Tichys Einblick
Vom Volk des Grundgesetzes

Feiertag Deutsche Einheit

Das Volk, von dem das Grundgesetz ganz unbefangen spricht, lässt sich so schnell jedoch nicht unterkriegen. Glücklicherweise nicht, denn es ist klüger als seine Vertreter. Das Volk glaubt diesen Volksvertretern nicht, weil es nicht mit Dienstwagen oder im Flugzeug unterwegs ist, sondern in der U-Bahn, wo man kein Deutsch mehr spricht. Von Konrad Adam

IMAGO / UIG

Heute soll wieder einmal festlich der Deutschen Einheit gedacht werden, diesmal in Hamburg. Anlass ist die 33. Wiederkehr des Tages, an dem die Volkskammer der DDR mit überwältigender Mehrheit beschloss, der Bundesrepublik Deutschland beizutreten. Der Auftrag des Grundgesetzes, frei und selbstbestimmt die Einheit des Landes zu vollenden, war damit erfüllt. Seither gilt das Grundgesetz für das gesamte Deutsche Volk – so jedenfalls die neu gefasste Präambel, die dem bekannten Verfassungstext vorangestellt worden ist.

Einheit in Freiheit hieß die Parole, unter der Ostdeutsche und Westdeutsche wieder zusammengefunden hatten. Davon wollen die fortschrittlichen Kräfte, denen es mit der Modernisierung nicht schnell genug vorangehen kann, inzwischen aber nichts mehr hören. Die Einheit finden sie nicht nur teuer, lästig oder überflüssig, sie finden sie widerlich. Und sie bestehen auf ihrer Freiheit, alles kurz und klein zu schlagen, was ihnen in den Weg kommt und nicht passt. Schon einmal, beim Treffen der G-20-Staaten in Hamburg, hatten sie Gelegenheit dazu. Seither wissen wir, was es bedeutet, wenn die jeunesse dorée zum Demonstrieren, Zeichen setzen, Haltung zeigen und so weiter auffordert.

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Als die Regierenden damals, vor elf Jahren, beim Abendessen saßen, durfte die rote, die grüne und die bunte Jugend Jagd auf die Regierten machen. Sie führte Krieg gegen die Polizei, plünderte Läden und setzte Autos in Brand – die autonome Linke meint es ernst, wenn sie ihre Leute dazu aufruft, Feuer und Flamme für diesen Staat zu sein. Zwar hatte sie schon damals ihre Absichten öffentlich kundgetan, aber was hilft das schon, wenn Angela Merkel und Olaf Scholz – sie damals Kanzlerin, er Bürgermeister in Hamburg – sich in den Kopf gesetzt haben, Machthaber aus aller Welt in ihrer Heimatstadt zu begrüßen? Dann müssen die Erwartungen, die Ansprüche, die Rechte der Bürger zurückstehen. Und so geschah es denn auch.

Eine Generation nach der Wende ist Deutschland immer noch (oder wieder einmal) tief gespalten. Zwischen oben und unten, rechts und links, Ost und West. Statistische Größen wie Löhne und Renten, Lebenserwartung und Krankenstand mögen an- und ausgeglichen worden sein, der Ostbeauftragte präsentiert die Zahlen und ist stolz darauf. Über die Mentalitäten sagt er nichts. Die sehen nämlich anders aus und kommen anderswo zum Vorschein, zum Beispiel in den Stimmen für die AfD. Jetzt rächt sich, dass die westlich dominierten Parteien die Wiedervereinigung als ein pädagogisches Großunternehmen betrieben haben, als eine zweite reeducation, in deutschem Stile allerdings, also gründlich. Sie wollten die Ostdeutschen politisch auf Vordermann bringen, und als die bockten, wurden sie nicht länger als Brüder oder Schwestern angesprochen, sondern als Pack, als Mob und als Gesindel.

Der spätere Innenminister Otto Schily hatte ein Beispiel gegeben, als er, in einer Talk-Runde danach gefragt, was die Ossis zum Beitritt motiviert haben könnte, eine Banane aus der Tasche zog und grinsend in die Kamera hielt. „Ihr wollt“, hieß das, „unser Geld und unseren Wohlstand. Den könnt ihr haben, allerdings zu unseren Bedingungen, nicht zu euren“. So spricht die Linke: Wir bestimmen, wo es lang geht, denn wir sind weiter, klüger, fortschrittlicher als ihr. Schilys Parteifreude haben das jahrelang wiederholt – so lange, bis ihre Opfer von den Belehrungen und Beleidigungen genug hatten und AfD wählten. Neben Frau Merkel dürfte niemand zum Aufkommen dieser Partei mehr beigetragen haben als der Parteivorstand der SPD.

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Die Ostdeutschen hatten mit der Einheit andere Erwartungen verbunden als der bequeme Westen. Unter einer freien Wahl verstanden sie mehr als die Erlaubnis, vom Stimmrecht unter Auflagen Gebrauch zu machen. So war es aber nicht gemeint, erst neulich sind sie vom Bundespräsidenten mit strengen Worten darauf hingewiesen worden. Den mündigen Bürger pries auch er; aber mündig ist der Bürger eben erst dann, wenn er so wählt, wie sich Frank-Walter Steinmeier das vorstellt. Tut er das nicht, darf er sich nicht darüber beklagen, wenn man ihm über den Mund fährt. Die Drohung saß. Und damit sie nicht vergessen wird, entdeckt Frau Faeser alle paar Tage eine neue rechtsradikale Gruppe, die sie dann mit gewaltigem Tamtam verbietet. Diese Arbeit wird ihr so bald nicht ausgehen, denn in Deutschland gilt man ja schon dann als rechtsradikal, wenn man unter Volk etwas anderes versteht als Thomas Haldenwang und seine Leute.

Das Volk, von dem das Grundgesetz ganz unbefangen spricht, lässt sich so schnell jedoch nicht unterkriegen. Glücklicherweise nicht, denn es ist klüger als seine Vertreter. Es weigert sich, Migranten, die ein paar tausend Dollar für die Überfahrt bezahlten, als arme Teufel zu betrachten. Es mag die jungen Männer, die in Deutschland Jagd auf junge Frauen machen, nicht willkommen heißen. Es findet die Idee, Kulturfremde dadurch zu integrieren, dass man ihnen freien Eintritt zur Schwulen-Sauna verschafft, absurd. Es hält nichts von der Zusammenarbeit mit Leuten, die Menschen in Gummibooten aufs hohe Meer hinausschleppen und dann allein lassen. Es tut sich schwer, im Menschenhandel einen Beweis für Menschlichkeit zu entdecken, und es hält an seinen Ansichten fest, unbeeindruckt vom Protest der Migrationsbeauftragten, der Kirchenpräsidenten und anderer Lobbyisten.

Das Volk glaubt diesen Volksvertretern nicht, weil es nicht mit Dienstwagen oder im Flugzeug unterwegs ist, sondern in der U-Bahn, wo man kein Deutsch mehr spricht. Oder auf Märkten, wo man nicht mehr verstanden wird. Oder in Wartezimmern, wo man als Kassenpatient zweimal bezahlen muss, einmal für sich und dann für den Migranten, der neben einem sitzt und kostenlos behandelt wird. In Deutschland gilt es nämlich als sozial, Leute, die niemals einen Beitrag geleistet haben, wahrscheinlich auch niemals leisten werden, genauso gut zu versorgen wie Pflichtversicherte, die lebenslang dafür bezahlt haben. Im Namen der Gleichheit sind alle Unterschiede beseitigt worden – bis auf den einen, dass dieser zahlen muss und jener nicht.

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Leistungen ohne Gegenleistung, das ist die Quintessenz der staatlich betriebenen Sozialversicherungsindustrie. Sie blüht und wächst, weil niemand weiß, wer was erhält, wie viel das kostet und wer am Ende für die Rechnung geradestehen muss. Die Unwissenheit schafft uns Ruhe, die Lüge Glück sagen sich die deutschen Sozialpolitiker und machen den Versicherten ein X für ein U vor. Wenn er die Zeit nicht finde, einmal im Monat seine Mutter zu besuchen, soll Holger Börner, vor langer Zeit Ministerpräsident in Hessen, einmal gesagt haben, dann wisse er nicht, wie die soziale Wirklichkeit aussieht. Frau Faeser, die ihn beerben will, weiß das auch nicht. Sie kann und will das wohl auch gar nicht wissen, weil sie genauso wie die Regierungsbeauftragen für Integration, Gleichstellung, Antidiskriminierung und Gedöns die Privilegien des öffentlichen Dienstes genießt.

Als die Volkskammer beschloss, Teil der Bundesrepublik zu werden, war das ein Beitritt zum Grundgesetz. Doch das gilt nur noch unter Vorbehalt. Der Putsch von Erfurt, mit dem Frau Merkel, zugeschaltet aus Südafrika, einen verfassungskonform gewählten Ministerpräsidenten aus dem Amt trieb, hat das auch Laien klar gemacht. Selbst das parteiproporzkonform besetzte Bundesverfassungsgericht kam nicht umhin, den Vorgang zu bemängeln; Folgen hat das bis heute aber nicht gehabt. Weder das Grundgesetz noch die Verfassung des Landes Thüringen sind von Frau Merkel auch nur mit einem Wort erwähnt worden. Um eine korrekt vollzogene Wahl rückgängig zu machen, berief sie sich auf zwei ganz andere Instanzen, zunächst natürlich auf sich selbst und dann auf ihre Partei, die CDU. Kann man den Ostdeutschen verdenken, dass sie sich durch diese Lektion an eine Politik erinnert fühlten, die sie dreißig Jahren zuvor unter erheblichen Opfern losgeworden waren?

Demnächst ist es wieder so weit. In wenigen Tagen werden in Hessen und in Bayern neue Landtage gewählt. Aus diesem Anlass bitten uns die Parteien, ihnen Vertrauen zu schenken; was aber doch nur zeigt, dass sie den Witz der Sache nicht verstanden haben. Im Unterschied zur Volksdemokratie lebt die Demokratie ja nicht vom Vertrauen, sondern vom Misstrauen der Bürger. Und dafür gibt es ja auch Gründe genug, mehr als genug sogar: Misstrauen gegen einen Wirtschaftsminister, der Deutschland zum Kotzen findet. Misstrauen gegen einen Arbeitsminister, der statt der Arbeit die Faulheit prämiert. Misstrauen gegen einen Gesundheitsminister, der die Pharmaindustrie mit Großaufträgen versorgt. Misstrauen gegen eine Außenministerin, die sich selbst dann noch verplappert, wenn sie die Rede vom Blatt abliest. Und damit längst noch nicht zu Ende.

Jedes Land, sagt man, hat die Regierung, die es verdient. Nicht jedes. Es gibt Länder, die schlechter regiert werden, als sie es verdient haben. Wie lange noch?

Dr. Konrad Adam ist Journalist, Publizist und ehemaliger Politiker der AfD. Er war Feuilletonredakteur der Frankfurter Allgemeinen Zeitung und Chefkorrespondent und Kolumnist der Tageszeitung Die Welt in Berlin.

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