Der Blick in ausländische Medien kann den Horizont weiten und gelegentlich den Eindruck mildern, dass man als Skeptiker und Kritiker der bundesrepublikanischen Migrations-und Flüchtlingspolitik ein einsamer Rufer in der Wüste sei. So sollen hier einige Beiträge aus der aktuellen Ausgabe der liberalen Vierteljahresschrift Commentaire vorgestellt werden, die sich mit dem Thema befassen. Der Blick geht also nach Frankreich und in eine Zeitschrift, die vor allem einen wissenschaftlichen Anspruch hat, aber vor Kritik, ja sogar Polemik gegen unvernünftig scheinende Tendenzen in Politik und Gesellschaft nicht zurückschreckt.
Allein drei Beiträge widmen sich diesmal dem Islam, seinem problematischen Verhältnis zur westlichen Gesellschaft, Aspekten der Radikalisierung von islamischen „Terroristen aus Berufung“ und den weltpolitischen Risiken, die aus Ideologie und todbringenden Angriffen islamistischen Terrorgruppen resultieren, zumindest solange, wie die USA sich nicht dazu entschließen, eine langfristig wirksame Gegenstrategie zu entwickeln. Abschließend sollen auch noch ein paar Anmerkungen zur „politischen Rationalität“ gemacht werden, ein Thema, dass aus ferner Vergangenheit an unser Ohr zu dringen scheint und das zumindest in Deutschland seit längerem nicht mehr so recht en vogue ist.
Die Gestaltung des Verhältnisses zwischen demokratisch-rechtsstaatlich verfassten Gesellschaften mit christlich-jüdischer Tradition und Bevölkerungsgruppen muslimischer Observanz ist eine der großen Fragen dieses Jahrzehnts, wenn nicht gar des 21. Jahrhunderts. Die Frage der Vereinbarkeit von Gottesvorstellungen, der Toleranz gegenüber Andersgläubigen, der Akzeptanz westlicher Rechtsordnungen und Lebensweisen, von individuellen Freiheiten, das Verhältnis zur religiös begründeten Gewalt und zum staatlichen Gewaltmonopol sind hier auf Tichys Einblick immer wieder diskutiert worden. Vorläufiges Ergebnis scheint zu sein, dass eine Integration des Islam beispielsweise in die Gesellschaft der Bundesrepublik nur unter großen Schwierigkeiten darstellbar ist. Zu unterschiedlich sind die Lebenswelten einer säkularisierten Gesellschaft, die die Freiheit und Selbstverwirklichung des Individuums zu ihren obersten Werten zählt und einer traditionellen, religiös fundierten Gemeinschaft, die vom Individuum erwartet, dass es sich der Befolgung religiöser Gebote und der aus ihnen abgeleiteten Rechtsvorschriften vollkommen unterwirft.
Auch in Frankreich wird das Verhältnis zwischen Islam und Gesellschaft und Staat seit dem Ende der 1980er Jahre intensiv diskutiert, verstärkt seit den Unruhen in den Vorstädten des Jahres 2005 und erst recht seit den Anschlägen der Jahre 2015/2016. Aber erst seit kurzem gibt es eine erste zuverlässige Erhebung zur Zahl der in Frankreich lebenden Muslime. Bei den offiziellen Volkszählungen war es bislang untersagt, nach der religiösen Orientierung zu fragen. Eine private Studie hat nun ergeben, dass der muslimische Bevölkerungsanteil bei 5,6 Prozent liegen soll, das entspricht rund 3,7 Millionen Einwohnern. Beunruhigt hat die Beobachter in den Medien, dass 28 Prozent der sich als Muslime Bekennenden die Scharia für wichtiger hielten, als die Gesetze der französischen Republik. Schließlich sind im April (eventuell mit Stichwahl im Mai) 2017 in Frankreich Präsidentschaftswahlen. Und da wird das Verhältnis der laizistischen Republik Frankreich zum Islam neben der Wirtschaftspolitik eine zentrale Rolle spielen.
Die französische Vierteljahreszeitschrift Commentaire, seit 1978 eine Bannerträgerin eines liberalen politischen Denkens in der Tradition Tocquevilles und Raymond Arons, widmet sich in ihrer aktuellen Ausgabe also erneut dem Verhältnis von Islam und westlicher Gesellschaft. Die Überlegungen einiger Autoren seien im Folgenden als Beitrag zur Diskussion vorgestellt.
Integration zum Scheitern verurteilt
Der Historiker und Totalitarismusforscher Alain Besançon, Jahrgang 1934, der viel über die Sowjetunion, den Marxismus-Leninismus sowie über die christlichen Kirchen der Gegenwart und den Islam gearbeitet hat, kommt in seinem Beitrag über die „Verlockungen des Islam“ zu dem Schluss, dass Islam und westlich-freiheitliche Gesellschaften letztlich nicht miteinander vereinbar seien. Die Versuche der Politik, die Muslime zumindest partiell in die westliche Gesellschaft zu integrieren oder gar zu assimilieren, seien zum Scheitern verurteilt. Ein Blick in die Geschichte zeige, dass das Zusammenleben von Christen und Muslimen immer schwierig und letztlich unmöglich gewesen sei. Die Muslime in Andalusien, auf Malta, in Griechenland, auf der Krim und auf dem Balkan hätten letztlich auswandern müssen, ebenso wie die Christen in Syrien, Ägypten, im Zweistromland oder im Maghreb entweder zum Islam konvertiert seien oder ebenfalls hätten auswandern müssen. Die Ursachen dafür lägen letztlich im völlig unterschiedlichen Verhältnis von Christen und Muslimen zum Denken, zum Alltag, zur Natur, zur Welt, die für die den jeweils anderen auf Dauer „unerträglich“ gewesen sei.
Monotheismus ist kein verbindendes Element
Es sei ein großer Irrtum vieler Interpreten aus der christlich-westlichen Vorstellungswelt, den Islam ausgehend von dessen Verhältnis zu Gott zu deuten, so der Katholik Besançon. Da scheine der Monotheismus auf den ersten Blick etwas Verbindendes, Gemeinsames zu sein. Das aber täusche erheblich, und ungeachtet dessen, dass der Islam weder die Dreifaltigkeit, noch die Inkarnation, noch die Erlösung von den Sünden anerkennt: Allah, der Gott des Islam, ist dem Gläubigen unendlich ferner, als der Gott der Christen. Während letzterer immer wieder direkt den Menschen anspricht – z.B. sich ein Volk erwählt, ihm die zehn Gebote gibt, den Messias sendet, das Versprechen des Reiches Gottes und die Auferstehung am Ende der Zeiten gibt – und der Christ sein Leben lang um seinen wahren Glauben, das gottgefällige Leben und sein Seelenheil ringen muss, ist es für den Muslim schon ausreichend, wenn er die Säulen des Glaubensbekenntnisses, des rituellen Gebets, des Fastens, der Pilgerfahrt nach Mekka, und das Almosen-Geben einhält. Dazu komme als weitere Säule noch die gemeinschaftliche Pflicht zum Djihad.
Gravierende Unterschiede zwischen Islam und Christentum auch im Verhältnis zu Welt und Natur
Das Trennende zeige sich aber vielmehr und viel entscheidender im Verhältnis zu Welt, Natur und Alltag, zur Zeit, zur Wissenschaft und zum erfahrungsgeleiteten Denken im allgemeinen, aber auch zu sozialen Beziehungen wie Ehe und Familie, Erziehung und Bildung und schließlich zur Religion. Nicht im Verhältnis zu Gott, sondern im Verhältnis zur Welt gelte es deshalb, die Differenzen zwischen Christentum und Islam zu betrachten, so Besançon, der seine Interpretation übrigens nur auf die sunnitische Richtung des Islam bezieht.
So hat die Zeit im Islam keinen Anfang und kein Ende. Es gibt keine Geschichte des Verhältnisses von Gott und Mensch, der Mensch ist lediglich Geschöpf und Zeuge Gottes. Er lebt im Augenblick und in der Ewigkeit zugleich. Alles was geschieht, ist Wille und Entscheidung Gottes, denen es sich zu unterwerfen gilt. Kurz, der Muslim ist entlastet von der Vorstellung, die knappe Lebenszeit nutzen zu müssen, um ökonomische Ziele zu erreichen oder gute Werke zu vollbringen. Während der Christ und vollends der zeitgenössische Mensch der modernen Wettbewerbsgesellschaft deshalb immer getrieben und der Erschöpfung nahe ist und immer wieder nach Erholung und Ablenkung sucht, kann der Muslim ohne Gewissensbisse seine Muße genießen.
Denken ermüdet, der Koran lehrt alles Wissenswerte
Während der westliche Mensch tagein tagaus seine Intelligenz darauf verwendet, die Zeit noch nutzbringender zu verwenden, den Mehrwert seiner Arbeit zu steigern und die Risiken der Zukunft noch vorausschauender zu kontrollieren, braucht der Muslim diese permanente Anstrengung des Denkens nicht. „Denken ermüdet“, sagt Besançon. Der Koran lehre alles, was zu wissen nötig ist. Deshalb gebe es in der muslimischen Welt auch keine ununterbrochene Wissenschaftstradition, vor allem nicht in den Naturwissenschaften. „Es gibt keine Naturgesetze, es gibt nur die Gewohnheit Gottes, und er kann sie jederzeit ändern“ (auch als Okkasionalismus bezeichnet). „Die wissenschaftliche Erforschung der Natur ist nutzlos, weil es keine Natur gibt“, es gibt nur die Vorsehung des allmächtigen Gottes.
Für diese Gesellschaften in permanenter Unruhe und Verunsicherung stellt der seiner selbst gewisse Islam mit seinem festgefügten Weltbild eine Verlockung dar, so Besançon.
Strenge Glaubensvorschriften als Verlockung für verunsicherte Christen
Viele Christen wünschen sich, dass der Islam ist, was er vorgibt zu sein: Eine Religion der Liebe, der Toleranz und des Friedens. Aber das sei der Islam nicht. Er ist unnachsichtig, was die Pflichten der gläubigen Muslime angeht. Und gerade das könnte für viele Christen, die ihrer Glaubensgrundlagen nicht mehr sicher sind, eine Alternative sein: Der Islam hat einen festen Rahmen von Pflichten. Das kann Halt und Orientierung geben.
Die veränderte Situation von Ehe und Familie ist ein weiterer Faktor, der einer unmerklich wachsenden Akzeptanz des Islam in die Hände spielen könnte. Im Westen herrscht das Ideal der Liebesheirat, das Ziel ist nicht primär, wie im Islam, die Zeugung von Kindern. Ohne Liebe wird nicht geheiratet oder Ehen werden geschieden, wenn die Liebe erloschen ist. Damit stehen die Institute von Ehe und Familie auf immer schwankenderem Grund. Die Trennung von Ehe und Kinderzeugung wird in dieser Form im Islam nicht gemacht, die Ehe steht geradezu im Dienste der Zeugung von Nachkommen. Der Islam präsentiert damit einen stabilen und klar geregelten Gegenentwurf zu den Auflösungserscheinungen des Instituts der Ehe im Westen.
Wachsende Gleichgültigkeit gegenüber Wissenserwerb und Geschichte
Schließlich die Erziehung und Bildung. Sie entscheiden über den sozialen Status eines Kindes, sie entscheiden über seinen künftigen wirtschaftlichen Erfolg. Erziehung und Bildung benötigen aber angesichts der immer anspruchsvolleren Arbeitsmarktbedingungen immer mehr Zeit und bedeuten immer höhere Kosten für die Eltern. Gleichzeitig bemühen sich die Pädagogen, die Benotungssysteme immer weiter aufzuweichen, um die Demotivierung bei schwächeren Schülern zu reduzieren. Besançon will zumindest für die Universitäten in Frankreich nicht ausschließen, dass es einen zunehmenden Verlust des Ehrgeizes gibt, eine zunehmende Nachlässigkeit und Gleichgültigkeit gegenüber dem Wissenserwerb. Dem korrespondiere der Ansehensverlust der Professoren und deren vergleichsweise niedrige Besoldung. „Vielleicht nähern wir uns ohne unser Wissen den Werten des Islam an und einer viel bescheideneren Bewertung des Wissens, das ohnehin für das Seelenheil unwichtig ist, und das kaum eine Stunde Zeitaufwand wert ist.“ Das gelte auch für die Geschichtswissenschaft, wie sie in den Schulen gelehrt wird, wo die Chronologie kaum noch eine Rolle spielt. „Wir nähern uns der Gleichgültigkeit gegenüber den historischen Daten und dem historischen Ablauf in der Zeit an, die charakteristisch ist für die Vorstellung des Islam von der Welt.“
Wissen als Luxus
In der vom Koran stabil und ruhig organisierten Gesellschaft wird die Notwendigkeit einer mühevollen Ausbildung nicht gesehen. „Wissen ist ein Luxus.“ Wissen ist notwendig für Muslime, die sich in eine westliche Gesellschaft integrieren wollen, aber nicht für traditionelle islamische Gesellschaften, die, so möchte man hinzufügen, auch als Parallelgesellschaften im Rahmen einer westlichen Gesellschaft existieren können.
Zeichen der Zeit: Lässigkeit und Fehlertoleranz
In Deutschland scheint es vergleichbare Tendenzen der Geringschätzung von Sachlichkeit, Genauigkeit und Korrektheit zu geben. „Die Zeichen der Zeit stehen auch schulisch auf Lässigkeit, Spaß und Fehlertoleranz. Da wird schon einmal einem Mathematiklehrer vorgeworfen, in seinem Unterricht werde zu wenig gelacht … Da erhalten in den USA alle am Sportfest teilnehmenden Kinder eine Siegerurkunde, als wäre es egal, ob die 100 Meter in 10 oder 50 Sekunden gesprintet werden.“ (Josef Zellner, Oberstudienrat für Latein und Französisch in Tegernsee: ‚Höggschde Lässigkeit‘ und die ‚Kultur des Scheiterns‘, in mut, Januar 2017).
Da werde unter dem Stichwort ‚Kultur des Scheiterns‘ ein widersinniger Kult des Fehlers, ein Kult der Niederlage zelebriert. Sollte sich diese Kultur der lässigen Fehlertoleranz auch in deutschen Unternehmen ausbreiten, so wäre es um die Konkurrenzfähigkeit deutscher Produkte auf den Weltmärkten in wenigen Jahren geschehen. Ob für die deutsche Sicherheitspolitik bereits Auswirkungen zu sehen sind, ist die Frage. Das Attentat auf den Weihnachtsmarkt in Berlin am 19. Dezember 2016, begangen von einem Täter, der schon lang unter Beobachtung stand, könnte diesen Schluss nahelegen.
Aber zurück zu Besançon, für den auch die bildende Kunst des Westens der Annäherung an den Islam Vorschub leistet. Seit dem Anfang des 20. Jahrhunderts gibt es hier eine starke Strömung des Nicht-Gegenständlichen, Abstrakten. Das stehe im Einklang mit dem auch im Judentum und verschiedentlich auch im Christentum geforderten Bilderverbot, in jedem Fall aber auch mit der Vorstellung des Islam, dass die Gegenständlichkeit zur Idolatrie führt.
Credo des Humanitarismus: Es gibt keine Feinde
Wie steht es nun mit der Religion des Christentums selbst und den aktuellen Tendenzen, sich auf den Islam zuzubewegen? Seit über 200 Jahren sind die Kirche und der Glauben seitens der Aufklärung und des historischen Materialismus der Kritik ausgesetzt. Heute befindet sich die kirchliche Botschaft in einem Prozess der Entdogmatisierung. Dreieinigkeit und Sündenfall werden von vielen Katholiken in Frankreich nicht mehr für wichtig gehalten, ebenso das Weiterleben der Seele, die Wiederauferstehung, das Jüngste Gericht. Es geht in Richtung eines wohlwollenden Relativismus: Alle Religionen sind gleichwertig, Hauptsache ist, dass alle nett zueinander sind. Die im Christentum angelegte „Religion des Humanitarismus“ kenne nur einen Glaubensartikel: „Es gibt keine Feinde. Alle Menschen sind gut. Es ist verboten Feinde zu haben und die einzigen Feinde, die es gibt sind jene, die Feinde haben.“
Die zunehmende Unverbindlichkeit und Vagheit des christlichen Glaubens könnte laut Besançon bei vielen Menschen wieder den Wunsch nach mehr Strenge und Forderungen nach strikteren Verhaltensregeln wecken: Hier stehe der Islam mit offenen Armen bereit, der dem Anschein nach relativ viel Toleranz im Verhältnis zur Welt zulässt, aber bezüglich einiger Glaubenspflichten umso unnachsichtiger ist.
Die Ursachen für die intellektuelle und emotionale Lähmung der westlichen Gesellschaft gegenüber dem Islam reichen also tief hinein in die Werthaltungen und mentalen Strukturen, die, so scheint es, unmerklich zerfallen, ohne dass schon deutlich würde, welche neuen stabilen Werthaltungen an ihre Stelle treten könnten. Es geht jedenfalls um gesellschaftliche Veränderungsprozesse, die sich nicht mit Blockflötenspiel, Singen von Weihnachtsliedern und vermehrten Kirchgängen aufhalten lassen, wie es die Bundeskanzlerin einer politisch wohl eher naiven Anhängerschaft empfiehlt. Mit Kirchgängen schon gar nicht, da von den Kanzeln ja Offenheit und Toleranz gegenüber dem Islam gepredigt wird, mitunter sogar von Muslimen selbst. Die Ursachen liegen in einer langsamen Auflösung von Werthaltungen und Verhaltensorientierungen, die letztlich die Grundlagen bilden oder gebildet haben für die freiheitlichen Gesellschafts- und Regierungsformen im Westen.
Es ist für Besançon nicht ausgeschlossen, dass der zeitgenössische Westen mehr und mehr den Verlockungen des Islam erliegt. Aber er sieht auch, dass der Islam selbst in einer Krise ist, bedingt gerade durch den immer engeren Kontakt mit dem Westen, durch den Zwang, die unvorstellbar hohen Summen an Petro-Dollars profitabel anzulegen – vorzugsweise übrigens in westliche Unternehmen und Technologie – und sie so für die Zukunft zu sichern.
Aber auch der Islam ist in der Krise
Damit wird der Ausblick auf die künftige Entwicklung des Verhältnisses von Westen und Islam unsicher. Wird der Islam à la longue den prometheischen Versuchungen des Westens erliegen, wird er Luxus und demonstrativen Konsum zugunsten einer „protestantischen Ethik“ von Kosteneffizienz, Wirtschaftswachstum, Innovation, aufgeben? Es gibt gewisse Anzeichen dafür etwa in den wohlhabenden Golfstaaten, aber Extrapolationen bleiben riskant. Zudem scheinen kapitalistische Verhaltensmuster zumindest kompatibel zu sein auch mit autoritären und despotischen Regimen, die Koran und Scharia buchstabengetreu auslegen.
Der Islam macht es dem Menschen jedenfalls leicht, ohne Sorge um die Geschichte und die Zeit zu existieren, ohne Sorge um den freien Willen, ohne Sorge um die unabänderlichen Gesetze der Natur und ohne Sorge um die Zukunft.
Politik der Integration wird scheitern
Und eben deshalb, so Besançon, wird die Politik der Integration scheitern, die derzeit von den westlichen Gesellschaften, auch in Frankreich und Deutschland, betrieben wird. Mit diesem Integrationsansatz – Spracherwerb, Arbeitsplatz, Zulassung muslimischer Sitten – werde der wahre Islam nicht erreicht und zur Anpassung bewegt, ein Islam, den man zudem durch die so täuschende christliche Brille der Nächstenliebe nicht angemessen wahrnehmen kann.
Wenn Besançon recht behält, dann wird entweder die westliche Gesellschaft sich immer weiter kulturell entkernen und sich unmerklich schließlich dem Islam unterwerfen. Dass der Islam sich seinerseits in Richtung einer westlich-christlichen Grundhaltung hin entwickelt, scheint hingegen unwahrscheinlich. Sollten sich die westlichen Gesellschaften auf ihre Wurzeln und ihre Identität besinnen, die ihren Erfolg seit der Renaissance ausgemacht haben – Naturwissenschaften, Aufklärung, Wettbewerb der Ideen, Kritik, Schutz der Freiheiten des Individuums, Rechtsstaat und Demokratie -, dann stünden viele Muslime vor der Entscheidung, sich entweder dem westlichen Lebensentwurf anzupassen, oder den wahren Islam in jenen Ländern zu leben, wo er Mehrheits- oder Staatsreligion ist. Der Ausgang des welthistorischen Experiments in Europa scheint derzeit zumindest ungewiss und, falls im Westen doch noch ein Lernprozess einsetzen sollte, so wird er langfristig und schmerzhaft sein. Die politischen, kirchlichen und kulturellen Eliten etwa in der Bundesrepublik scheinen derzeit eher bereit, dem Islam weiter Tür und Tor zu öffnen, den Anschlägen von Paris, Brüssel, Berlin zum Trotz.
Terroristen aus Berufung
Warum Menschen sich dem radikalen Islam zuwenden, warum sie bereit sind Massenmorde zu begehen und dabei auch den eigenen Tod in Kauf nehmen, erläutert Alessandro Orsini, Direktor des Instituts für Internationale Sicherheit an der Universität Rom und Forscher am MIT, in seinem Beitrag über die „Terroristen aus Berufung“ (La radicalisation des terroristes de vocation). Der Titel spielt an auf Max Webers Konzept der Berufung, etwa in der Abhandlung „Politik als Beruf“, 1919.
Ein anderes Motiv, das ebenfalls einflussreich sein kann, sind Rache und Hass auf die ehemaligen Kolonialmächte, die noch heute auch von der dritten und vierten Generation nach der Entkolonialisierung für die heutigen Lebensbedingungen der Menschen in den post-kolonialen Staaten verantwortlich gemacht werden. Später, in der Vorstellung des Beitrags von Zbigniew Brzezinski werden wir noch sehen, dass dieses Motiv für die internationale Politik künftig noch ein wichtiger Faktor sein kann. So ist es nicht ausgeschlossen, dass der Berlin-Attentäter vom 19. Dezember 2016 dieser Kategorie zu zurechnen ist, wenn man sein Bekennervideo als Grundlage nimmt.
Entwicklungsphasen der Radikalisierung aus der Innenperspektive
Orsinis Klassifizierung betrachtet die Entwicklungsphasen der Täter nicht von außen oder aufgrund von statistischen Häufungen, er setzt von einer Innenperspektive aus an. Anhand von 21 Fallstudien kommt Orsini zu dem Ergebnis, dass die islamistischen Terroristen aus Berufung eine Mission zu haben glauben – wie abwegig und verbrecherisch diese auch sein mag -, dass sie von einem Sendungsbewusstsein erfüllt sind. Sie glauben, die Welt vor einer vom Bösen verursachten Katastrophe retten zu müssen, eine Rettung, die nur durch das höchste Opfer der moralisch überlegenen, „reinen“ Gläubigen möglich scheint. Der Islam bietet hierzu Anknüpfungspunkte und den Vorwand, sich als Verteidiger eines Gottes aufzuführen, der von Karikaturisten, Rockkonzert-Besuchern, Homosexuellen und anderen Ungläubigen entheiligt wird.
Orsini hat unter anderem Fälle analysiert, wie die der Attentäter von London (2005), des Boston-Marathon (2013), auf Charlie Hebdo in Paris (2015), auf den Nachtclub von Orlando, Florida, und den Mord an einem Priester in der Normandie (2016).
Diesen Fällen und Tätern gemeinsam ist zunächst eine Phase der Desintegration der sozialen Identität, ausgelöst durch Traumatisierungen oder eine Reihe von sozialen Niederlagen. Bei diesem Täter aus Berufung erfolgt eine kognitive Öffnung oder Suche nach Deutungssystemen, die einen neuen Lebensabschnitt heraus aus dem Gefühl der absoluten Wertlosigkeit des eigenen Daseins eröffnen können.
Die nächste Phase ist die der Rekonstruktion der sozialen Identität. Wer, veranlasst durch welche Kontakte und Einflüsse auch immer, die djihadistische Ideologie für sich entdeckt, erhält – sofern das kritische Bewusstsein gleichsam ausgeschaltet ist – auch gleich Anleitungen, wie er oder sie zur Erfüllung einer großen Mission beitragen kann. Es beginnt die Rezeption radikaler Auslegungen des Islam und die ideologische Aufladung der eigenen Existenz.
Die folgende Phase ist die Suche nach anderen Individuen oder Gruppen mit der gleichen Ausrichtung und Sendungsbewusstsein, die Phase der Integration in eine religiöse Sekte. Diese Integration kann direkt über persönliche Kontakte aber auch anonym, etwa über Internet-Seiten erfolgen. Im letzteren Fall handelt es sich um eine Teilhabe an einer „imagined community“ (Benedict Anderson 1983). Ein Beispiel dafür ist laut Orsini der Attentäter von Ottawa, der einen Wachsoldaten tötete, bevor er im Parlamentsgebäude von Sicherheitskräften erschossen wurde (2014).
Die letzte Phase, die Entfremdung vom sozialen Umfeld, ist für die Sektenmitglieder besonders wichtig, wenn es darum geht, im Sinne der eigenen Mission auch zu morden. Die soziale Isolierung unterbricht zum einen den Kontakt mit der moralisch verwerflichen, „unreinen“ westlichen Welt. Zum anderen verhindert sie, dass die umgebende Gesellschaft mit ihrer sozialen Kontrolle, ihren moralischen Geboten Zweifel sät bei den Sektenmitgliedern. Ein Beispiel für die Rolle der Entfremdung vom sozialen Umfeld ist der Attentäter, der die Morde im jüdischen Supermarkt in Paris beging (Januar 2015).
Abwendung vom Terror bleibt möglich
Orsini besteht darauf, dass diese Phasen sich in erster Linie bei Attentätern aus Berufung finden. Jene Fälle, wo eventuell eine narzisstische Persönlichkeitsstörung, oder das Ausleben von Allmachtphantasien vorliegt, diskutiert er nicht. Auch sei im Blick zu behalten, dass diese Phasen nicht zwangsläufig aufeinander folgen müssen. Auch besteht immer die Möglichkeit, dass die Entwicklung zum Terroristen aus Berufung unterbrochen wird, sei es, dass zumindest im Westen sozialisierte Individuen im direkten Kontakt mit der Wirklichkeit des Herrschaftssystems des Islamischen Staates in Syrien, sich vom Terror wieder abwenden, sei es, dass sie doch von therapeutischen Interventionen des sozialen Umfelds wieder von ihrer mörderischen Einbahnstraße abgebracht werden.
Die innerste Motivationsschicht bei den Attentätern aus Berufung, so Orsini, ist jedenfalls die Vorstellung, dass sie den Tod Gottes (Nietzsche) rückgängig machen können. In der Vorstellungswelt dieses Typs von djihadistischem Terroristen ist die letzte Rechtfertigung ihrer Taten, dass sie die Mörder Allahs zur Strecke bringen – z.B. in Gestalt der Karikaturisten bei Charlie Hebdo.
Beobachtung gefährdeter Jugendlicher und junger Erwachsener und ihre sozialpädagogische-therapeutische Begleitung mag Chancen bieten, das Abgleiten in den Terror zu verhindern. Die Chancen dafür sind jedoch besonders schlecht, wenn junge Menschen bereits als Terroristen aus Berufung in der Gastgesellschaft eintreffen. Wenn dann auch noch die Sicherheitsbehörden versagen, die den letzten Schutzwall für die Gesellschaft angesichts einer verfehlten Migrationspolitik darstellen, dann wird die Katastrophe unvermeidlich. Es scheint, dass die deutsche Gesellschaft künftig gezwungen sein wird, mit diesem Wissen und mit dieser Situation ist zu leben.
Initialzündung für asymmetrische Kriege gegen den Westen
Aber die islamistische Bedrohung könnte noch größere Dimensionen annehmen, als jene, welche etwa die USA, Frankreich, Belgien und Deutschland in den vergangenen Jahren erlebt haben. IS und andere islamische Terrorsekten können Initialzünder sein für eine neue Welle von asymmetrischen Kriegen gegen den Westen.
Ob es gelingt, die post-kolonialen muslimischen Regionen im Nahen und Mittleren Osten zu befrieden, hängt wesentlich davon ab, ob und wie die USA neue Koalitionen zur Wiederherstellung des Friedens zusammenführen kann, so Zbigniew Brzezinski in seinem Commentaire-Beitrag „Die neue weltweite Rollenverteilung“ (Vers une nouvelle donne mondiale“; zuerst in The American Interest, Juli/August 2016 unter dem Titel: Toward a Global Realignment.
Fünf Wahrheiten hält Brzezinski, der ehemalige Sicherheitsberater von Präsident Jimmy Carter und „Kalte Krieger“ par excellence, als Ausgangspunkt seiner Betrachtung für gegeben:
Fünf Wahrheiten über die aktuelle Weltlage
Die Rolle der USA als imperiale Supermacht geht zu Ende, auch wenn sie immer noch die politisch, wirtschaftlich und militärisch mächtigste Einheit sind. China ist dabei, zum ebenbürtigen Global Player und sogar zum Rivalen der USA aufzusteigen. Russland erlebe gerade die letzte Phase der Aufteilung seines ehemaligen Imperiums, könnte aber künftig zu einem einflussreichen europäischen Nationalstaat werden, wenn es nicht sein Verhältnis zu den ehemaligen Sowjetrepubliken Ukraine, Weißrussland, Georgien und den baltischen Staaten vollends ruiniere. Das Europa der EU ist keine Weltmacht und wird es wahrscheinlich nie sein. Aber seine feste Verankerung in der NATO ist grundlegend für die konstruktive Lösung der russisch-ukrainischen Krise. Schließlich: das von Gewalt begleitete politische Erwachen bei den Muslimen in den post-kolonialen Staaten ist eine verzögerte Reaktion auf die mitunter „brutale Unterdrückung“, die vor allem von den europäischen Mächten ausgeübt wurde. Zugleich ist die islamische Welt durch religiöse Schismen zerrissen, die nicht auf westlichen Einfluss zurückzuführen sind.
Die von islamischen Extremisten mit angefachte Gewalt im Nahen und Mittleren Osten könnte jedoch nur der Anfang eines Phänomens sein, so warnt Brzezinski, das eine neue Qualität erreichen könnte mit unter anderem mit Auswirkungen auf Afrika und Asien.
Kolonialismus befeuert Ressentiments gegen den Westen
Es gelte im Blick zu behalten, dass die Gewalttaten der europäischen Eroberer und Kolonialmächte (unter Einschluss Russlands) seit dem 16. Jahrhundert bis hin zu den Kriegen in Algerien, Vietnam, Afghanistan und Irak im 20. und 21. Jahrhundert, Millionen von Toten zur Folge hatten. Muslimische und andere postkoloniale Völker sind dabei, dies in ihren kollektiven Erinnerungen und Geschichtsschreibungen als Grundlage aufzubauen für ihre tiefreichenden Ressentiments gegenüber dem Westen und der kolonialen Vergangenheit.
Mit dieser Einstufung des islamischen Terrorismus zu einem Risiko für die globale Sicherheit revidiert Brzezinski jene Einschätzung, die er noch in seinem Buch „Strategic Vision: America And The Crisis of Global Power“ (2012) vertrat. Hier hieß es noch, dass islamische Terrorgruppen wie Al Qaida durch eine Schwächung amerikanischer Macht weder demotiviert, noch weiter Auftrieb erhalten würden, weil ihnen die territoriale Verwurzelung fehle, wie sie eine Hamas und eine Hisbollah hätten. Terroristen hätten, von Bakunin bis Al Qaida, niemals ihre politischen Ziele erreicht und Staaten als die Hauptakteure auf der internationalen Bühne abgelöst. „Terrorism can intensify international turmoil but it cannot define its substance.”
Aufgabe der USA: Partnerschaft mit Russland und China
Die Aufgabe der USA als immer noch stärkste globale Macht wäre es nun, das heißt im Jahre 2017 und darüber hinaus, geduldig und hartnäckig an einer Kooperation mit Russland und vor allem mit China zu arbeiten, um die Risiken des Islamismus einzudämmen. Vor allem China müsse deutlich gemacht werden, dass angesichts dieser Stabilitäts-Risiken eine Partnerschaft mit den USA notwendig ist. Ein militärischer oder ideologischer Unilateralimus seitens der USA, Russlands oder Chinas wäre jedenfalls für alle Player kontraproduktiv, so Brzezinski.
Man wird sehen, ob und wie die neue US-Regierung mit Donald Trump an der Spitze die globalen machtpolitischen Interessen der USA mit den inneren wirtschaftspolitischen Zielen – Wirtschaftswachstum, Produktionsstätten im Inland halten und mehr Jobs für die Unter- und Mittelklassen – in Übereinstimmung bringt. Ein Neuanfang jedenfalls ist nach dem Quasi-Isolationismus der letzten Obama-Jahre dringend nötig. Die Welt wartet darauf, dass Washington wieder Initiative und Führung zeigt, und Bereitschaft zu Stärke, Verantwortung sowie Berechenbarkeit.
Vieles hängt davon ab, ob die USA sich wieder dazu verstehen, ihre nationalen Interessen und ihre Rolle in der Welt klar zu definieren. Aus diesen Wertentscheidungen leiten sich alle weiteren politischen Ziele und Mittel ab. Es geht, wie immer in der politischen Strategie, um ein möglichst rationales Kalkül, Kosten und Nutzen von politischen Zielen gegeneinander abzuwägen und immer neu zu prüfen, ob die Ziele dem nationalen Interesse dienen oder nicht.
Erinnerungen an Politische Rationalität
Was man sich unter Rationalität des politischen Handelns einmal vorzustellen hatte, darin erinnert ein Vortrag des französischen Soziologen, Intellektuellen, Figaro-Leitartiklers und Gründers von Commentaire, Raymond Aron (1905-1983). Der Beitrag aus dem Jahre 1979 mit dem Titel „La rationalité politique“ war zuerst auf Deutsch erschienen unter dem Titel „Politische Rationalität“ in „Wissenschaftliche und nichtwissenschaftliche Rationalität. Ein deutsch- französisches Kolloquium, Stuttgart 1983.“ 1979 hatte Aron übrigens auch für seine Arbeit an der deutsch-französischen Freundschaft den Goethe-Preis der Stadt Frankfurt erhalten. Jedes Jahr, in der Ausgabe des Winterquartals, bringt Commentaire als Hommage an seinen Gründer einen bislang in Frankreich unveröffentlichten Text von Aron.
Politische Entscheidungen ohne Wahrheitsanspruch
Aron erinnert daran, dass in modernen demokratischen Gesellschaften zwar politische Entscheidung wirtschaftswissenschaftlich und/oder soziologisch begründet werden können. Aber, und dies sei den heute für die Migrationspolitik politisch Verantwortlichen in der Bundesrepublik in Erinnerung gerufen: „Die Entscheidungen konstituieren dennoch kein Äquivalent einer Wahrheit“, wie in den Naturwissenschaften. „Aber die Wirtschafts- oder Sozialwissenschaften erlauben den Beweis der Unmöglichkeit gewisser Gesellschaftsvorstellungen, die den Parteien als Ideologie dienen. … Eine Regierung, die von Wählern abhängig ist, hat selten Sinn für lange Dauer; sie gibt Forderungen nach, ohne die späteren Folgen zu bemessen; sie will die öffentliche Meinung nicht beunruhigen oder ist sich der Gefahren nicht bewusst … Auch in der Außenpolitik gilt: „Auf jeden Fall kann die Entscheidung niemals einer Wahrheit gleichgesetzt werden …“
Und en passant erinnert Aron an die grundlegenden Aufgaben von Politik: die erste Pflicht der Regierenden ist die Sicherheit des Gemeinwesens nach außen, sodann die innere Ordnung und schließlich Gleichheit und soziale Gerechtigkeit.
Offene Grenzen: Der Gefahren nicht bewusst, die Folgen nicht bedacht
Wenn man das Handeln der Regierenden in Deutschland seit dem Jahr 2015 betrachtet, dann scheinen sie alle hier aufgestellten klassischen Maßstäbe aus dem Blick verloren zu haben. So behaupten die Akteure, allen voran die Bundeskanzlerin, 2015 mit der unbegrenzten, unkontrollierten Immigration die einzig mögliche, wahre Entscheidung getroffen zu haben. Dabei haben sie, dies lässt sich im Nachhinein sagen, die Folgen nicht bedacht und waren sich der Gefahren nicht bewusst. Was hätte zum Beispiel dagegen gesprochen, zuerst ein funktionierendes Kontroll- und Registrierungssystem an den Grenzen aufzubauen, bevor man die asylsuchenden Migranten ins Land lässt? Stattdessen wurde der Primat des Politischen verschüttet unter einer Woge von moralischen und gesinnungsethischen Begründungsversuchen, die aber lediglich eine kapitale politische Fehlleistung verdecken sollen, damit die öffentliche Meinung nicht beunruhigt wird und die Wähler bei der Stange gehalten werden.
Geheimnisvolle Zeitkrankheit
Dem Anfang des Aron-Aufsatzes hat das Redaktionsteam von Commentaire auf der gegenüber liegenden Seite ein Zitat aus Robert Musils Roman „Der Mann ohne Eigenschaften“ vorangestellt. Wir sagen hier der Redaktion von Commentaire Dank für diesen erhellenden und anregenden Hinweis. Das Zitat sei hier ohne weitere Kommentare leicht gekürzt nach dem deutschen Original wieder gegeben. Es findet sich im ersten Buch in dem Kapitel „Eine geheimnisvolle Zeitkrankheit“ und es handelt von der Dummheit:
„Denn wenn die Dummheit nicht von innen dem Talent zum Verwechseln ähnlich sehen würde, wenn sie außen nicht als Fortschritt, Genie, Hoffnung, Verbesserung erscheinen könnte, würde wohl niemand dumm sein wollen, und es würde keine Dummheit geben. Zumindest wäre es sehr leicht, sie zu bekämpfen. Aber sie hat leider etwas ungemein Gewinnendes und Natürliches … und ein rechter Gemeinplatz hat immerdar mehr Menschlichkeit in sich als eine neue Entdeckung. Es gibt schlechterdings keinen bedeutenden Gedanken, den die Dummheit nicht anzuwenden verstünde, sie ist allseitig beweglich und kann alle Kleider der Wahrheit anziehen. Die Wahrheit dagegen hat jeweils nur ein Kleid und einen Weg und ist immer im Nachteil.“
Dr. Joachim Stark ist Politikwissenschaftler und Publizist.