Der Union wurde am Sonntag von den Wählern das schlechteste Ergebnis seit 1949 verpasst. Diese Partei, die so unfehlbar schien mit ihrem Trumpf namens Angela Merkel, die – egal wie sich der Wähler auch entscheiden würde – in jeder Konstellation an der Spitze einer neuen Bundesregierung stehen würde; sie ist doch fehlbar. Die Union wurde von ihren Wählern nicht nur abgestraft, wie man oberflächlich attestieren könnte. Nein, sie wurde von den Wählern vor den Scherbenhaufen ihrer Politik der vergangenen Jahre geführt. An einen Punkt, an dem man der einst so starken Volkspartei sagen möchte: Das, was ihr macht, ist nicht mehr das, was die Mehrheit will!
Und doch kommt an diesem Abend an vorderster Front, nachdem eine neue deutsche Rechte mit 12,6% der Wählerstimmen in den Bundestag einziehen kann, nur die befriedigte Feststellung, dass damit immerhin rund 87% der Wähler nicht in die rechte Ecke gehören würden und vernünftig geblieben seien.
Dann der Hammer am Tag danach:
„Ich kann nicht erkennen, was wir jetzt anders machen müssten.“
Wie bitte? Man gibt und versteht sich als Volkspartei, verliert bei der Wahl zum 19. Deutschen Bundestag knapp 10% der Wählerstimmen und dann ist man zufrieden? Man verliert als Partei der Mitte über eine Million Wähler an die AfD und kann nicht erkennen, dass etwas falsch gelaufen ist? Wo ist die von vielen lang ersehnte Ernüchterung, der so oft geforderte Richtungswechsel mit einem klar geschärften konservativen Profil, wo der Hauch einer Enttäuschung, große Teile der Kernklientel eingebüßt zu haben?
All dies kann man nur vermissen. Der von den Protestwählern intendierte Dämpfer gerade an die Kanzlerin – von ihr rigoros abgeschmettert und weggelächelt. Einfalt oder gar Dumm-Dreistigkeit? Nein. Eine Angela Merkel ist nicht dumm oder realitätsentfremdet in ihrer Wahrnehmung, eine Angela Merkel ist nicht ignorant oder traumtänzerisch. Angela Merkel ist Frontfrau der deutschen Demokratie, der Bundesregierung und der CDU. Das, was sie feiert, ist, dass sie ihr erklärtes Ziel erreicht hat: stärkste Kraft zu sein und ihr Frontfrauen-Image zu verteidigen.
[inner_post2] Was ist daran so problematisch? Dass eine Partei ein Kollektiv ist, ein Organismus, der von seinen Organen lebt und der immer nur so gut und so erfolgreich sein kann, wie die Personen, die diesen Erfolg gemeinsam erarbeiten. Die Kanzlerin hat sich aber, was ihren Erfolg und die Bewertung dessen, was erfolgreich ist, schon lange von ihrer Partei abgekoppelt. Sie verfolgt reine Individualinteressen, die man nüchtern und direkt allein mit einem Schlagwort bezeichnen kann: Machterhalt. Egal, was für ein politisches Thema auf der Agenda hochploppt, egal ob es sich um ein genuin unionspolitisches Thema handelt oder um eines aus dem übrigen politischen Spektrum – Hauptsache die Entscheidung liegt bei ihr. Selbst, wenn man dafür so einige Grundaussagen aus der Vergangnheit relativieren muss, selbst wenn man trotz der gebotenen Eilbedürftigkeit im Handeln erst einmal zögert und abwartet wie die Würfel fallen – Hauptsache die Entscheidung liegt bei Merkel.
Verantwortung übernehmen für ein Wahl-Desaster? Auf die Frage nach einer derartigen Haltung kann man von Merkel nur einen ungläubigen Blick und eine kühle Abfuhr erhalten.
„Wenn ich nun auch dafür verantwortlich bin, dann – in Gottes Namen. Ich übernehme die Verantwortung.“ Weiter im Text, war da was? Ja Frau Merkel! Aber weiter im Text.
Andere Töne werden bei der kleinen Schwester angeschlagen: „Wir haben verstanden“ und „Ein Weiter-So kann es nicht geben“. Das klingt auf den ersten Blick tatsächlich einmal nach einer Rarität in der politischen Landschaft, nach einer Tugend, die auf dem Spielfeld um die Macht eigentlich als verlorengegangen und unvorteilhaft galt: nämlich Demut. Gerade in diesen Tagen, an denen die Hauptverlierer und Hauptverantwortlichen für gerade diese Verluste nicht im Ansatz daran denken, persönliche Konsequenzen zu ziehen, kommt aus Bayern ein Funke davon, was man bei CDU und SPD so gern gesehen hätte.
Nicht nur die CSU im Ganzen ist rechts flankiert worden. Auch ein Horst Seehofer wurde schwer getroffen. Die Kritik ließ nicht einmal eine Minute nach Bekanntwerden der Wahlergebnisse auf sich warten und kam von keinem geringeren als Erwin Huber, den Seehofer seinerzeit unschön aus dem Amt geputscht und sich selbst als Ministerpräsident und Parteivorsitzenden installiert hat. Ironie des Schicksals, Karma oder einfach nur Pech für Seehofer? Ein bisschen von allem vielleicht. Was nun seine Glaubwürdigkeit im Wahlkampf angeht, so konnte man gut und gerne zweifeln. Aber die Verzweiflung des CSU-Vorsitzenden an diesem Abend – sie war echt und für jeden erkennbar.
Das Spannende an diesem doch so unschön für die Union und insbesondere die CSU endenden Abend, an dem man in Bayern die mitunter größte AfD-Hochburg in Westdeutschland verzeichnen konnte: Wie würde es morgen weitergehen?
Interessanterweise kam sowohl am Wahlabend selbst als auch am Folgetag zunächst vor, dann auch nach der Sitzung des CSU-Parteivorstandes, ob im Interview oder in den sozialen Netzwerken, ob von Horst Seehofer oder von anderen Vertretern der CSU eine Grundaussage – „Wir haben verstanden. Ein Weiter-So kann es nicht geben.“
Aber hat man wirklich verstanden? Was genau hat man verstanden? Es ist gewiss leicht, zu pauschalisieren, aber wäre es nicht sinnvoll, dem Wähler, den man doch zurückgewinnen will, mitzuteilen, was man tatsächlich verstanden zu haben glaubt? Nur, um dieses Mal keine Missverständnisse zu riskieren.
Die Konkretisierung dessen, was man meint, zu verstehen, liegt offenbar in der Aussage, ein „Weiter-So“ könne es nicht geben. Das ist mit Sicherheit richtig, aber wie soll es denn nun weitergehen, also konkret? Einen ersten Vorschlag unterbreitete – natürlich gleichermaßen schwammig – der bislang ewige Prinz Charles der bayerischen Politik.
Ist es nicht sogar so, dass unsere führenden Politiker in sämtlichen sozialen Medien vertreten sind, am alltäglichen Teilen von Inhalten mit der Community teilnehmen und sich von den Likern für ihre Beiträge loben lassen? Ein Blick in die einschlägigen Foren genügt. Dabei gibt es allerdings nicht nur lobende Stimmen. Und aus diesem Grund müssen sich unsere Politiker dann auch zu Recht anhören, dass sie doch jetzt bitte nicht so tun sollten, als wäre die Musik am Sonntag neu aufgelegt worden. Die Menschen geben Feedback, die Bürger kommentieren die Beiträge – aber am Ende gehen diese Stimmen in der Masse unter.
Was man stattdessen als Verteidigung der Eliten immer wieder gerne hört, ist, dass sich eine tiefe Spaltung im Land eingestellt hat, die nur äußerst schwierig zu bedienen ist. Man kann es eben nicht jedem recht machen. Aber scheinbar macht man es am liebsten denen recht, die die persönlichen Linien gut finden – und die anderen blendet man aus. Das sind eben die Modernisierungsverlierer, die nicht mit dem Trend der Zeit gehen wollen.
Fest steht: Unser Land ist gespalten. Gerade und erschreckenderweise immer noch in einer ost-west-artigen Weise. Aber in einer parlamentarischen Demokratie gibt es ohnehin keine homogene Gesellschaft. Es kann allenfalls eine pluralistische geben, die sich in der politischen Debatte kontrovers mit ihren Meinungen auseinandersetzt, die kritisch ihre Argumente austauscht. Was aktuell diejenigen meinen, die von einem gespaltenen Deutschland sprechen, läuft im Großen und Ganzen am Ende auf die AfD hinaus. Gerade das ist es aber, was Viele und vor allem die Enttäuschten, die tatsächlich bei der AfD ein Kreuz gemacht haben, nicht mehr hören wollen. Dass am Ende immer nur eine Erklärung steht, die irgendetwas mit der AfD zu tun hat.
Bei einem ohnehin schon so großen Verlust der Glaubwürdigkeit wäre es jetzt mehr denn je angezeigt gewesen, echte politische Konsequenzen zu ziehen, die einem „Wir haben verstanden“ eine Bedeutung einhauchen würden. Stattdessen wird nach dem „Ein Weiter-So kann es nicht geben“ die Fortsetzung der Fraktionsgemeinschaft von CDU und CSU besiegelt und trotz der Forderung nach einer Kurskorrektur erst einmal volle Kraft voraus der alte Kurs gehalten, den die Kanzlerin in einem noch rauer werdenden Wind umso zielstrebiger vorantreibt.
Mit Blick auf die CSU ist das wie der Schwarzfahrer in der U-Bahn mit einem Shirt-Aufdruck „Ich zahle nicht“. Leider haben die Christsozialen wie auch all die anderen eines nicht begriffen: Der Wähler will nicht mehr nur hohle Worthülsen und großklingende, aber bedeutungsleere Phrasen. Der Wähler leidet nicht unter Begriffstutzigkeit.
Während die Politik die ihr wohlklingenden Aphorismen gern wiederholt, bis sie auch der letzte Deutsche auswendig und man sich an ihrer Wiederholung nur noch erbrechen kann, wiederholt der Wähler seine Äußerungen meistens nicht. Man wäre also gut beraten, sofort zuzuhören und nicht erst, wenn man eine Wahl verloren hat. Sonst drohen bei der nächsten Wahl noch herbere Verluste für die, die sie nicht brauchen und Gewinne für die, die sie nicht verdienen. Und eine solche Wahl kann schneller kommen, als man denkt.