Der Dichter Jörg Bernig hatte sich beworben für die Leitung des Kulturamts der Stadt Radebeul in Sachsen. Der Rat der Stadt hatte sich mit Mehrheit für ihn entschieden. Der Bürgermeister der Stadt hat sich darüber hinweggesetzt. TE berichtete.
Zuvor hatte es in Zeitungen eine Kampagne gegen Bernig gegeben, der etwa in der Süddeutschen Zeitung als „neurechter Denker“ bezeichnet wurde. Neben Bernigs kritischen Äußerungen über die Migrationspolitik der Bundesregierung wurde vor allem die Tatsache, dass Bernig offenbar auch mit Stimmen von Ratsmitgliedern der AfD gewählt wurde, skandalisiert. Schließlich veröffentlichte auch die Schriftstellervereinigung PEN, der Bernig selbst angehört, eine „Stellungnahme“, in der deren Präsidentin Regula nach einem ausführlichen Bekenntnis „gegen Positionen, wie sie AfD, Pegida und ähnliche Gruppierungen vertreten“ Bernig auffordert „zu prüfen, inwieweit er seine Verpflichtung gegenüber der PEN-Charta wahrnehmen kann, und ggfs. die notwendigen Konsequenzen zu ziehen.“
Auf diese verklausulierte Aufforderung zum Austritt nimmt Bernig jetzt in einem Brief an Venske Stellung, den wir im folgenden dokumentieren. In einem zweiten Brief hat der Dresdner Schriftsteller Uwe Tellkamp in einem gemeinsam mit anderen Autoren und Künstlern verfassten Brief an den Radebeuler Bürgermeister Wendsche seine Unterstützung für Bernig geäußert.
Hier beide Briefe im Wortlaut:
Sehr geehrter Herr Oberbürgermeister Wendsche,
hiermit möchte ich Herrn Dr. Jörg Bernig meine Unterstützung ausdrücken. Kritische, von Gesetz und Meinungsfreiheit gedeckte Positionen zu unserer Einwanderungspolitik, zur Rolle bestimmter Medien und Politiker in der gesellschaftlichen Entwicklung der letzten Jahre sind kein Grund, seine persönliche und berufliche Integrität anzugreifen und damit zu versuchen, seine Berufung zum Kulturamtsleiter der Stadt Radebeul rückgängig zu machen. Demokratie ist kostbar und schwer errungen, sie ist ohne den offen und respektvoll geführten Streit um die besten Lösungen nicht denkbar. Das wissen gerade diejenigen, die, wie Dr. Bernig, 1989 dafür demonstriert haben. Zur Demokratie gehört es, Wahlergebnisse auch dann auszuhalten, wenn sie denen, die nicht gewählt worden sind, mißfallen.
Hochachtungsvoll
Uwe Tellkamp, Autor, Dresden
Mit:
Christian Thielemann, Chefdirigent der Sächsischen Staatskapelle Dresden
Sebastian Kleinschmidt, Autor, Mitglied des PEN, ehem. Herausgeber von „Sinn und Form“, Berlin
Vera Lengsfeld, Autorin, Bürgerrechtlerin, Berlin
Uwe Steimle, Schauspieler und Autor, Dresden
Susanne Dagen, Buchhändlerin, Verlegerin, Dresden
Dazu haben u.a. Unterstützung für Herrn Dr. Bernig mitgeteilt:
Angela Krauß, Schriftstellerin, Mitglied der Sächsischen Akademie der Künste, Leipzig Friedrich Dieckmann, Autor, Mitglied der Berliner Akademie der Künste, Berlin,
Utz Rachowski, Autor, Berlin
Jenny Schon, Autorin, Mitglied des PEN, Berlin
Sehr geehrte Frau Venske,
am 25. Mai erreichte mich über die Medien das „Statement des PEN-Präsidiums zu Jörg Bernig“. Gestatten Sie mir, daß ich mich persönlich an Sie, als die Unterzeichnende, wende.
Was haben wir erlebt? Auf eine Ausschreibung der Stelle der Kulturamtsleitung in unserer sächsischen Kleinstadt Radebeul habe ich (wie über 50 andere auch) meine Bewerbungsunterlagen samt Ideen und Vorstellungen für kulturelle Vorhaben in unserer Stadt eingereicht. Nach einem sechsmonatigen Auswahlverfahren mit mehreren Vorstellungsgesprächen vor der Verwaltung der Stadt und vor den Stadträten blieben zwei Kandidaten übrig. In einer geheimen Wahl wurde ich am 20. Mai von den Stadträten zum Kulturamtsleiter gewählt. Nota bene: Ich habe mich um die Stelle beworben und bin nicht als ein Kandidat irgendeiner Partei nominiert worden.
Wegen meiner kritischen Beobachtung und Einlassungen zur Migrationspolitik der Bundesregierung und wegen der von mir kommentierten Rolle weiter Teile der Medien bei der Begleitung dieser Politik gibt es Stimmen der Irritation zu meiner Wahl.
Nun handelt es sich bei der erfolgten geheimen Wahl um einen Vorgang auf kommunaler Ebene. Und hier, in einer Kleinstadt, geht es nicht in erster Linie um Parteipolitik und schon gar nicht um Bundespolitik. Linke wie rechte parteipolitische Ausgrenzungen, die auf Bundes- und Landesebene praktiziert wurden, haben auf kommunaler Ebene nie gleichermaßen funktioniert. Auf ihr müssen wir einander begegnen, müssen wir einander annehmen und als Bürger und Bürgerinnen zusammenleben, wenn wir das Gemeinwesen befördern wollen. Es geht, sehr geehrte Frau Venske, bei dieser Frage nicht um das PEN- Präsidium und nicht um die PEN-Charta, der ich mich verbunden und verpflichtet weiß. Es geht um das Gemeinwesen und die Dienste, die das Kulturamt ihm anbietet. Ich sehe die Aufgabe eines Kulturamtsleiters darin, so viel Kultur in seine Stadt zu bringen, wie er nur kann.
Wir leben in einer schmerzlichen Zeit. Trennung, Spaltung, Riß – das sind gern herangezogene Wörter zur Beschreibung des Zustandes der Gesellschaft. Meine Hoffnung ist, daß wir einander auf dem kulturellen Feld mit Offenheit, Interesse und Anerkennung begegnen und damit der Zerrissenheit unserer Gesellschaft entgegensteuern. Es geht auch darum, was wir den uns Nachfolgenden vorleben und was wir ihnen hinterlassen: nicht wechselseitige Ausgrenzung, sondern die Suche nach Gemeinsamkeiten.
Um dies hier vor Ort in unserer kleinen Stadt befördern zu helfen, hatte ich mich beworben, die Leitung des Kulturamtes zu übernehmen. Nicht mehr, aber weniger auch nicht.
Es grüßt Sie Jörg Bernig
Radebeul, den 28. Mai 2020
terra nova
und siehe den zug um unsere münder
wir glaubten den hätten die väter mit sich genommen
auf ihre große unendliche reise
und siehe wir murmeln zauberspruch fluch und gebet
nur nichts renkt sich mehr ein das feuer verlischt unsrer gewißheit der bitterkeit rauch beißt in den augen
und siehe wir haben die wege zu unseren meeren vergessen
wo wir vorsichtshalber die boote zu wasser gelassen
obwohl doch die rettenden ufer …
(aus: Jörg Bernig: reise reise. Gedichte. Edition Buchhaus Loschwitz: Dresden 2018.)