Tichys Einblick
Wissings Europäische Notbremse

Verbrenner sollen nicht ausgehen – Vernunft muss über Ideologie siegen

Der Widerstand aus Deutschland und anderen EU-Ländern verhindert das EU-Verbrenner-Aus. Volker Wissing hat richtig gehandelt. Das ist ein Sieg für Deutschlands Wirtschaft und die Vernunft, denn das Auto braucht auf lange Sicht alle Antriebstechnologien.

Bundesverkehrsminister Volker Wissing (FDP)

IMAGO / Political-Moments

Die Bundesrepublik Deutschland hat kurz vor der entscheidenden und abschließenden Sitzung des EU-Ministerrates als letzter Instanz im EU-Gesetzgebungsprozess (Trilog) die Reißleine gezogen: das endgültige Aus für Verbrennerautos findet nicht statt, Verkehrsminister Volker Wissing erzwang einen Aufschub. Die EU-Kommission musste die Entscheidung zum Verbrenner-Aus von der Tagesordnung nehmen. Damit entscheiden die EU-Staaten nicht, wie ursprünglich vorgesehen an diesem Dienstag, über das pauschale Verbot neuer Autos mit Verbrennungsmotoren ab 2035.

Für Brüssel ein ungeheurer Vorgang! Der Plan stand, die Tagesordnung war festgelegt: Die ständigen Vertreter der EU-Mitgliedsstaaten in Brüssel hätten am Freitag (3. März 2023) in Vorbereitung der morgigen Ratssitzung fertige Gesetze formal nur abnicken sollen, darunter nebenbei auch das de facto EU-weite Verkaufsverbot für Autos mit Verbrennungsmotor ab 2035. Unausgesprochen strebte die Europäische Kommission mit dem Verbrennerverbot eine ausschließliche Mobilität durch Elektroautos an. Käufer von Neuwagen sollten in Europa ohne jede Alternative keine andere Wahl mehr haben als nur den Kauf eines Elektroautos. Nebenbei: In Deutschland sollten davon nach Plänen der Bundesregierung bereits 2030 15 Millionen unterwegs sein.

Doch daraus wurde nichts, die schwedische Ratspräsidentschaft musste das Thema – völlig unüblich so kurz vor dem Zieleinlauf einer EU-Verordnung – von der Agenda streichen, weil sich Widerstand aus dem Berliner Verkehrsministerium regte. Damit war klar: Die Verordnung zum Verbrennerverbot würde ohne eine Zustimmung des Automobilgiganten Deutschland keine Mehrheit im Rat finden. 

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Die Entscheidung musste von der Agenda genommen werden, nachdem Bundesverkehrsminister Volker Wissing angekündigt hatte, dass Deutschland nicht zustimmen werde. Damit war die notwendige EU-Mehrheit von 15 der 27 EU-Länder bzw. 65 Prozent der EU-Gesamtbevölkerung nicht mehr gegeben, nachdem auch andere wichtige Auto-Länder wie Italien, Polen, Österreich und auch Rumänien im Vorfeld ihre Ablehnung signalisiert hatten. 

Diese späte Notbremsung Deutschlands ist im europäischen Gesetzgebungsprozess völlig unüblich und ohne Blaupause. Dass eine EU-Verordnung in letzter Minute noch mal aufgeschnürt und ergänzt wird, hat es bislang noch nicht gegeben. Ratlosigkeit und ein bisschen Panik macht sich unter der Brüsseler Administration breit.  

Verkehrsminister Wissing bestand darauf, dass es nach dem ab 2035 geplanten EU-Verbot für Neuzulassungen von Autos mit Verbrennungsmotoren eine Ausnahme für Fahrzeuge gibt, die mit synthetischen Kraftstoffen – sogenannten E-Fuels – betrieben werden können. Dafür müsse die Kommission sorgen. Konkret: Die EU-Kommission müsse, so Wissing, die Frage beantworten, „wie Verbrennungsmotoren nach 2035 zugelassen werden können, wenn sie nachweislich nur mit synthetischen Kraftstoffen betankt werden können“.

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Diese Forderung Wissings war und ist legitim und keineswegs, wie von diversen Medien und Kommentatoren unterstellt, der Profilierungssucht einer Partei (FDP) geschuldet. Zum einen hat der deutsche Verkehrsminister mit der Forderung nach Aufschub zunächst das Schlimmste verhütet und ist exakt der Eidesformel bei der Bestallung von Bundesministern gefolgt, die da lautet: „Ich schwöre, dass ich meine Kraft dem Wohle des deutschen Volkes widmen, seinen Nutzen mehren, Schaden von ihm wenden, das Grundgesetz und die Gesetze des Bundes wahren und verteidigen, meine Pflichten gewissenhaft erfüllen und Gerechtigkeit gegen jedermann üben werde. (So wahr mir Gott helfe.)“

Nichts anderes hat Minister Wissing mit seinem Einspruch getan, denn der Schaden eines absoluten Verbotes von Verbrennungsmotoren für Deutschland als drittgrößtes Hightech-Industrieland der Welt wäre unermesslich hoch gewesen. Die Branche, die heute vom Verbrenner lebt, würde um etwa die Hälfte schrumpfen, das Bruttoinlandsprodukt im Minimum etwa um ein Zehntel, die heutige Weltmarktposition im Autobau wanderte nach China, wo Elektroautos inzwischen eine Heimat haben. Eine Blaupause liefert aktuell die komplette Schließung des Ford-Werkes Saarlouis – für das Saarland eine arbeitsmarktpolitische Katastrophe. 

Zum anderen war der Einspruch Wissings auch deshalb legitim, weil sich EU-Parlament und Mitgliedsstaaten im Oktober 2022 zwar grundsätzlich auf das Verbrenner-Aus geeinigt haben, allerdings damals unter einer Bedingung: Die EU-Kommission solle ergebnisoffen untersuchen, ob und wie Fahrzeuge, die mit synthetischen Kraftstoffen betankt werden, auch nach 2035 zugelassen werden können.

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Davon war nunmehr bei Einbringung der Gesetzesvorlage durch den federführenden EU-Klima-Kommissar und Vize-Präsidenten Frans Timmermans, ein Eiferer und EU-bekannter emsiger Verfechter unbedingter Elektromobilität in der EU, keine Rede mehr. Zu Recht betonte Wissing: „Mir fehlt die Erfüllung der Zusagen der EU-Kommission (sprich: Frans Timmermans).“ Deutschland (als wichtigstes Autoland der EU) dürfe erwarten, dass die Kommission einen Vorschlag auf den Tisch legt, wenn sie ihn angekündigt hat.

Nun ist die Kuh auf dem Eis, ein baldiger Kompromiss ist nicht in Sicht. Klima-Kommissar Timmermans hat gegenüber Wissing erkennen lassen, dass die von Deutschland geforderten Änderungen am Gesetzestext so schnell nicht möglich seien. Damit ist zunächst alles offen bis zur nächsten Ratssitzung Ende März. Regierungskreise in Berlin gehen davon aus, dass die EU-Kommission beim nächsten Treffen des EU-Ministerrates einen neuen Anlauf für eine Abstimmung nehmen wird. Ratspräsidentin Ursula von der Leyen hat am Sonntag bereits die Klausur des Bundeskabinetts in Schloss Meseberg besucht.

In Brüssel wird der Aufschub als Chance gewertet, hinter den Kulissen noch eine gesichtswahrende Lösung zu finden. So könnte die EU-Kommission der Bundesregierung etwa Zusicherungen zum Einsatz von E-Fuels geben. Dies dürfte mit der Hauptgrund für den gestrigen Sonntagsausflug von Frau von der Leyen gewesen sein.

Selbst aus dem grün geführten Wirtschaftsministerium hat der liberale Verkehrsminister Wissing Unterstützung für seinen Kurs bekommen. Wirtschaftsstaatssekretär Sven Giegold (Grüne) sagte am vergangenen Donnerstag am Rande des EU-Treffens in Brüssel: „Wir haben immer gesagt als Deutschland: Wir unterstützen das Aus für alte, konventionelle Verbrennungsmotoren, wir wollen aber außerhalb der Flottengrenzwerte, also außerhalb dieses Gesetzes, eine Lösung für solche Verbrennungsmotoren, die nur mit nachhaltigen E-Fuels betrieben werden.“ Die EU-Kommission müsse jetzt alle Koalitionspartner davon überzeugen, dass derlei Maßnahmen betrieben würden, forderte Giegold.

Im Gegensatz zu den „grünen“ Experten aus dem Bundeswirtschaftsministerium, die mittlerweile den Ernst der Lage für die deutsche Autoindustrie am und für den Standort Deutschland begriffen haben, sind grüne Abgeordnete im EU-Parlament erzürnt ob des Wissing’schen Wankelmutes. Die Debatte um das Verbrenner-Aus ist ein absurdes Schauspiel, das schon jetzt großen Schaden in der EU anrichtet, so Terry Reintke, die (deutsche) Co-Vorsitzende der Grünen im Europarlament.

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Bundesfinanzminister Christian Lindner bekräftigte in einem Interview der Funke-Mediengruppe das Nein der FDP zu einem kompletten Verbot von neuen Verbrennerfahrzeugen in der EU. „Es ist unser Ziel, dass in Deutschland auch nach 2035 noch Neuwagen mit Verbrennungsmotoren zugelassen werden“, sagte der FDP-Chef. „Allerdings müssen diese Fahrzeuge dann mit klimafreundlichem Öko-Sprit fahren.“ Neu zugelassene Verbrennerfahrzeuge würden nach 2035 eine Ausnahme bleiben. Weltweit werde diese Technologie aber weiter eine große Rolle spielen, „das technologische Know-how muss in einem Exportland wie Deutschland deshalb erhalten bleiben“. – Das allerdings ist eine Illusion, wenn sich nach 2035 rund 70 Prozent des verbleibenden Verbrennermarkts außerhalb Europas befinden. Die Konsequenz wäre klar: Die deutsche Autoindustrie wandert ab, Ford hat schon damit begonnen (vielleicht zu früh), Opel hat es schon hinter sich.

Ganz im Gegensatz zu ihrer historischen Herkunft zeigte sich die SPD nicht als Partei der Arbeiter. „Es ist lediglich der Versuch, den Verbrenner zu retten, während selbst die Industrie schon andere Fakten schafft“, sagte der stellvertretende SPD-Bundestagsfraktionschef Detlef Müller. „Wir unterstützen eine klare Entscheidung auf EU-Ebene, die ein Verbrenner-Aus nicht infrage stellt.“ E-Fuels seien teuer, ineffizient und nur begrenzt verfügbar.  Müller vergisst dabei zu erwähnen: Nachhaltig erzeugter grüner Strom auch! „Unsere Klimaziele im Verkehr erreichen wir damit schlichtweg nicht.“ Moniert wird zudem, dass die Industrie konstante und verlässliche Planungsgrundlagen für ihre strategischen und milliardenschweren Investitionsentscheidungen brauche.

Soweit der Sachstand. Bleibt die Frage, wie am Schluss die Diskussion von Für und Gegen den Verbrenner zu bewerten ist? Was spricht für E-Fuels, was für ausschließlich Elektroautos? Wo liegen die ideologisch verbrämten Schwachpunkte? Welche Argumentationstricks wenden die Umwelt-Ideologen an, um dem Verbrennungsmotor den Garaus zu bereiten? Was spricht gegen das Verbrenner-Aus? Wo liegen die Schwachpunkte der ganzen Diskussion?

Dazu folgende Aspekte:

In Deutschland sollen bis 2030 15 Millionen Voll-Elektroautos in Betrieb sein, die aber dann alle mit Sicherheit auch mit Kohlestrom befeuert werden. Zu erfragen wäre, wie hoch der CO2-Austoß dieser E-Flotte dann ist, und wie jener einer vergleichbaren Flotte Verbrennerautos. Welche CO2-Einsparungen ergeben sich dabei gegenüber dem Betrieb von Verbrennerautos mit Euro 6 Abgastechnologie?

Indessen wachsen die Zweifel an der Einseitigkeit von Antriebs-Investitionsentscheidungen des deutschen Automobilmanagements. Ähnlich wie in der Bibel im Matthäus-Evangelium beim Gleichnis von den klugen und den törichten Jungfrauen, fuhren einige Hersteller wie BMW und Porsche immer zweigleisig und bekannten sich dazu, während andere wie VW, Audi und Daimler sich voll und einseitig auf den Elektrozug setzten.

Die Konsequenzen eines Verbrennerverbots auf Beschäftigung und vor allem auf die Zulieferer und damit auf Wertschöpfung und Wohlstand in Deutschland auf breiter Front wurden von der Politik und auch einigen Herstellern völlig außer Acht gelassen. Erst 

wurde auch die Politik im Lande hellhörig – die Gewerkschaften indessen nach wie vor nicht. Das EU-Projekt Verbrenner-Aus wurde von den amtlichen Vertretern der Belegschaften nie öffentlich in Zweifel gezogen, vermutlich, um die grünen und roten Parteifreunde in der Ampel nicht in Bedrängnis zu bringen. Erst als sich der Kahlschlag in der Beschäftigung und der tausendfache Verlust von Arbeitsplätzen durch ein Verbrenner-Aus abzuzeichnen begann, gewann die von Experten schon längst angemahnte Suche nach Alternativen zur Zerlegung einer florierenden Industrie und des Industriegiganten Deutschland an Momentum!

Die EU steht vor einer Richtungsentscheidung. Hält man Klimaschutz für unverzichtbar, ist die Batterie-Elektromobilität, so sie mit grünem Strom CO2-frei betrieben werden kann, sicherlich die umweltfreundlichste Art der individuellen Mobilität. Sie wäre klimapolitisch das Optimum, allerdings zu einem hohen volkswirtschaftlichen Preis: Der Verlust an Wachstum, Wohlstand und Arbeitsplätzen durch das Aus für die Verbrenner-Autoindustrie wäre nicht zu vermeiden. Die Transformationsschäden wären hoch und schmerzhaft und könnten vom Staat über zusätzliche Schulden auch nicht aufgefangen werden.

Das jetzige Verbrenner-Aus wäre nicht das Optimum, sondern die schlechteste aller Welten für Deutschland und die EU: Die Verbrennerindustrie wird abgewickelt – und die Klimasituation verbessert sich trotzdem nicht, im Gegenteil sie verschlechtert sich sogar, weil nur CO2-Strom für Elektroautos zur Verfügung steht.  

Daraus folgt nach ökonomischer, nicht ideologischer Logik: Bis es dazu kommt, dass grüner Strom zur Genüge für die Elektroauto-Flotte zur Verfügung steht, ist ein Zwischenschritt notwendig, der einen rascheren Klimaschutz garantiert als die Transformation von 350 Millionen Verbrennerautos in Elektromobile, was selbst in Jahrzehnten nicht möglich ist. 

Die EU-Bürger als Autofahrer ebenso wie die Beschäftigten in der Autoindustrie und ihre Familien haben das Recht, von der EU-Kommission vor jeder Entscheidung über ein Verbrennerverbot oder über die Zulässigkeit von synthetischen Treibstoffen durch neutrale wissenschaftliche Analysen und Berechnungen zu erfahren, 

Erst wenn die Ergebnisse solcher Untersuchungen auf dem Tisch liegen, sollte die EU entscheiden!

Ein Zwischenschritt als zweitbeste Lösung wäre ein gangbarer Kompromiss. Eine sozialverträgliche, machbare Alternative zum Verbrenner-Aus kann nur E-Fuels oder Wasserstoff heißen. Möglicherweise hat diese Erkenntnis sogar die Süddeutsche Zeitung entgegen ihrer langjährigen Überzeugung dazu gebracht, die Notbremse von Volker Wissing in Brüssel am Samstag (4. März 2023) mit dem Titel zu beschreiben: Die Welt braucht E-Fuels. Man könnte mit Galileo Galilei feststellen: „… und sie bewegt sich doch“.

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