Tichys Einblick
Habeck ist kein Einzelfall

Vetternwirtschaft, Filz, Korruption – und Dekadenz

Die Geschichte der Menschheit, ihrer Gemeinschaften, selbst ihrer großen Reiche ist eine Geschichte der Dekadenzen, des Werdens und Vergehens. Das Verschwinden von Kulturen und Staaten hat auch mit einem Phänomen zu tun, das man ungern so benennt: biologisches, intellektuelles und mentales Siechtum.

IMAGO / Political-Moments

Der Mensch ist nicht immer, sogar eher selten ein Mensch voller Nächstenliebe, Opferbereitschaft, Samaritertum und Altruismus. Er schaut zunächst danach, was er für sich und seine verwandtschaftlich oder ideell/ideologisch Allernächsten tun kann: für die eigene Familie, Freunde, Kollegen, Weggefährten, für den eigenen Clan, den eigenen Verein, die eigene Partei, die eigene Blase. Das hat ein „Geschmäckle“ und ist noch erträglich, solange es nicht mit dem Recht kollidiert und weder andere noch das Gemeinwesen benachteiligt oder gar beschädigt.

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Indes ist die Geschichte der Menschheit voller Überschreitungen dieser Grenzen. Allein die deutsche Sprache mit ihren Dialekten hat zahllose Begriffe dafür: Zuvorderst kennen wir den Begriff der „Vetternwirtschaft“. Es ist dies eine Lehnübertragung aus dem Lateinischen. Vetter, zuvor bereits Enkel, hieß im Lateinischen „nepos“; daraus ist der Begriff des Nepotismus entstanden. Im Schwäbisch-Alemannischen sagt man „Vetterleswirtschaft/ Vetterliwirtschaft“, im Rheinland nennt man es „Klüngel“, in Österreich „Freunderlwirtschaft“, im Bairischen „Spezlwirtschaft“ bzw. neubairisch „Amigo-Wirtschaft“. Und auch sonst ist die Sprache sehr vielfältig, wenn es um die Benennung dieses Phänomens geht. Siehe: Filz, Filzokratie, Günstlingswirtschaft, Amigo-Geschäfte, Seilschaften, Ämterpatronage, Kadersumpf, Klientelismus, Kamarilla, Korruption, Netzwerke …

Unsere These lautet: Das mit diesen Begriffen zutreffend ausdifferenzierte Phänomen hat die Menschheit oder ein einzelnes Gemeinwesen nie vorangebracht. Genutzt hat es immer nur Einzelnen, einer Gruppe, einer Sekte, die auf diese Weise von vernetzten Herrschenden und Wohlhabenden privilegiert wurde. Unter’m Strich ging es mit dem Ganzen aber immer bergab – die Leiter des Abstiegs, die Dekadenz-Leiter hinab.

Die Geschichte der Menschheit, ihrer Kulturen, ihrer Gemeinschaften, selbst ihrer großen Reiche ist eine Geschichte der Dekadenzen, des Werdens und Vergehens. Das gilt für Ägypten, Persien, Griechenland, Rom, Byzanz, Maya, Azteken, Inka, die Republik Venedig, Osmanen, Phasen der chinesischen Geschichte, diverse Kolonialreiche, das Zarenreich, die Donaumonarchie, die DDR, die Sowjetunion und andere mehr. Dass diese Kulturen bzw. Reiche nicht mehr bestehen, hat jeweils unterschiedliche historische Hintergründe: Große militärische Niederlagen spielen eine Rolle, Eroberungen von außen, Völkerwanderungen, Seuchen, Klimaveränderungen, Implosionen durch Systemversagen.

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Das Verschwinden von Kulturen und Staaten hat aber auch mit einem Phänomen zu tun, das man ungern so benennt, es könnte sonst jemand auf die Idee kommen, entsprechende Merkmale im heutigen Westen der Welt, in Europa, in Deutschland zu identifizieren: Es geht um biologisches, intellektuelles und mentales Siechtum. Gemeinsam sind solcher Dekadenz eine sinkende Geburten-, also Reproduktionsrate; ein hedonistisches Leben über die Verhältnisse in Saus und Braus; der Verlust des agonalen Prinzips, also der Bereitschaft sich anzustrengen, ja zu kämpfen; eine nachlassende Bereitschaft zur Verteidigung gegen innere und äußere Feinde; ein Verlust der Selbstachtung; eine fehlende intellektuelle Frischluftzufuhr; genetisch-evolutionäre Sackgassen durch sogenannte Homogamie, vulgo: Inzucht; eine verwöhnende Erziehung – UND: Vetternwirtschaft, „Nepotismus“, Clanbildungen, zu enge Familienbande (Bande in zweifacher Bedeutung: in natürlich-familiärer und in kriminologischer Konnotation), Seilschaften, Klüngel, Kartelle gehörten und gehören fast immer mit zu den Ursachen und Beschleunigern von Dekadenz.

Es gibt große Abhandlungen über „Korruption“ in der Geschichte der Menschheit. Eine umfassende Geschichte des Nepotismus ist unseres Wissens noch nicht geschrieben worden. Allenfalls einzelne Institutionen (etwa der Vatikan des 15. und 16. Jahrhunderts), bestimmte Herrscherhäuser und historische Persönlichkeiten wurden durch die Brille des Nepotismus näher beleuchtet. Wir begnügen uns hier aus Anlass diverser real existierender Klüngel im „besten Deutschland, das es jemals gegeben hat“ (Frank-W. Steinmeier, 2020), mit ausgewählten Beispielen.

Drei reale Filz-Systeme im „besten“ Deutschland

Beginnen wir mit der topaktuellen Gegenwart: Was die Günstlingswirtschaft im (Vettern-)Wirtschaftsministerium des vormaligen „Grünen“-Stars Robert Habeck betrifft, scheint noch nicht einmal alles aufgedeckt. Immer neue Details kommen zum Vorschein: die Trauzeugen-Affäre, die hochrangigen Bestallungen von vormaligen NGO-Aktivisten (etwa der „dena“) im Staatsdienst, die verwandtschaftlichen Beziehungen zwischen zwei Staatssekretären, die millionenschweren staatlichen Aufträge an „grüne“ Institute usw. Selbst der manchmal auf einem Auge ziemlich blinde Verein „Transparency international“ kann da nicht mehr ganz wegschauen und meint brav: Um solch offensichtliche Interessenskonflikte sollte man einen weiten Bogen machen, denn sonst könnte das Vertrauen in eine Institution Schaden nehmen. Wenn es indes „nur“ das Wirtschaftsministerium wäre. TE hat am 6. Mai davon berichtet, dass alle drei „Ampel“-Parteien ohne Ausschreibung sich bzw. ihren Parteisoldaten hochkarätige Staatsstellen geschaffen haben.

Zweitens die Hannover/Moskau-Connection mit einem Gerhard Schröder im Zentrum. „Frogs“ heißen die Beteiligten: „Friends of Gerhard Schröder“. Die Namen dieses Netzwerkes lesen sich wie ein „Who is Who“ der SPD, vor allem der Niedersachsen-SPD, der „Erzdiözese“ der SPD und deren Vorfeldorganisationen: die Namen Frank-Walter Steinmeier, Sigmar Gabriel, Stephan Weil, SPD-Strippenzieher Heino Wiese, dazu die Namen Brigitte Zypries, Erwin Sellering, Henning Voscherau, Ex-SPD-Kanzlerkandidat Martin Schulz (das Zwei-Prozent-Ziel der Nato sei „unsinnig“), Manuela Schwesig (mit ihrer umstrittenen Umweltstiftung zum Fertigbau der Nord-Stream-2-Pipeline), AWD-Gründer und Schröder-Buch-Sponsor Carsten Maschmeyer, Bauunternehmer Günter Papenburg, Ex-Stasi-Major Matthias Warnig, EnBw-Chef Utz Claasen, VW-Vorstand Peter Hartz, Preussag-Chef Michael Frenzel, Fleischwerk-Magnat Clemens Tönnies (bis 2020 Chef von Schalke 04 mit dessen Hauptsponsor Gazprom von 2005 bis 2022). Wohin es führen kann, wenn man sich aus dieser Gruppe heraus zu „Laufburschen Putins“ macht (so Alexei Nawalny im August 2020), wissen wir seit dem 24. Februar 2022. Die beiden FAZ-Journalisten Reinhard Bingener und Markus Wehner haben das in einem im März 2023 erschienenen Buch haarklein aufgelistet. Titel des Buches: „Die Moskau-Connection. Das Schröder-Netzwerk und Deutschlands Weg in die Abhängigkeit“.

Drittens der miteinander verwobene politisch-mediale Komplex, in dem sich die Drehtüren zwischen Presse und Politik gut geölt drehen: Ulrich Wilhelm war Merkels Regierungssprecher von 2005 bis 2010, dann bis 2021 Intendant des Bayerischen Rundfunks. Steffen Seibert vom ZDF war ab 2010 Regierungssprecher. Ulrike Demmer, früher bei ZDF, Spiegel, Focus, RND, RBB, war ab Juni 2016 stellvertretende Regierungssprecherin. Martina Fietz, vorher bei Welt, Burda, Focus, Cicero, war ab April 2018 ebenfalls stellvertretende Regierungssprecherin. Die „Ampel“ hat ihre drei Sprecher aus der Presse rekrutiert. Steffen Hebestreit war bei der Frankfurter Rundschau und bei Dumont, Wolfgang Büchner bei dpa bzw. Spiegel und Christine Hoffmann beim Spiegel. Steinmeier hat als neue Sprecherin Cerstin Gammelin von der Süddeutschen Zeitung und die bisherige Anna Engelke zum NDR zurückgeschickt. Sein Redenschreiber Marc Brost war Ressortchef bei der Zeit.

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Zudem ist „Rent an Journalist“ angesagt. So hat die Bundesregierung seit 2017 2,3 Millionen ausgegeben, um 200 Journalisten, mehrheitlich aus dem ÖRR, für „Moderations“-Aufgaben anzuheuern. In einem für Hofschreiber typischen Opportunismus ist man ständig bemüht, Beweise der Loyalität gegenüber den Regierenden zu liefern. „Wes‘ Brot ich ess‘, des‘ Lied ich sing‘.“ Den zumeist ziemlich mittellosen Minnesängern blieb nichts anderes übrig. Heute wäre das eigentlich nicht notwendig, vor allem nicht bei den üppig besoldeten „Öffentlich-Rechtlichen“, die täglich 22 Millionen (jährlich 8,4 Milliarden) kassieren. Man denke allein an die Vetternwirtschaft der zwischenzeitlich geschassten RBB-Intendantin Patricia Schlesinger.

Man kennt sich, man schätzt sich, man hilft sich, man protegiert sich, man zitiert sich, man empfiehlt sich weiter, man versorgt sich gegenseitig, man bereichert sich gemeinsam. Wir kennen das zur Genüge aus der Geschichte: im Parteiadel Chinas, in Nordkoreas Dynastie, in den Politbüros der UdSSR und der DDR, in der NS-Nomenklatura, in Erdogans Türkei, im Vatikan vor allem des 15. bis 17. Jahrhunderts, in manchen USA-Elite-Unis usw. Der römische Kaiser Caligula wollte sogar sein Lieblingspferd Incitatus zum Konsul ernennen.

So etwas geht immer nur eine gewisse Zeit gut. Dann kollabiert ein System, weil es ihm intellektuell und genetisch an frischem Wind und an frischem „Blut“ mangelt. Insofern ist Nepotismus ein zentrales Merkmal von Dekadenz. Weil sie gegen das Gemeinwohl verstößt und Frischluft meidet, kann Filzokratie auf Dauer nicht gutgehen, und sie darf nicht gutgehen. Hineinleuchten und Frischluftzufuhr sind angesagt.


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