Tichys Einblick
Unruhen in Frankreich

Es gibt kein Recht auf Aufstand

Angesichts der Aufstände in Frankreich üben sich linke, deutsche Medien in ihrer liebsten Disziplin: Polizisten anpöbeln. Ich stelle mich dagegen – gerade, weil mein Leben von einem Polizistenfehler massiv beeinflusst wurde.

IMAGO / ZUMA Wire

Angesichts der Aufstände in Frankreich üben sich deutsche Medien wieder in ihrer liebsten Disziplin: Verständnis für das Falsche zeigen. Viel Verständnis. So folgert die Frankfurter Rundschau: „Die Regierung Macron muss die Ursachen der wiederkehrenden Unruhen in Frankreich endlich beseitigen und damit das Land befrieden.“ Im Umkehrschluss heißt das: So wie die Umstände in Frankreich sind, müssen die Jugendlichen ja ihre Städte niederbrennen. Die armen Hascherl. Die würden ja auch viel lieber abends zuhause bleiben, Molière lesen oder Mami beim Abwasch helfen.

Die üblichen Opfermotive der Identitätspolitik durchziehen die Analysen: Eingewandert in ein abweisendes Land. Ausgewandert aus kolonialisierten Gebieten. Da hat man dann sowieso einen Freifahrtschein für alle erdenklichen Ausraster. Zumindest in linken Augen. Und dann beruflich nichts geworden, obwohl man an der eigenen Ausbildung hart gear… Nun das nicht. Aber dass sie nicht an ihrer Ausbildung gearbeitet haben, ist natürlich die Schuld aller, nur nicht die ihrige. Da muss Macron endlich was dran ändern, so wie es die FR fordert.

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Analysen anhand Identitätspolitik? Kein Problem. Das kann ich auch. Als ich sieben Jahre alt war, wurde mein Vater erschossen. Von einem Polizisten. Mein Vater war unschuldig. Unbewaffnet. Er hatte sich einem anderen Polizisten angeboten, auf der Suche nach einem Einbrecher zu helfen. Keine Angst. Ich ziehe jetzt nicht los und zerstöre die nächste Wache oder wenigstens den nächsten Späti. Der Vorfall war eine persönliche Tragödie, ein fehlerhaftes Verhalten des Polizisten – doch in keinem Fall eine Rechtfertigung, meine Wut rauszulassen.

Benachteiligt war ich auch. Und wie. Einige Jahre nach meinem Vater starben meine Großeltern. Kurz davor hatten sie Hof und Land verkauft. Es war Geld da. Davon gesehen habe ich nichts. Die Sachbearbeiterin, die auf dem Jugendamt meine Vormundschaft betreute, hat es versäumt, mein Recht auf ein Erbe anzumelden. Das Jugendamt steht noch. Ich habe es danach nicht aus Wut angezündet. Denn ich habe kein Recht dazu. Es gibt kein Recht auf Aufstand.

Meinen Wehrdienst habe ich in Kusel absolviert. Wir sind mit Platzpatronen durch die Landschaft gezogen und haben Wache gespielt. Obwohl das nur ein Spiel war, hat es mir ein Zehntausendstel des Gefühls vermittelt, was es heißt, sich auf einen bewaffneten Angriff vorzubereiten. Das Zehntausendstel hat mir genügt, Empathie zu entwickeln. Intensiver wurde das gut zwei Jahrzehnte später. Als Journalist habe ich eine Nachtstreife begleitet. Wir fuhren zu einem Banküberfall, keine Zeit mehr auszusteigen. Ich kenne aus dieser Nacht die Frage, die dir durch den Kopf geht: Was machst du, wenn dort jetzt jemand auf dich schießt?

In Kusels Wäldern habe ich Wache gespielt. Knapp 30 Jahre später waren dort zwei Polizisten wirklich im Dienst unterwegs. Sie stoppten im Januar 2022 ein Auto und sprachen dessen Besitzer an. Der schoss. Sofort. Zwei junge Menschen: tot. Aus dem Leben gerissen. Für ein paar Kilo gewildertes Wildschweinfleisch. Für nichts. Das ist die Situation eines Polizisten. Jeden Tag. Aus den harmlosesten Situationen heraus kann sein Leben beendet werden. Für nichts. Ein paar Kilo gewildertes Fleisch.

Aus dem gesicherten Raum Kritik an Entscheidungen zu üben, ist an selbstverliebter Arroganz nicht zu überbieten. Und wenn wir schon beim Stichwort handelsübliche linke Schäbigkeit sind, kommen wir ohne Umwege zur Königin dieses Genres: der Taz. Dort hat sich ens Autor*in versucht, in die Köpfe der Polizisten zu begeben, deren Streife in Frankreich den 17 Jahre alten Nahel erschossen hat: „Er schämt sich nicht mal, der Kleine, er bereut es nicht mal, er lacht über uns, beleidigt uns, kein Respekt. Es gibt Schimpfworte, es gibt Grenzen, die Wut packt uns. Wir holen die Knarre raus, damit er Angst kriegt, damit er seinen spöttischen Blick abstellt, damit er sein Grinsen verschluckt.“ Polizisten als blutgierige, entmenschlichte Rassisten. Das kommt dabei raus, wenn Helikopterelternkinder sich in Empathie üben und versuchen, sich in einen anderen Kopf zu versetzen als den, um den sich sonst immer alles dreht: den ihren.

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Deutschlands Medien lieben Gewalttäter. Zumindest die, die ja gar nicht anders können. Wegen des Rassismus, des Kolonialismus und all der anderen deterministischen Ismen. Deswegen werden wir bald Straßen nach Nahel benennen, am besten nachdem einer festgestellt hat, dass Sophie Scholl mal im BDM war, sich Konrad Adenauer nicht entschieden genug gegen den Kolonialismus ausgesprochen oder Heinrich Heine in seinen Texten einen Homosexuellen verunglimpft hat.

Doch eben dieses 17 Jahre alte Vorbild war nur bedingt unschuldig. Nicht nur wegen seiner Vorstrafen. Kurz vor seinem Tod war er schon mal in eine Polizeikontrolle gekommen – und durchgerast. Die Polizisten, die ihn nun stoppten, mussten damit rechnen, dass er sie über den Haufen fährt. Ihr Leben auslöscht. Ohne mit der Wimper zu zucken. Das war ihre Situation. Empathie heißt, sich in diese tagtägliche Lebensgefahr zu versetzen, bevor man seinen Richterspruch aus dem sicheren Büro herausspricht. Das sicher ist, weil allein in Berlin-Mitte Hundertschaften von Polizisten diejenigen schützen, die nun so gedankenlos über die Schuld von Polizisten schwadronieren. Denn ja, natürlich, war es ein Fehler, eine Tragödie.

Der Rassismus, der Kolonialismus und nun Nahels tragischer Tod. Fertig ist die Melange, die all den armen Hascherln jetzt nichts anderes übriglässt, als ihr Land in Schutt und Asche zu setzen und weitere Menschenleben zu gefährden. Es passt ja alles so schön zusammen. Zumindest, wenn man bereit ist, alles auszublenden, was dem eigenen Weltbild im Weg steht.

Zum Beispiel die Fußball-Weltmeisterschaft in Katar. In Brüssel rächen unterdrückte Randalierer nun ebenfalls wie in Paris den Tod Nahels. Aber schon im November und Dezember, während der WM, haben sie die belgische Hauptstadt auseinandergenommen. Da waren es Fußballspiele Marokkos, die junge Männer zum Randalieren zwangen. Siege ebenso wie Niederlagen. Egal. Denn letztlich zwingt einen ja der Rassismus zur Gewalt, der Kolonialismus, Macron oder wie das Pendant dazu in Belgien heißt.

Bullshit. Es ist ein Kulturkampf, der in Paris, anderen französischen Städten und mittlerweile sogar im benachbarten Ausland ausgetragen wird. Es sind Menschen einer Volksgruppe, die in der Alterskohorte unter 30 Jahre die Mehrheit stellen, aber nicht die oberen Positionen der Gesellschaft einnehmen – sie sind im Kampf gegen Volksgruppen, die in der Alterskohorte über 60 Jahren die Mehrheit stellen und sie bestenfalls als Pfleger, Straßenfeger oder Kioskschwengel akzeptieren. Auch die Linken. Gerade die Linken.

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Denn was ist denn das anderes, wenn Annalena Baerbock (Grüne) nach Brasilien reist, um dort Pflegekräfte anzuwerben? Der sprachliche Tand soll doch nur die Sinne verstellen: all dieses Geschwafel von bunt, Integration oder divers. Es geht darum, billige Arbeitskräfte herzulocken, in der Hoffnung, dass sie rechtzeitig die Alten und Siechen wenden, wozu nicht mehr ausreichend Deutsche bereit sind. All der überbordende Sozialstaat dient doch nicht dazu, diese Arbeitskräfte zu beglücken. Es ist der Wunsch, Einwanderer in der Rolle der Hilfsbedürftigen zu halten – aus der berechtigten Furcht, ihnen könnte irgendwann bewusstwerden, dass ihnen qua Demografie früher oder später Führungsrollen zukommen.

Doch darüber reden Linke nicht gerne. Ein wenig, weil sie Rechten nicht recht geben wollen. Vor allem aber, weil sie sich vor nichts mehr fürchten, als dass ihre Lebenslügen zusammenbrechen. Denn der junge Mann, der es für einen Mordgrund hält, wenn seine Schwester einen Fremden anlächelt, der wird es auf Dauer kaum akzeptieren, wenn Männer in Lederfetisch Kindern in Kitas von ihrer Sexualität erzählen wollen. Eine Gesellschaft, in der die Mehrheit der heute 20-Jährigen das Sagen hat, wird keine Regenbogen-Gesellschaft sein.

Statt sich das einzugestehen, üben sich Linke wie die Taz in Romantisierung. Etwa wenn ens gleiche Autor*in versucht, sich in das Denken der Aufständigen zu versetzen: „Und unser Blut begann zu kochen, die Wut, etwas Wildes stieg in uns auf. Wir sind Kinder, und wir rasteten aus. Wir wollten alles kaputtmachen, also los. Banken, Versicherungen, Präfekturen, Polizeiwachen, alle Autoritätsgebäude. Aber auch Rathäuser, Mediatheken, Kulturhäuser, die Autos der Nachbarn, die Lebensmitteltafeln.“ Sprachlicher Dung. Entscheidend ist die eine Vorstellung, die linke Autoren von migrantischen Aufständigen haben: „Wir sind Kinder.“

Durch Auswanderung, wie manche Rechte meinen, werden sich Probleme nicht lösen lassen. In Deutschland nicht und erst recht nicht in Frankreich. Dafür ist die Einwanderungsgeschichte zu weit fortgeschritten und dafür brauchen beide Länder tatsächlich zu viele Arbeitskräfte. Längst nicht nur in der Pflege. Aber erst recht lassen sich Probleme nicht lösen, indem man Vorgeschichten aus Migration und Kolonialismus zum Freifahrtschein macht, zu jedem Anlass auszurasten. Sei es der tragische Tod eines 17-Jährigen. Oder ein gewonnenes Fußballspiel bei einer WM.

Frankreich wie auch Deutschland muss sich auf das besinnen, warum es zu einer Nation geworden ist, in die Einwanderung wünschenswert ist. Sonst wären die Aufständigen ja nicht hier. Und diese Qualitäten sind Rechtsstaatlichkeit und Demokratie. Dazu gehört für den Einzelnen, selbst zu versuchen, den Lebensunterhalt zu verdienen, mit Fleiß und Anstand statt mit Kriminalität – und sich an die Regeln des friedlichen Zusammenlebens zu halten, auch und gerade dann, wenn einem was quer im Hals steckt.

Ich gehe mit der Geschichte meines Vaters nicht hausieren. Es gibt Menschen, die mich seit Jahrzehnten kennen, ohne von mir je diese Geschichte gehört zu haben. Doch ich war selbst schon mit Polizisten im Einsatz, kenne diese Frage, die uns in der Nacht gemeinsam durch den Kopf gegangen ist: Was, wenn die da auf dich schießen? Deswegen stelle ich mich vor Polizisten, die vorschnell und empathielos für Fehler im Dienst angegriffen werden. Gerade ich, dessen Biografie massiv durch einen solchen Fehler beeinflusst worden ist. Ich werde das tun, wenn es um Frankreich geht oder um Deutschland. Immer.

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