Die Einstimmung auf die GroKo, Teil Zwei, in der Provinz, war bereits eine Farce. In einer traditionellen Gaststätte mit sehr nettem Personal, in einem sehr stickigen Raum, traten die neue SPD-Landesvorsitzende Leni Breymaier und der Bundestagsabgeordnete sowie Staatssekretär für Justiz und Verbraucherschutz Christian Lange auf. Lange, ein emsiger aber etwas farbloser „Genosse“, von dessen Privatleben kaum jemand etwas weiß, außer, dass er seit Juli 2013 Träger des „Ordens des Infanten Dom Henrique der Portugiesischen Republik“ sowie im Bundesvorstand des Vereins Atlantik-Brücke ist, und auch sonst etliche Mitgliedschaften bei sozialen Trägern inne hat. Seit 1998 ist Christian Lange im Bundestag und ist für einen Mitfünfziger fast schon ein Methusalem.
Wieder einige Tage später, zurück zur GroKo-Einstimmung im traditionellen Lokal, dem „Reichsadler“ von Mögglingen (in der Ostalb). Hier versuchten nun Leni Breymaier und Lange das Steuer in beinahe hysterisch schreiender und an Andrea Nahles erinnernde Einlagen, herumzureißen. Eigentlich gehören beide unterschiedlichen Strömungen an, („Mit uns wird es nie eine Groko geben“, so Breymaier noch Wochen zuvor nach der vergeigten Wahl, der Gang in die Opposition sei nun ein „Muss“). Breymaier, gelernte Einzelhandelskauffrau, aber längst schon als Gewerkschaftssekretärin in den Mühlen des DGB und der Deutschen-Angestellten-Gewerkschaft gefangen. Nun konnte man erleben, dass auch Breymaier ihren Kurs „pro Groko“ änderte, und Lange vielsagend dazu lächelte. Es wurden wieder die Floskeln bemüht, man sei in der Partei, um die Politik und die Welt zu verändern – aber doch nicht die Partei, dies müsse nebenbei passieren. Nur am Rande sei bemerkt, dass sehr gute Wortbeiträge auch von älteren, erfahreneren Genossen fast schon ins Lächerliche gezogen wurden.
Schon lange artikulierten Genossen wie Genossinnen, oft aus dem gutbürgerlichen und pädagogischen Milieu, die SPD sei nur noch eine Partei der „Entrepreneure“ und gehobenen Mittelschicht sowie Freiberufler und Intellektuellen. „Die Kassiererin von Aldi?“, fragte ein Urgenosse rhetorisch, ohne rot zu werden: „Die ist doch nicht unser Klientel“, in vollster Überzeugung.
Wir hatten das „Vergnügen“ einen Abend der „Kamingespräche“ zu moderieren, und mussten zumindest da deutlich widersprechen.
Dass immer mehr Politologen, darunter auch tiefe SPD-Kenner wie Professor Franz Walter, die Ursachen der sozialdemokratischen Krise offen legten, die Bürger würden nicht mehr folgen, da „die Regierungspolitik jedoch in vielen Augen im schroffen Kontrast dazu stand, verlor die SPD innerhalb weniger Jahre in ungewöhnlich drastischer Weise an innerer Substanz, an Vertrauen, Glaubwürdigkeit, Anhängern und Wählern.“ Und was macht die SPD mit solchen Analysen? Weiter wie bisher.
Sie hat erfahrene Politiker wie Martin Schulz verschlissen (am Ende er sich selbst), junge Talente wie Kevin Kühnert fast „mundtot“ gemacht, bzw. „gekauft“, und der leicht ins infantil abdriftende Bundesvorstand unter Andrea Nahles zieht und zögert einen Neuanfang weiter hinaus.
Das merken Sympathisanten, Genossen und Wähler. Auch der größte „Sorgenbürger“, das sagten Genossen intern immer wieder, ist nicht gegen Menschen, die aus dem Ausland zu uns kommen, sondern gegen eine unkontrollierte Zuwanderung unter dem Deckmantel „Asyl“. Aber auch da duckten sich die Sozialdemokraten weiter und weiter weg.
Es ist einfach, sich Verfassungspräsidenten Maaßen als „Hassobjekt“ und Trophäe vorzunehmen, um wenigstens ein bisschen davon abzulenken, dass die Sozialdemokraten seit 2005 an allen Problemen der Gesellschaft, an der Schere zwischen Arm und Reich, an der Kinder- wie Altersarmut beteiligt sind. Man bekommt den „Turn-Over“ mit diesen Politikern des alten Systems um Andrea Nahles einfach nicht hin. Der deutsche Bürger, und der Agenda-2010-Betroffene, sind zu kritisch, wenn nie „geliefert“ wird.
Dass sich dann aber auch noch über Probleme der Migration seit 2015 ausgeschwiegen wird, verzeiht dieser SPD momentan keiner; im Gegenteil, mit den Bürgern legt sie sich immer offensiver an.
Wo sind in der SPD momentan die Charaktere und Charismatiker, wo die Politiker, die etwas Dampf rausnehmen, (Ministerin Franziska Giffey kritisierte wenigstens Schulz‘ Rede) und versuchen authentisch und ehrlich die Lage zu analysieren.
Wir stimmten zuletzt absolut gegen Sigmar Gabriel, aber mit etwas Abstand von der Tagespolitik glaubt man beinahe, dass sogar der Kurzzeit-Außenminister die Lage besser im Blick hat. So sagte Gabriel gegenüber der WELT, „Die Bevölkerung, sagt Gabriel, ticke in ihrem Alltag ganz anders, pflege diesen Rigorismus nicht.“
Wie weit sind wir in Deutschland und in der SPD bereits, wenn ein Generalsekretär wie Lars Klingbeil im ZDF-Sommerinterview treuherzig in die Kamera sagt: „Maaßen muss weg, weil er der Kanzlerin widersprochen hat.“? Den Zuschauer schüttelt es heftig.
Es lässt dieser Tage wirklich nichts Gutes erahnen, weder für Maaßen, noch für diese Regierung, und schon gar nicht für die SPD, einer Patientin in Agonie.
Giovanni Deriu, Dipl. Sozialpädagoge, Freier Journalist. Seit 20 Jahren in der (interkulturellen) Erwachsenenbildung tätig.