Tichys Einblick
Gewissenlose Umverteilung

Auf Kosten unserer Kinder: Der unvermeidliche Bankrott des Sozialsystems

Die Pflegeversicherung ist pleite. Und nicht nur sie. Das gesamte Sozialsystem treibt auf den Kollaps zu. Die Politik bietet keine Lösungen, sondern verschiebt das bittere Ende lediglich. Leidtragende werden unsere Kinder sein, die sich gegen die ungerechte Umverteilung nicht wehren können. Von Konrad Adam

Hubertus Heil (l-r, SPD), Bundesminister für Arbeit und Soziales, Karl Lauterbach (SPD), Bundesminister für Gesundheit, Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD), Alexander Dobrindt, CSU-Landesgruppenchef, Nancy Faeser (SPD), Bundesministerin für Inneres und Heimat, und Thorsten Frei, Erster Parlamentarischer Geschäftsführer der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, stehen zu Beginn der Feierstunde zum 75. Jahrestag der konstituierenden Sitzung des Bundestages zusammen.

picture alliance/dpa | Kay Nietfeld

„Die Rechtsfähigkeit des Menschen beginnt mit der Vollendung der Geburt“. So lautet der erste Paragraph des Bürgerlichen Gesetzbuches, seit mehr als hundert Jahren schon. Gestimmt hat er noch nie; und niemals weniger als heute. Kinder mögen im Besitz aller möglichen Rechte sein, das wichtigste von allen, das Wahlrecht, fehlt ihnen – ein Mangel, der von den Mächtigen dazu missbraucht wird, den Kindern Lasten aufzubürden, von denen sie nichts ahnen. Und deren ganzen Umfang sie erst dann begreifen, wenn es zu spät ist.

Kinder sind ideale Schuldner. Sie können sich ja nicht dagegen wehren, von den Sozialpolitikern über den Tisch gezogen, belogen und betrogen zu werden. Wie man das anstellt, hat Norbert Blüm vorgemacht, als er die Solidarität, die Kardinaltugend der Sozialstaatsbürger, auf die Formel verkürzte: Jung sorgt für Alt. Funktionieren kann das natürlich nur so lange, wie Alt zuvor für Jung gesorgt hat. Nur wenn Leistung und Gegenleistung aufs Ganze gerechnet ungefähr zum Ausgleich kommen, ist ein System gerecht. Und nur, wenn es gerecht ist, kann es halten. Für diesen Ausgleich sorgte früher die Familie; doch von der wollen unsere fortschrittlichen Sozialpolitiker nichts mehr wissen. Die Familie ist ihnen verdächtig, und sie lassen sich manches einfallen, um sie zu ruinieren.

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Alle Zweige der staatlich organisierten Wohlfahrtsindustrie verteilen um; und alle in dieselbe Richtung, von Jung zu Alt. In der Rentenversicherung ist das offensichtlich, sie steckt den Älteren mit der einen Hand das zu, was sie den Jüngeren mit der anderen abgenommen hatte. Die gesetzliche Krankenversicherung arbeitet aber nach demselben Prinzip, denn junge Leute sind nun einmal bessere Risiken als alte; das letzte halbe Lebensjahr kommt die Versicherung genauso teuer zu stehen wie die gesamte Lebenszeit zuvor. Für die Pflegeversicherung, das dritte Kartenhaus der deutschen Wohlfahrtspolitik, gilt alles das erst recht.

Ihre Betreiber wollen immer weniger junge Leute dazu verpflichten, immer mehr Alte, die den Witz des Systems begriffen und auf Kinder verzichtet haben, auskömmlich zu versorgen. Ernten, ohne gesät zu haben, das ist die Quintessenz des umverteilenden Sozialstaats deutscher Machart. Diese Rechnung kann aber nicht aufgehen, sie geht ja auch nicht auf. Kamen vor ein paar Jahre noch sechs Leistungserbringer auf einen Leistungsempfänger, sind es inzwischen nur noch drei bis vier, und das Verhältnis verschlechtert sich von Jahr zu Jahr. Die Pflegeversicherung, gedacht als Schlusstein im Gewölbe der sozial genannten Sicherheitsarchitektur, ist nur der erste Stein, der aus der Decke fällt, weitere werden folgen. Renten- und Krankenversicherung arbeiten ja nach demselben Grundsatz, der Umverteilung von Jung zu Alt. Wer das zulässt, kann noch so viel reformieren, er wird von einer Kalamität in die nächste schlittern. Er kann den Ruin verschieben, vermeiden lässt er sich auf Dauer nicht.

„Wer sozial sagt, will betrügen“ hat ein kluger Mann einmal bemerkt. Wer das für übertrieben hält, sollte den Fall der Rosa Rees, einer von vielen, sonst meist namenlosen Trümmerfrauen, mit dem der Patricia Schlesinger vergleichen, der wegen Untreue geschassten Rundfunkintendantin aus Berlin. Frau Rees hatte neun Kinder großgezogen und ihre Sache offenbar gut gemacht, denn diese Kindern zahlten Monat für Monat fast neuntausend Mark in die Rentenkassen ein. Von diesem Reichtum bekam seine Urheberin, die Mutter, gerade einmal 350 Mark im Monat ab, ein Fünfundzwanzigstel des Ganzen. Norbert Blüm fand das gerecht, sozial gerecht. Sie auch?

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Und nun Frau Schlesinger. Sie hatte allerlei sittenwidrige Verträge, Absprachen, Kungeleien und Machenschaften gebilligt oder durchgehen lassen und dabei auch sich selber nicht vergessen. Ihre Amtszeit endete in einer Bereicherungsorgie, die selbst die Maßstäbe der überaus großzügig kalkulierenden Rundfunkintendanten sprengte. Nachdem sie fristlos entlassen worden war, zog sie vor Gericht, um ein Ruhegehalt von gut 20.000 Euro monatlich einzuklagen, das Zwölf- bis Fünfzehnfache der so genannten Eckrente. Ist das gerecht, könnte man Hubertus Heil, einen von Norbert Blüms Spätnachfolgern, fragen.

Ein derart unsolides System solide zu finanzieren, ist unmöglich. Deswegen treibt die staatlich arrangierte Versicherungsindustrie immer wieder auf den Bankrott zu. Die Grünen versuchen ihn mit Geschwätz, die SPD mit dem Gemunkel vom Generationenkapital, die FDP mit einem Aktienfonds für Kinder zu vermeiden. Glaubwürdig ist nichts davon, denn der Staat ist blank. Wollte er Ernst machen mit seinem Larifari, müsste er ein Darlehen aufnehmen oder ein weiteres Sondervermögen bilden – das neue, schicke Wort für Schulden. Geändert hätte sich damit nichts, denn für die Schulden haften ja die Kinder – sofern sie dazu denn noch in der Lage sind. „Schone die Gegenwart und belaste die Zukunft“ heißt die Devise, der alle unserer Sozialpolitiker nachjagen.

Vor Jahren hatte Olaf Scholz der SPD geraten, die Lufthoheit über den Kinderbetten zu erobern. Er und seine Partei betrachten Kinder als Sachen, als Generationenkapital, das allen gehört, auch Kinderlosen wie ihm selbst. Das Eigene – die eigenen Eltern, die eigenen Kinder, die eigenen Geschwister, die eigene Familie – das Eigene ist ihm verdächtig. Auch dieses Eigentum soll gesellschaftlich dienstbar gemacht, in Gemeingut überführt, kollektiviert werden. Wenn es so weit ist, werden die Kinder nicht mehr ihren Eltern, sondern allen gehören. Deutschland wäre dann ganz weit vorn. Es wäre das erste Land, in dem es sich lohnt, auf Kinder zu verzichten.


Dr. Konrad Adam ist Journalist, Publizist und ehemaliger Politiker der AfD. Er war Feuilletonredakteur der Frankfurter Allgemeinen Zeitung und Chefkorrespondent und Kolumnist der Tageszeitung Die Welt in Berlin.

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