Tichys Einblick
Der Fall Guérot

Linke zerfleischen sich nun gegenseitig

Ulrike Guérot gilt Linken als neues Feindbild. Jüngster Anlass war ein Auftritt bei Markus Lanz – doch der Hass reicht bis in die Pandemie zurück.

Ulrike Guérot am 2. Juni 2022 bei Markus Lanz

IMAGO / teutopress

Markus Lanz ist nicht gerade subtil. Findet er eine Meinung gut, pampert er den Gast, der sie vertritt, wie eine frischgebackene Oma ihren erstgeborenen Enkel. Bezieht ein Gast eine andere Meinung als seine, pöbelt Lanz wie ein Radfahrer auf dem Fußweg. Und fällt dem Gast schneller ins Wort als ein Felsbrocken in ein lawinengefährdetes Tal.

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Lanz jüngstes Opfer ist am Donnerstag Ulrike Guérot geworden. Es ging um die Ukraine. Zu diesem Thema gibt es mehrere Meinungen: Man kann sich für Waffenlieferungen aussprechen. Man kann Waffenlieferungen verhindern wollen. Kanzler Olaf Scholz (SPD) tut sogar beides. Was Guérot bei Lanz genau gesagt hat, ist schwer aufzudröseln. Vieles ging im Geschrei der anderen unter: „Die Frage ist, ob unsere Annahme …“ So weit kommt die Bonner Politikwissenschaftlerin. Dann fällt ihr Marie-Agnes Strack-Zimmermann ins Wort: „Wir haben überhaupt nichts anzunehmen!“ Strack-Zimmermann gilt als die militärische Expertin der FDP – vor allem im Bereich Kasernenhofton scheint sie fit zu sein.

Guérot spricht sich für die Kombination „Waffenstillstand und Verhandlungen“ aus. „Der Schlüssel zu diesem Krieg ist in Amerika“, sagt die Bonner Politikwissenschaftlerin. Deshalb müsse man den amerikanischen Präsidenten Joe Biden an einen Tisch mit dem russischen Präsidenten Wladimir Putin bringen. Dass dann über die Köpfe der Ukrainer hinweg gesprochen würde und die Ukrainer zu einem Kompromiss gezwungen würden, den sie in der Form nicht wollten, nimmt Guérot in Kauf.

Es ist eine Meinung. Was denn dagegen spreche, wenn zwei der mächtigsten Männer über den Frieden verhandeln würden, ließe sich nachfragen. Aber auch: Ob man mit der Ukraine wirklich so umspringen wolle, wie es Frankreich und Großbritannien 1938 mit der Tschechoslowakei getan haben? Zumal die Folgen gut dokumentiert sind. Doch was auf Guérots Auftritt folgt, ist ein Shitstorm sondergleichen: Der Journalist Markus Decker wirft ihr vor, „es mit Wahrheit und Moral nicht so genau nehmen“.

Der „Gesundheitsökonom“ Boris N. Moellers greift zur Küchenpsychologie und attestiert ihr „Narzissmus“.

Der „Stadtaffe“ nennt sie eine „fürchterliche Person“.

Es dauert auch nicht lange, bis aus der Beschimpfung die Aufforderung wird, Guérot in ihrer wirtschaftlichen Existenz zu vernichten.

So fordert der Account „BlakesWort“ dazu auf, darüber nachzudenken, „ab wann jemandem aufgrund fehlender fachlicher Eignung eine Professur entzogen werden sollte“. Den Account haben rund 17.500 andere Accounts abonniert. Andere verlinken Beiträge zu Guérot mit dem Account ihres Arbeitgebers. Um so die existenzielle Vernichtung durchzusetzen. Tobias Lange stellt die Frage ganz offen: „Wann wirf die Uni Bonn Ulrike #Guerot raus?“

Er ist laut Selbstauskunft „Datenschützer“.

Das ist eine Auswahl zitierfähiger Äußerungen. Andere sind deutlich derber. Wobei sich aus der Kombination Tweet und Verfasser Zusammenhänge erkennen lassen: Je linker der Account, desto zügelloser die Wortwahl. Und je linker der Account, desto totaler der existenzielle Vernichtungswelle. Es ist die woke Linke, für die Guérot ein Feindbild ist. Das erstaunt. Denn ursprünglich kommt sie als Pan-Europäerin aus eben dieser Linken. Der Wille, andere Meinungen nicht nur zu bekämpfen, sondern gesellschaftlich unmöglich zu machen, greift nun auch im eigenen Lager um sich. Aus der „rechten Ecke“ wird allmählich eine Strafkolonie.

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Vor der Pandemie stand Guérot noch für den inhaltlichen Marsch der Merkel-CDU nach links. Vor allem in der Geopolitik: Sie ist eine Befürworterin der Nord-Stream-Pipeline, sieht die Nato als Hindernis im deutsch-russischen und europäisch-russischen Verhältnis an. Sie fordert von Deutschland eine Sicherheitsgarantie für Osteuropa, damit es deren Ländern leichter falle, Russland zu vertrauen. Ohnehin ist sie Europa-Optimistin: 2013 veröffentlicht sie mit Robert Menasse ein Manifest zur „Gründung einer Europäischen Republik“. Solche Gedanken mögen 2022 befremden. Doch bis 2021 waren sie im deutschsprachigen Raum durchaus Mainstream: Guérot erhält Professuren in Krems und Bonn, sie doziert in beiden Frankfurts und in Hamburg, der NDR wählt ihr „Der neue Bürgerkrieg. Das offene Europa und seine Feinde“ zum „Sachbuch des Monats“, und die Deutsche Bank lässt sie in einem Video das Ende der europäischen Nationalstaaten fordern.

Als Kritikerin der Nato und als Verfechterin eines Endes der europäischen Nationalstaaten war sie ein Liebling linker Medien. So überlebte sie auch einen Skandal, der in der Welt der Wissenschaft durchaus bedeutend sein müsste: Der Aufruf für eine „Europäische Politik“ enthält Zitate, die nachweislich erfunden sind. Guérot gibt die Schuld dafür Menasse. Und kommt damit durch. Die Medien lassen bald Gras drüber wachsen und ihre Professuren erhält sie trotzdem. Gegenüber Linken sind Linke großzügig.

Doch schon einen Tag nach dem Auftritt bei Lanz mäht die FAZ das Gras, hält den Zitatfehler jetzt für gravierend und sieht die Schuld daran nicht bei Menasse: Unter der Schlagzeile „Wie Ulrike Guérot die Wirklichkeit verdreht“ bläst das auf linksgedrehte, einstige Flaggschiff der Konservativen zur Attacke auf die Wissenschaftlerin. In der Wortwahl gesetzter als die Aktivisten auf Twitter – im existenziellen Vernichtungswillen durchaus vergleichbar.

Die Wurzel für den Bruch zwischen Guérot und der publizistischen Linke reicht bis in die Pandemie zurück. Die Wissenschaftlerin war 2021 eine der ersten, die es wagte, die Schweigespirale zu brechen und zu fragen, ob die Corona-Politik der Bundesregierung wirklich mehr helfe als schade. Die Politik hat zu einem massiven Anstieg psychischer Erkrankungen bei Jugendlichen geführt. Das sagt die DAK, das belegt die DAK mit Zahlen. Ob die Maßnahmen geholfen haben, soll Gesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) bis zum Ende des Monats bewiesen haben. Bisher sagt er, es sei nicht möglich, das Datum zu halten.

Nachdem Russland die Ukraine überfallen hat, nahm die ARD eine Dokumentation über die Kanzlerin aus dem Programm. Diese war zu unkritisch mit Merkels Politik umgegangen. Das passiert. Journalisten sind Menschen und Menschen können sich irren. Doch in der Welt der Linken kommt der Irrtum nur als etwas vor, was es bei anderen gibt. Sie sehen eine andere Meinung nicht als mögliche andere Wahrheit an, sondern bestenfalls als falsch. Schnell auch als Lüge, etwas Bösartiges, das nicht toleriert werden darf, sondern bekämpft werden muss. Auch und vor allem, wenn es aus den eigenen Reihen kommt. Und so wächst die „rechte Ecke“, in die Linke ihre Gegner drängen, sich weiter zur „Strafkolonie“ aus – in der es immer voller wird.


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