenn „sie etwa über Klagen rechter Parteien entscheiden müssen, die darauf abzielen, die Arbeit in den Parlamenten aufzuhalten.“ Wenn das linke Parteien versuchen würden, wäre das nach Zeh also kein Problem. Linke dürfen alles, weil sie links wie Zeh sind.

Das nannten die Linken früher übrigens „Klassenjustiz“. Im Klartext: Würden „rechte“ Parteien durch Klagen ein rechtswidriges „linkes“ Durchregieren zu stoppen versuchten und damit ihre rechtsstaatlichen Rechte wahrnehmen, würde das die „linke“ Verfassungsrechtlerin Zeh verhindern wollen. Liest man Zehs Einlassungen, so würde sie vermutlich eine Klage gegen das Parité-Gesetz abschmettern. Dass jeder Bürger unabhängig von seinem Geschlecht ein aktives und ein passives Wahlrecht besitzt, interessiert schon gar nicht mehr, selbst wenn es im Grundgesetz steht. In dem Fall muss man eben, wie ein Redakteur der FAZ twitterte, „steuern“:

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„Kann es sein, dass ein Männeranteil in Parlamenten von zwei Dritteln die Überzeugung des Volkes ausdrückt, dass Männer doppelt so gut Politik machen wie Frauen? Nein, das ist absurd. Und wer das für absurd hält, muss etwas dagegen tun. Auf der Ebene der Normen = Steuerung.“ Man könnte auch lenken sagen und würde damit die repräsentative Demokratie, die auf dem Konzept des mündigen Bürgers unabhängig von Alter und Geschlecht beruht, in eine gelenkte Demokratie umwandeln, die sich in lauter Sorge um den Menschen, um benachteiligte Gruppen nicht einmal mehr an den Bürger erinnert.

Der demokratische Souverän fällt lästig, man erklärt ihn deshalb zu einer gestrigen, wenn nicht zu einer reaktionären Angelegenheit. Meinungsfreiheit wird geradezu regierungsamtlich abgeräumt, wenn in einer mit ca. 55.000 Euro vom Bundesfamilienministerium geförderten Kampagne grundgesetzwidrig verkündet wird: „Es heißt Grundrecht auf freie Meinungsäußerung und nicht Grundrecht auf Scheiße labern.“ Auch das „Scheiße labern“ wird vom Recht der freien Meinungsäußerung abgedeckt. Wo es das nicht mehr tut, existiert kein Recht auf freie Meinungsäußerung mehr.

Das von der ARD in Auftrag gegebene Framing Manual empfiehlt daher nur konsequent der Anstalt öffentlichen Rechts als Slogan: „Kontrollierte Demokratie statt jeder, wie er will.“ Wohin käme man in einer Demokratie, wenn der Bürger seinem Willen Ausdruck verleihen würde? Er muss kontrolliert und gelenkt werden, ihm ist mit medialer Überwältigung einzubläuen, was „Meinung“ und was „Scheiße“ ist. Dadurch wird allerdings die freie in die sozialistische Demokratie überführt, wobei grün in diesem Fall das neue sozialistisch ist. Die grüne Demokratie Habecks ist im Grunde eine sozialistische, stalinistisch grundiert.

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Überhaupt geht es nicht mehr um Bürger, sondern nur noch um Menschen, die den Autoritäten Vertrauen und keinesfalls Kritik entgegenzubringen haben, wie vor kurzem aus einem Artikel von Torben Lütjen in der FAZ zu erfahren war. Aus dem Bürger des Staates, aus dem politischen Subjekt, wird der Mensch, das zu betreuende Objekt. Der pfiffige Politikwissenschaftler stellte klar, dass derjenige, der stets kritisch sei und alles hinterfrage, eben auch derjenige sei, der in der Sprache der AfD der „mündige Bürger“ genannt werde. Der mündige Bürger entspringt Lütjen der Sprache der AfD wie die Aufklärung übrigens auch. Schlimmer noch, „der Populismus rechnet in seiner Ansprache tatsächlich mit Menschen, die sich für so kompetent halten, dass sie die Komplexität der Welt ohne fremde Hilfe und damit selbst verstehen.“ Diese „Menschen“ besitzen für Lütjen die Frechheit, die Immanuel Kant „Mut“ übrigens nennt, sich ihres „eigenen Verstandes zu bedienen“. Es sind Leute, die, wie es schon in der päpstlichen Bannbulle gegen den Philosophen Meister Eckart heißt, „die mehr wissen wollen, als ihnen zusteht“, was im 14. Jahrhundert und in unseren Tagen offenbar bereits wieder als Ketzerei gilt. Im platten, dafür um so gestemmteren Spott macht sich Lütjen lustig über die „fußnotengesättigten Gegenexpertisen“ von Menschen mit „fachfremden, aber doch staatlich zertifizierten Bildungsabschluss vom Typus Dr. rer. nat..

Da hat der Politik“wissenschaftler“ Lütjen recht, Fragen des Klimas haben natürlich überhaupt gar nichts mit Naturwissenschaften zu tun, denn der Dr. rer nat. als Gegenstück zum Dr. phil. wird für die unter Beweis gestellte Befähigung in den Naturwissenschaften verliehen. Zwingender, als es Lütjen tat, konnte man nicht belegen, dass die Problematik des „vom Menschen gemachten Klimawandels“ das Fach von Ideologen, von Politik“wissenschaftlern“ – und freilich von 16-jährigen Mädchen ist. Lütjen räumt ein, dass die „technisch-wissenschaftliche Moderne“ die Menschen befähigt hat, ihre „Methoden, Axiome, Argumentations- und Denkfiguren“ zu benutzen, doch um so notwendiger wird es, sich der Leitung seines Verstandes zu entsagen und stattdessen sich der „Mehrheit der Wissenschaft und sonstigen Interpretationseliten“ zu unterwerfen. Lütjen wirbt für das, was der Soziologe Wolfgang Streeck die Expertenlüge nennt und der nur eine Funktion zukommt, der Göttin TINA (there is no alternative) zu dienen.

An dieser Stelle wäre es interessant gewesen, zu erfahren, wer diese „sonstigen Interpretationseliten“ sind. Katrin Göring-Eckardt? Robert Habeck? Die Amadeu Antonio Stiftung oder doch die Antifa? Die Legionen der gut finanzierten NGOs? Folgt man den Gedanken des Autors in der FAZ wird deutlich: Unmündigkeit schützt vor Populismus, plumpes Vertrauen davor, als „rechts“ aufzufallen. Man wird das Gefühl nicht los, dass der Autor sich die Renaissance des fanatischen Glaubens wünscht. Aus jeder seiner Sätze quellen die halb vergessenen Sätze aus dem „Untertan“ von Heinrich Mann:„ Auf dem Pferd dort, unter dem Tor der siegreichen Einmärsche, und mit Zügen steinern und blitzend, ritt die Macht! Die Macht, die über uns hingeht und deren Hufe wir küssen! Die über Hunger, Trotz und Hohn hingeht! Gegen die wir nichts können, weil wir alle sie lieben! Die wir im Blut haben, weil wir die Unterwerfung darin haben!“ In Lütjens Text feiert zumindest der Untertanengeist Wiederauferstehung.

Ausgrenzen
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Denn das alte methodische Prinzip de omnibus dubitandum (an allem ist zu zweifeln) gilt wieder als verwerflich, als rechts, verpönt wird der denkende, kritische Bürger. Voraussetzung dafür, ein guter Demokrat zu sein, ist es, die Skepsis aufzugeben und autoritätshörig zu werden, denn „Die ein wenig ernüchternde Wahrheit ist daher vielleicht, dass moderne Demokratien“ – im Unterschied zu den alten, liberalen will man ergänzen – „auf einige gänzlich unmoderne Ressourcen angewiesen sind, dass ohne ein gewissen Vertrauensvorschuss seitens der Regierten die repräsentative Demokratie wohl nicht funktionieren kann.“ Ein üppiger Schuss Diktatur kräftigt also die Demokratie. Mithin ist jede parlamentarische und außerparlamentarische Opposition, die kritische Fragen stellt, von vorn herein demokratiegefährdend, weil sie durch Kontrolle und kritisches Nachfragen diesen Vertrauensvorschuss vermissen lässt.

Unter der Hand schlägt der Autor den Abschied von der Demokratie und die Einführung der Diktatur vor, denn Diktaturen fordern Vertrauen ein, Demokratien nicht, deren einziger Vertrauensvorschuss in die Wahl der Volksvertreter besteht, nicht etwa zu ihrer Arbeit, die stets zu kontrollieren ist, sondern nur zu ihrer Wahl. Doch dort, wo weniger Kontrolle durch den Wähler und durch die Opposition, wenn es sie denn gibt, geschieht und stattdessen mehr Vertrauen existiert, sprich Hörigkeit, dort wird die Macht um so aboluter, was an den Satz von Lord Acton erinnert: Macht korrumpiert, absolute Macht korrumpiert absolut. Gerade gegen die der Macht eigene Korruptionskraft steht der Mechanismus der demokratischen Kontrolle des mündigen Bürgers, des, wenn man so will, demokratischen Misstrauens.

Den Populismus sieht Lütjen als eine „ tendenziell antiautoritäre“ Bewegung. Ist Lütjens guter Demokrat hingegen ein Duckmäuser, ein Mitläufer in einer „tendenziell autoritären Bewegung“? Schuld ist im Grunde die Aufklärung, die Vernunft, die antiautoritäre Haltung und die Mündigkeit des Menschen, all das ist Populismus, AfD, demokratiefeindlich. Und so kommt Lütjen folglich zu dem Schluss, dass die Demokratie der Demokratie schadet, und die Lösung nur in weniger und nicht in mehr Demokratie liegt, denn „vielleicht sollte man stattdessen aufhören, … immer noch mehr Demokratie, mehr Mitsprache, mehr Beteiligung … zu versprechen …“.

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Mit dieser Vorstellung, dass man die Mitwirkung des Bürgers reduzieren soll, steht Lütjen nicht allein da. Eine neue herrschende Klasse will verhindern, nun da ihr Versagen offenkundig ist, dass der Wähler sie dafür abstraft und sie abwählt. Der Niederländer David van Reybrouk fragt in einer Art offenen Brief an Jean-Claude Juncker, der in einem Sammelband des Suhrkamp Verlages veröffentlicht wurde, „ob Wahlen in ihrer jetzigen Form nicht vielleicht doch eine altmodische Methode sind, um aus dem Gemeinwillen eine Regierung und deren Politik zu bestimmen“.

Der Gemeinwillen als reaktionäres Überbleibsel, das es zu liquidieren gilt? Denn schließlich, fragt Reybrouck rhetorisch: „Legen die Bürger wirklich ihre beste Seite an den Tag, wenn sie im dunklen Licht und hinter dem geschlossenen Vorhang der Wahlkabine wichtige Entscheidungen über die Zukunft der Gesellschaft treffen, und zwar ohne in irgendeiner Weise verpflichtet zu sein, sich zu informieren, oder die Möglichkeit zu haben, zunächst mit anderen zu diskutieren.“ Glaubt Reybrouck, dass es besser war, als in der DDR die meisten die Wahlkabine gemieden haben, weil sie dadurch dokumentiert hätten, gegen den Wahlvorschlag der Regierung, also gegen die SED zu stimmen und mithin der Stasi als Staatsfeind gemeldet worden wären?

Nun sind Wahlen keine Abiturprüfungen in politischer Bildung oder Doktorandenprüfungen in Politikwissenschaften, sondern Ausdruck des politischen Willens der Bürger, die keinerlei Informationen vorzuweisen und auch nicht Inquisitionen vor der Wahl über sich ergehen zu lassen haben. Es sei daran erinnert, im Artikel 20, Absatz 2 des Grundgesetzes heißt es: „Alle Staatsgewalt geht vom Volke aus. Sie wird vom Volke in Wahlen und Abstimmungen und durch besondere Organe der Gesetzgebung, der vollziehenden Gewalt und der Rechtsprechung ausgeübt.“ Weder Intelligenzteste, noch Überprüfungen in politischer Korrektheit sind zulässig. Der Wähler muss noch nicht einmal die Meinung von David van Reybrouk teilen, mag dieser selbst sie auch für noch so begründet halten. Was ist die beste Seite des Bürgers? Dass er mit David van Reybrouk übereinstimmt? Und wenn nicht? Liegt die Wahlkabine für denjenigen, der die Meinung von David van Reybrouk vertritt und dementsprechend wählt, plötzlich in hellerem Licht, als bei denen, die konträr denken?

Warum meinen die Linken ständig, dass sie den Stein der Weisen gefunden und alle anderen ihre Ideen von der Zukunft der Gesellschaft zu teilen hätten? Wurde denn bereits vergessen, dass diesen Anspruch in der Sowjetunion ca. 20 Millionen, in China mindestens 70 Millionen Menschen mit dem Leben zu bezahlen hatten und ganze Völker ihr Leben in Unfreiheit und in knechtenden Systemen zubringen mussten? Wer die Wahlen in der DDR erlebt hat, wird die freien und geheimen Wahlen verteidigen, wer sie nicht verteidigt, der will im Grunde so etwas wie ein Blockwahlsystem mit Quotierungen und Wahlvorschriften. Das Brandenburgische Parité-Gesetz ist ein erster, ernstzunehmender Schritt in diese Richtung. Er drückt den Wunsch aus, die Demokratie abzuschaffen.

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Wie schon Patrick Bahners träumt auch David van Reybrouck davon, zu steuern und zu lenken, denn schließlich darf man das Volk, den großen Lümmel, nicht einfach so abstimmen lassen. Populismus? Demokratie? Bahners interessiert sich nicht für die Gleichheit des passiven Wahlrechts aller, sondern er will die Frauenquote unterstützen, der in absehbarer Weise ein Migrantenquote folgen wird. Der Bürger soll nicht mehr denjenigen wählen, den er für den geeignetsten hält, sondern denjenigen oder diejenige, die willkürlich festgelegt werden und auch nur die Parteien, die sich die Medien wünschen, am besten die Grünen, vielleicht mit einer Angela Merkel an der Spitze, auf alle Fälle das Alternativlose, denn jeder alternative oder jeder kritische Gedanke wären ja schon Populismus, wie Lütjen schreibt.

In Dresden wurde bereits 2014 ein Konzept für ein Institut für Gesellschaftlichen Zusammenhalt und Integration, das an der Technischen Universität gegründet werden sollte, entwickelt. Das konzipierte Institut kam unter die Räder des Wahlkampfes um den Oberbürgermeister von Dresden und wurde als Pegida-Institut bewusst diffamiert. Das Zusammenwirken der sozialdemokratischen Wissenschaftsministerin mit dem Rektor der Technischen Universität verhinderte schließlich das Zustandekommen des Instituts. Gesellschaftlicher Zusammenhielt schien für die Ministerin und den Rektor kein Thema zu sein. Als der Bund schließlich auf Initiative von Michael Kretzschmer ein Budget für ein bundesweites Institut zur Verfügung stellte, dabei aber sich von der Vorstellung leiten ließen, dass dieses neue Institut auf mehrere Standorte und unterschiedliche Träger verteilt würde, gingen die Dresdner Initiatoren wieder leer aus.

Nicht leer aus ging die Filiale der Amadeu Antonio Stiftung im thüringischen Jena. Dass ausgerechnet eine umstrittene Stiftung wie diese, deren ganzes Wirken die gesellschaftlichen Spaltung vorantreibt und eben nichts zum Zusammenhalt beiträgt, weil sie ständig ausgrenzt, dubiose Handreichungen für Erzieher in Kitas erstellt oder einen Internetpranger betrieb, wo jeder nach Kräften unter Wahrung strengster Anonymität denunzieren durfte, wie er wollte, finanzielle Zuwendungen erhält und zum neuen republikweiten Institut für gesellschaftlichen Zusammenhalt und Integration gehören wird, zeigt die massive Förderung der Stiftung durch die Regierung und natürlich wohin die Reise gehen soll. Die skandalösen Vorgänge um die Geheimtagung der Stiftung, die sich anmaßt, die DDR Aufarbeitung zu bewerten, als ob es übrigens keine Stiftung Aufarbeitung dafür gäbe, wurden gerade öffentlich.

Wiedergänger
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Dass sich die Amadeu Antonio Stiftung in Thüringen wohlfühlt, kann man sich denken, denn in diesem Bundesland ist das Mitglied des Stiftungsrates Stephan J. Kramer auf Druck der rot-rot-grünen Regierung Präsident des Verfassungsschutzes geworden. Auf Wikipedia erfährt man: „Das Thüringer Verfassungsschutzgesetz bestimmt, dass der Präsident der Behörde über die Befähigung zum Richteramt verfügen soll, was auf Kramer nicht zutrifft. Auf Zweifel an der Qualifikation antwortete das Thüringer Ministerium für Inneres und Kommunales, die „Soll“-Formulierung des Gesetzes („Das Amt des Präsidenten soll nur einer Person übertragen werden, die die Befähigung zum Richteramt besitzt.“) lasse einen eingeschränkten Ermessensspielraum.“

Dass der Verfassungsschutz über jeden Zweifel erhaben ist und eine Distanz zur Politik hält, gehört zu den demokratischen Grundregeln, doch dürfte die Nähe des Leiters des Thüringer Amtes zur Kahane-Stiftung und das starke Engagement der rot-rot-grünen Regierung, die selbst objektiv gegebene Zweifel an der Qualifikation des Behördenleiters robust wegschob, für Zweifel an seiner Neutralität sorgen. Aber wie Lütjen bereits mitgeteilt hat, gehören Zweifel zum Populismus und zur Aufklärung, während der gute Demokrat einfach vertraut und sich von den Forderungen der Aufklärung verabschiedet, besser noch, sich von ihr distanziert. Doch auf welche Gesellschaft steuern einflussreicher Kräfte hin?

Die neue Gesellschaft

Der SPIEGEL verrät, wie diese neue Gesellschaft, diese neue Demokratie aussehen soll. Natürlich handelt es sich um eine „Gesellschaft, in der Selbstverwirklichung einen höheren Stellenwert hat als Produktivität. In der Sie weniger arbeiten und dafür Ihren Sehnsüchten nachgehen. Und in der Ihre Mitmenschen Sie nicht nur tolerieren, sondern annehmen, wie Sie sind – mit Ihrem Lebenskonzept, Ihrer Hautfarbe, Ihrer sexuellen Orientierung.“ Die Geschichte hat genügend Beispiele dafür erbracht, was geschieht, wenn man versucht, so idealistische Vorstellungen geradezu gesellschaftsalchemistisch durchzusetzen, wenn man die Wirklichkeit in eine Utopie zu zwängen versucht.

Wer mit den Träumen der Utopie einschläft, erwacht im Gulag oder in einer Verbotsgesellschaft, die nunmal die Freiheit unter Verweis auf hehre Ziele außer Kraft setzt. Wer Fragen stellt, gilt als Volksfeind, wer Freiheit wünscht, als Reaktionär. Aus der Gesellschaft der Gleichen wird sehr schnell schon die Gesellschaft, in der einige gleicher als die anderen sind.

Der SPIEGEL-Autor konfrontiert seine Leser mit den mehr als umstrittenen Thesen der amerikanischen Entwicklungspsychologin Jane Loevinger, die nicht nur eine Theorie zur Vermessung des Ichs erarbeitete, sondern zu dem Schluss kam, dass „jedes Ich … einer festen Reihenfolge von Entwicklungsstufen“ folgt und „dabei immer differenzierter und komplexer“ wird, wobei zehn Entwicklungsstufen definiert worden sind. Nicht nur, dass die willkürlich und ideologisch festgelegten Entwicklungsstufen, den Menschen in ein starres Konzept einsperren, entsteht in einer Art Sozialpsychologismus oder Sozialdarwinismus, wenn man die psychischen Entwicklungsstufen auf die Gesellschaft anwendet, letztlich ein strenges Hierarchiesystem, das an bestimmte Sekten wie Scientology erinnert.

Hierarchie statt Demokratie

Um es kurz zu machen: Da die Mitglieder der westlichen Gesellschaft immer höhere Entwicklungsstufen erreichen, verlieren nach den Vorstellungen des SPIEGEL-Autors „Wertmuster in Ehe, Arbeitsleben, Familie und Schule“ immer mehr an Bedeutung. Die „Individualisten“ und „Pluralisten“ auf der hohen Entwicklungsstufe E 7 interessieren sich nicht mehr für die Nationalität als „identitätsstiftendes Element“. „Konzepte wie eine rein deutsche ‚Leitkultur‘ würden an Attraktivität verlieren, der gesellschaftliche Diskurs würde sich stattdessen um Metakriterien drehen, denen alle in der Gemeinschaft zustimmen können, egal welche Interessen sie haben.“

Wie Meta müssten denn die Metakriterien sein, dass sie alle befürworten? Zumindest so Meta, dass sie in ihrer hohen Abstraktheit banal und wirkungslos wären. Natürlich würde auch das Leistungsideal verschwinden. „E7 stellen bei ihrer Lebensplanung verstärkt die Sinn- oder Identitätsfrage“, heißt, sie sind ausschließlich nur mit sich und ihrem Seelchen beschäftigt und interessieren sich nicht mehr für das, was um sie herum vorgeht. E 7 wären dann soziale Neutra. Überflüssig zu erwähnen, dass in dieser Menscheneinteilung natürlich die Anhänger der Grünen den höchsten Entwicklungsstand erreicht haben und die der AfD den niedrigsten.

Der SPIEGEL-Autor kommt zu dem Schluss: : „Es ist gut möglich, dass wir uns mit einer solchen Gesellschaftsform bald ernsthaft auseinandersetzen werden; auffällig viele Diskurse unserer Zeit drehen sich um postkonventionelle Denkansätze: Die wachsende Anzahl von Arbeitern in Teilzeit und die Debatten über ein bedingungsloses Grundeinkommen etwa lassen den Schluss zu, dass sich Erwachsene mehr Zeit und Raum zur Verwirklichung individueller Ziele wünschen. Oder sich diese Zeit bereits nehmen.“

Die Frage, wer diese Lebensweise finanzieren soll, stellt sich natürlich nicht. Mit dieserart nebensächlichen Details hält man sich nicht auf. Interessant ist, dass auch dieses so demokratische, so freiheitliche, so weltoffene Modell den alten Geist des allerdings stylisch verpackten alten Autoritarismus in seiner infantilsten Form, in seinem so großen Wunsch, das kritische Denken abzugeben und endlich gehorchen zu dürfen, verdeutlicht, wenn es heißt: „Eine kluge Regierung wird all diese Aspekte in Zukunft berücksichtigen müssen. Wie genau gute Lösungen aussehen, ist noch kaum absehbar. Eines aber ist schon jetzt klar: Sollte unsere Gesellschaft ihren Schwerpunkt irgendwann wirklich auf Stufe E7 verlagern, dann sollten führende Politiker und obere Führungskräfte sich am besten schon auf Stufe E8 befinden.“

Die Weisesten sollen herrschen

Nur die Weisesten sollen herrschen über die weniger weisen, die Interpretationseliten, denen blindes Vertrauen entgegenzubringen ist, weil sich kritisches Nachfragen nicht gehört, weil der Mut, sich seines Verstandes zu bedienen, reiner Populismus wäre. Neu ist das nicht, denn man hat das alles schon einmal gelesen, bei Thomas Morus oder bei George Orwell, bei Marx und Mao, bei Lenin und Stalin und mit Demokratie hat das nichts zu tun, sondern mit einer Art Wohlfühlsektenabsolutismus. Es wäre dies eine strengregulierte Welt, eine Welt ohne Freiheit. Dass die Gesellschaft sich diesem Zustand nähert, dass sie in dieser Art und Weise umgebaut wird, liegt an einer neuen herrschenden Klasse, die sich aus Vertretern der Neoliberalen, des Finanzkapitals, der Medien- und Kulturindustrie, den progressiven Emanzipationsbewegungen (LGBTQ-Verbände) und den Vertretern hoch technologisierter Bereiche der Digitalindustrie zusammensetzt.

Den Herrschaftsanspruch eines Teils dieser neuen Klasse beschrieb der Blogger Michael Seemann im Tagesspiegel einmal so: „Es gibt heute eine globalisierte Klasse der Informationsarbeiter, der die meisten von uns angehören und die viel homogener und mächtiger ist, als sie denkt. … Es ist eine Klasse, die fast ausschließlich in Großstädten lebt, die so flüssig Englisch spricht wie ihre Muttersprache, für die Europa kein abstraktes Etwas ist, sondern eine gelebte Realität, wenn sie zum Jobwechsel von Madrid nach Stockholm zieht … Diese neue globalisierte Klasse sitzt in den Medien, in den StartUps und NGOs, in den Parteien, und weil sie die Informationen kontrolliert („liberal media“, „Lügenpresse“), gibt sie überall kulturell und politisch den Takt vor …

Denn insgeheim weiß sie längst, was die eigentliche Quelle ihrer Macht ist: Sie kontrolliert den Diskurs, sie kontrolliert die Moral … Und das merken die anderen, die kulturell Abgehängten. Sie merken, dass uns ihre Welt zu klein geworden ist, dass wir uns moralisch überlegen fühlen und nach Größerem streben. Vor allem merken sie, dass wir dabei erfolgreich sind, dass wir auf diesem Weg die Standards definieren, die nach und nach auch an sie selbst angelegt werden.“

Diese Standards sind nicht die Standards der Demokratie. Sie sind die Standards einer Gesinnungsdiktatur, die ideologische Übereinstimmung fordert.

Abschied von der Demokratie

Fragt man nach dem Hintergrund des Abschieds von der Demokratie, so lautet die Antwort in historischer Einfachheit, dass sich die Herrschaft des juste milieus oder einer neuen Klasse oder des Establishments gebildet hat, das im wesentlichen aus Globalisten besteht, aus einem Bündnis der Utilitaristen, die allerdings den Kommunitarismus und den Kooperatismus gegen einen sozialen Paternalismus eingetauscht haben, und den Anhängern des Philosophen John Rawls, denen eine Gesellschaft erst dann als moralisch gilt, „wenn ihre Gesetze zum Wohle der am stärksten benachteiligten Gruppe gestaltet“ sind. (Paul Collier). Die Globalisierung kommt als multilateraler Prozess an ihr Ende, neue Hegemonien bilden sich heraus, vor denen diese neue Klasse in die Knie geht. Mit einem Wort: Die herrschende Klasse hat grundsätzlich und vollkommen versagt. Sie betreibt die Auflösung Europas. Sie besitzt statt Antworten auf die Herausforderungen der Zukunft, nur infantile Träume gestriger Utopien.

Weil sie de-konstruktiv ist, sucht sie ihr Heil im Dekonstruieren. Ihr einziges Ziel besteht darin, an der Macht zu bleiben, ihre einzigen Idee, die sie der Gesellschaft anbietet, erschöpft sich in Verbotsträumen. Mithilfe einer obskuranten Klimaapokalypse versucht sie die Bürger zur Akzeptanz dieser Verbotsträume zu pressen. Demokratisch lässt sich der angestrebte Umbau der Gesellschaft, der ihre Herrschaft sichern soll, weder durchsetzen, noch legitimieren, deshalb muss alles, was die Demokratie ausmacht, Stück für Stück delegitimiert werden und an ihrer Stelle die Herrschaft der E 8, denen absolutes Vertrauen entgegenzubringen ist, stehen sie doch auf einer höheren Entwicklungsstufe, installiert werden, mit anderen Worten, statt der repräsentativen die gelenkte Demokratie, denn ohne kontrollierte Demokratie, macht jeder, was er will, wie es bei der ARD seit kurzem heißt.

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