Tichys Einblick
Unser Parteiensystem befördert Angepasste

Wo man nur hinschaut, heißt es Powerfrau hier, Powerfrau dort

Merkel, von der Leyen oder auch Baerbock: Politikerinnen gelten schnell als „Powerfrauen“. Eher scheinen jedoch andere „Qualitäten“ gefragt zu sein.

Angela Merkel und Annalena Baerbock im Januar 2020

picture alliance/dpa

Angela Merkel, Ursula von der Leyen, Annalena Baerbock. Drei Frauen, die unterschiedlicher nicht sein könnten. Einerseits Angela Merkel, Pfarrerstochter, die in der DDR aufwuchs und in der Bundesrepublik zu „Kohls Mädchen“ aufstieg. Merkel, die Kanzlerkandidatin der Christdemokraten (CDU/CSU), die es zur ersten Bundeskanzlerin Deutschlands schaffte – das US-Magazin „Forbes“ kürte sie zum zehnten Mal in Folge zur mächtigsten Frau der Welt.

Andererseits ihr gegenüber Ursula von der Leyen, oder „Röschen“, wie sie ihr Vater zärtlich nannte, der CDU-Politiker Ernst Albrecht. Von der Leyen saugte das Politik-Geschäft schon mit der Muttermilch auf. In Brüssel als Tochter eines hohen EU-Beamten geboren, spricht sie etwa fließend englisch und französisch und nahm an politischen Kampagnen ihres Vaters in Niedersachsen teil. Nun besetzt von der Leyen als EU-Komissionspräsidentin das mächtigste Amt der Europäischen Union. Das macht sie zur mächtigsten Frau Europas.

Die mächtigste Frau von Bündnis 90/Die Grünen

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Neben sowohl der mächtigsten Frau der Welt als auch der mächtigsten Frau Europas gesellt sich die mächtigste Frau von Bündnis 90/Die Grünen dazu. Baerbock wollte schon immer hoch hinaus. Als junges Mädchen holte sie sich drei mal Bronze bei den Deutschen Meisterschaften im Trampolin-Springen. Nun, als erwachsene Frau, reichte es endlich für Gold. Am Montag setzte sie sich gegen Robert Habeck durch und schaffte den Sprung zur grünen Kanzlerkandidatin. Überraschend ist das keineswegs, eher dem Zeitgeist entsprechend und grün-konsequent. Schließlich fehlt Habeck eine heutzutage karrierefördernde Eigenschaft: Er ist keine Powerfrau.

Das gab die grüne Kanzlerkandidaten auch behutsam zu: „Natürlich hat auch die Frage der Emanzipation eine zentrale Rolle bei dieser Entscheidung gespielt.“ Richtigerweise müsste es DIE zentrale Rolle heißen. Doch trägt das alleinige Frau-Sein sie zur Bundeskanzlerin? Andererseits überschwemmt das Land eine Männerfeindlichkeit, in der reflexhaft jeder Mann mit den Eigenschaften von „alter, weißer Mann“ oder „toxische Männlichkeit“ in Verbindung gebracht wird.

Macherinnen, Machtfrauen, Powerfrauen

Merkel, von der Leyen, Baerbock. Drei Frauen, die unterschiedlicher nicht sein könnten. Doch eines eint sie. Sie möchten machen, gestalten, verändern. Sie sind Macherinnen, Machtfrauen, Powerfrauen. Sprach man früher vom Superweib, etwa bei Veronika Ferres, so lautet es heute Powerfrau. Wo man nur hinschaut, heißt es Powerfrau hier, Powerfrau dort. Doch was meint jemand, wenn er von Powerfrau spricht? Ist damit, als Pendant zu den Powerpuff Girls, eine Superheldin gemeint? Eine Frau, die ihre Kräfte im Kampf gegen das Böse nutzt?

Wären dann Merkel, von der Leyen und Baerbock die Powerpuff Girls der Politikszene? Merkel als Blossom, der Anführerin mit dem Eisatem. Wie brenzlig die Situation auch sein mag, stets bewahrt die Bundeskanzlerin die Contenance, schlägt ihre Gegner durch ihre stoische Ruhe ins Abseits. Daneben befände sich von der Leyen als Bubbles. Das zweite Powerpuff Girl in der Runde liebt Einhörner und ist sprachbegabt. Die Rolle wirkt wie angegossen für die EU-Kommissionspräsidentin. Und zum Schluss wäre da Baerbock. Sie würde als Buttercup brillieren. Ihr Markenzeichen ist ihr Kleid in grüner Farbe, so grün wie die politische Einstellung der grünen Politikerin.

„Baerbock wollte schon immer hoch hinaus.
Als junges Mädchen holte sie sich drei mal Bronze
bei den Deutschen Meisterschaften im Trampolin-Springen“

Doch trifft diese Superheldenattitude einer Powerfrau auf die drei Damen der Politik zu? Merkel hält gute Beziehungen zur Volksrepublik China, dem gegenwärtig der Status des Superschurken der Nationen zukommt. Nirgendwo anders belohnt ein Land seine Bürger nach dem Social Credit System für braves, systemkonformen Verhalten.

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Demgegenüber trifft sich die EU-Komissionspräsidentin von der Leyen mit dem türkischen Staatsoberhaupt, Recep Erdogan. Sein „charmanter“ Umgang mit von der Leyen, das sich als „Sofagate“ in den Medien verbreitete, sagt mehr als tausend Worte. Eben jener Erdogan wünschte sich – allem Anschein nach – Zustände, die er bei seinem Kollegen antrifft, dem Staatspräsidenten der Volksrepublik China, Xi Jinping.

Im Gegensatz hierzu kann Baerbock nicht viel vorweisen. Als jüngste im Frauen-Trio fehlten ihr bisher vergleichbare Profilierungsmöglichkeiten, um sich entsprechend behaupten zu können. Denn die Bühne der Weltpolitik bleibt ihr noch verwehrt. Stattdessen gilt für sie als Oppositionspolitikerin das Credo: Attacke, Attacke, Attacke. Doch vielleicht reift ihre Superkraft, wie beim Powerpuff Girl Buttercup, sobald sie womöglich zur Kanzlerin gekürt wird?

Alle drei streben nach Macht

Wie dem auch sei. Weder Merkel noch von der Leyen oder Baerbock sind Superheldinnen. Zwar streben sie nach Macht, ja sie besitzen Macht – und keiner kann verleugnen, dass ein gewisses Maß an Tüchtigkeit hierüber unentbehrlich scheint. Geschenkt. Aber ob alle drei „tüchtige Frauen voll Kraft und Stärke“ sind, wie die Definition von Powerfrau laut Onlinewörterbuch Duden heißt, bleibt fraglich.

Dudens Reputation lässt übrigens zu wünschen übrig. Spätestens durch seinen skurrilen Auftritt als verbale Zirkusmanege, in der dubiose, aber durchaus artistische Sprachverbiegungen zur Etablierung von Gendersprache zum Programm gehören. In diesem Sinne: Müsste es daher nicht folgerichtig „Powerfrau*innen“ oder „Powerfrau_innen“ heißen? Abgesehen von dieser Gretchenfrage unter den Gretchenfragen, wie es Verfechter einer geschlechtergerechten Sprache empfinden, und der angeknabberten Sprachautorität des Duden: Zeichnen sich Merkel, von der Leyen und Baerbock durch Kraft und Stärke aus?

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Der Halbgott und Göttersohn Zeus‘ Herakles oder der biblische Samson besaßen Kraft und Stärke – im physischen Sinne. Während ersterer im Rahmen seiner zwölf Heldentaten etwa den nemeischen Löwen besiegte, schenkte das Haupthaar seinem Besitzer Samson übermenschliche, unbesiegbare Kräfte. Leonardo da Vincis Kraft und Stärke kennzeichnet sich durch sein vielfältiges Talent und zahlreiches Schaffen aus. Von der Mona Lisa über anatomische Zeichnungen bis hin zu etlichen Erfindungen reicht sein Schaffensrepertoire. Da Vinci verdient wohl am ehesten die Bezeichnung eines Tausendsassa. Ähnliches gilt für den deutschen Schriftsteller, Johann Wolfgang von Goethe. Als Vollzeitpolitiker widmete er sich neben der Literatur auch der (Natur-)Wissenschaft, wo die Botanik zu seiner Leidenschaft zählte.

Demgegenüber navigierte sich Merkel schon früh durch die (politischen) Strukturen. Obwohl eine Mitgliedschaft bei der Freien Deutschen Jugend (FDJ) nicht verpflichtend war, trat die heutige Bundeskanzlerin dieser bei und übernahm sogar die Funktion der Kulturreferentin. Nach dem Mauerfall trat sie der neu gegründeten Demokratischen Aufbruch (DA) bei, die später mit der CDU fusionierte. 1991 erhielt die CDU-Politikerin das Amt der Bundesministerin für Frauen und Jugend, 1994 ging sie zum Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit. Bevor Merkel es dann 2005 zur ersten Bundeskanzlerin Deutschlands schaffte, amtierte sie, wie üblich, als Generalsekretärin der CDU, anschließend als Bundesvorsitzende der Partei.

Baerbock: Die grüne Merkel

Ähnliches gilt auch für von der Leyen und Baerbock. Während erstere aus entsprechenden Kreisen kam und über entsprechende Kontakte im Machtgefüge verfügte, sich somit von den Strukturen tragen lassen konnte, könnte man Baerbock als grüne Merkel bezeichnen. Denn auch ihre politische Karriere verlief in ihren Reihen angepasst. In Hannover geboren, in der Nähe ihrer Geburtsstadt auf einem Bauernhof aufgewachsen, studierte die heute 40-Jährige nach ihrem Abitur Politikwissenschaft und öffentliches Recht in Hamburg.

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Nach ihrem Abschluss „Master of Public International Law“ an der London School of Economics arbeitete sie zunächst einige Jahre für die „Hannoversche Allgemeine Zeitung“, bevor es sie letztlich in die Politik verschlug – als Büroleiterin der Europaabgeordneten Elisabeth Schroedter und als Trainee des „British Institute of Comparative and Public International Law“. Von der Sprecherin der frühen Bundesarbeitsgemeinschaft Europa arbeitete sie sich dann peu a peu zur Co-Vorsitzenden von Bündnis 90/Die Grünen hoch. Und auch privat ging es bergauf. Nachdem sie ihren heutigen Ehemann, Politikberater und PR-Manager Daniel Holefleisch, kennenlernte, bekam sie zwei Töchter und ließ sich mit ihrer Familie im beschaulichen Potsdam nieder.
Nach vorne kommen Brave, Angepasste, Mitläufer

Es ist sicherlich ein Verdienst Merkels, von der Leyens und Baerbocks, dass sie die Logik ihres Parteiensystems erkannten und sich dieser anpassten. In dieser Logik schaffen es an die Spitze die Braven, die Angepassten, die Mitläufer, und nicht die Kritischen, die Abweichenden, die Freigeister – nicht die Kreativen. Während Herakles durch seine Taten und da Vinci durch seine Werke als Superhelden brillierten, gilt das für die drei Politdamen mit ihrem herkömmlichen Karriereweg nicht. Wenn man sie somit als Powerfrauen bejubelt, dann als massenmediale Heldinnen, die weder durch Tat oder Werk glänzen.


Dieser Artikel von Deborah Ryszka erschien zuerst in Die Tagespost. Katholische Wochenzeitung für Politik, Gesellschaft und Kultur. Wir danken Autorin und Verlag für die freundliche Genehmigung zur Übernahme.

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