Ein Attentäter erschoss an einer Grundschule in Uvalde im US-Bundesstaat Texas 21 Menschen, darunter 19 Kinder. Das bestätigte ein Mitarbeiter der Behörde für Öffentliche Sicherheit gegenüber CNN. Ein örtliches Krankenhaus bestätigte auf Twitter, dass sich vier weitere Menschen in Behandlung befinden, darunter eine Zehnjährige und eine 66-Jährige in kritischem Zustand. Letztere soll Medienberichten zufolge die Großmutter des Schützen sein. Der Gewaltakt hat in den USA erneut – wie schon bei vergleichbaren Verbrechen zuvor – zu Forderungen nach einer Verschärfung des Waffenrechts geführt.
In Deutschland ist vor wenigen Tagen eine Gewalttat an einer Schule vergleichsweise glimpflich ausgegangen. Die Ereignisse dort zeigen auch, wie potenzielle Opfer in einer solchen Lage gefährdet sind. Im Bremerhavener Lloyd-Gymnasium soll am 19. Mai 2022 gegen 9:15 Uhr ein Mann mit einer Schreckschusswaffe und einer Armbrust eingedrungen sein. Dabei hätte er eine Angestellte der Schule verletzt.
Die 200 anwesenden Schüler und Lehrkräfte haben sich vier Stunden verbarrikadiert. Ein im Internet kursierendes Video soll die Festnahme des mutmaßlichen Täters zeigen. Es soll sich um einen Einzeltäter gehandelt haben. Die Polizei konnte zum Zeitpunkt der Beitragserstellung noch keine Aussagen zum Tatverdächtigen und dessen Motiv treffen. „Es gebe Hinweise darauf, dass der 21-jährige Tatverdächtige psychische Probleme habe, sagte Oberstaatsanwalt Oliver Constien am darauffolgenden Tag. ‚Diesen Hinweisen gehen wir nach.‘ Der Tatverdächtige selbst mache von seinem Schweigerecht Gebrauch.“
Die Frage nach der „psychischen Gesundheit“ ist jedoch für mich müßig und nicht ausschlaggebend. Auch psychisch erkrankte und gestörte Täter, können zum Tatzeitpunkt voll schuldfähig sein, das käme ganz auf den Einzelfall an. Eine der üblichen öffentlichkeitswirksamen Nebelbomben nach so einer Tat, die je nach Nationalität des Täters geworfen werden. Ob es sich zum Beispiel um einen Amoklauf oder Terroranschlag gehandelt hat, muss deshalb vorerst offen bleiben.
Bei dem nachfolgenden Beitrag handelt es sich um einen Teilauszug aus dem Kapitel „Amok“. Erschienen im Buch „Ratgeber Gefahrenabwehr: So schützen Sie sich vor Kriminalität – Ein Polizeitrainer klärt auf“.
Nun wird es konkret
Als erstes sollten Sie wissen, dass ein durchschnittlicher Amoklauf meist nach nur wenigen Minuten beendet ist. Es bleibt also zu wenig Zeit dafür, dass die Polizei eintreffen, die Lage erfassen und den Täter am Töten hindern könnte. Die Polizei ist heutzutage für das Eingreifen bei Amoktaten gut trainiert und vorbereitet. Die erste Funkstreifenwagenbesatzung, die vor Ort eintrifft, muss den Täter unschädlich machen und/oder festsetzen. Spezialeinheiten werden ebenfalls alarmiert, jedoch sind diese örtlich meistens sehr viel weiter vom Tatort entfernt als die zuständige Polizeidienststelle, in deren Nähe sich das Drama abspielt. Das heißt für Sie nichts anderes als: Retten Sie Ihr Leben. Entfernen Sie sich von der Richtung, aus der die Schüsse kommen. Knallgeräusche sind in Räumen mitunter für Laien nur schwer zu orten und trügerisch, wenn man zum ersten Mal im Leben den Schuss einer Pistole oder eines Gewehrs hört. Ganz sicher können Sie sich sein, wenn Sie bereits ein Mündungsfeuer sehen, dass nach der Abgabe eines Schusses am Mündungsaustritt einer Waffe zu sehen ist. Dann laufen Sie schnell und geduckt aus dem unmittelbaren Umkreis des Schützen davon. Sie kennen sich in dem Gebäude aus? Dann suchen Sie den Ausgang auf. Das Gebäude ist Ihnen fremd? Im Idealfall schauen Sie sich prinzipiell an neuen Orten nach Fluchtmöglichkeiten um – bereits bevor eine Notsituation eintritt. Es könnte auch plötzlich ein Feuer ausbrechen oder eine Massenpanik entstehen. Schwere Gegenstände, die Sie bei sich tragen, lassen Sie zurück. Sie bewegen sich bei einer Amoktat schnell und geduckt von einer Deckung zur nächsten. Sind Sie am Ausgang des Gebäudes angelangt, denken Sie daran: Der Täter kann an einem Fenster stehen und von dort auf Flüchtende schießen. Laufen Sie nicht einfach drauf los! Schauen Sie sich nach einer Deckung um. Rennen Sie über eine ungedeckte Fläche, rennen Sie im Zickzack, so sind Sie schwerer zu treffen. Wenn Ihnen andere Menschen entgegenkommen, so warnen Sie diese! Nehmen Sie eintreffende Sicherheitskräfte wahr, zeigen Sie unbedingt die Innenflächen ihrer Hände, um Verwechslungen zu vermeiden. Sind Sie aus der Gefahrenzone, rufen Sie sofort den Notruf 110. Nennen Sie Ihren Namen, den Tatort, was passiert ist bzw. was Sie wahrgenommen haben und, wenn möglich, wie der Täter gekleidet ist.
Verhalten von Schulklassen
Bei einer Amoktat in der Schule sollten Schulklassen die Tür des Klassenzimmers von innen sofort verschließen und verbarrikadieren (Schrank, Tische, Lehrertisch davorstellen). Die Tür darf auf keinen Fall geöffnet werden, egal wer Einlass begehrt. Die Fenster sollte gemieden, Handys auf stumm gestellt werden, um nicht durch ein Klingeln im Zimmer aufzufallen. Amoktäter töten jeden, den sie schnell erledigen können. Deshalb werden sie sich in der Regel nicht die Mühe machen, Zimmer aufzubrechen – es sei denn, bestimmte Personen werden zielgerichtet gesucht. Gelingt es einem Täter trotzdem, das Zimmer zu betreten, dann muss der Lehrer das Kommando geben: Alle auf den Täter! Es klingt im ersten Moment brutal und das ist es auch, aber lieber zwei Schwerverletzte als 15 tote Schüler, die daliegen und sich wehrlos und passiv erschießen lassen! Schüler, die es nicht schaffen, in den Klassenraum zurück zu kommen, müssen sich entweder im Schulgebäude verstecken oder besser von einem Versteck zum anderen Richtung Ausgang bewegen. So hart es klingt, Verletzte sind liegen zu lassen. Niemand hat etwas davon, wenn man diesen helfen will, aber dabei für den Täter ein leichtes Ziel abgibt.
Rennt man der eintreffenden Polizei in die Arme, dann hat es diese innerhalb von Sekunden schwer, Opfer und Täter auf Anhieb zu unterscheiden. Deshalb: Offene Hände zeigen! Muss man an einem Versteck ausharren, weil der Fluchtweg abgeschnitten ist: Es gibt Sichtdeckungen, beispielsweise eine Tür, einen Vorhang, Kleiderständer, Sträucher im Freien. Dies sind allerdings keine schusssicheren Deckungen! Durch diverse Fernsehfilme hat sich bei vielen eingeprägt, dass vier Zentimeter Holzdicke oder eine Autotür vor einem Projektil schützen. Das ist nicht der Fall! Ein Sturmgewehr AK47 durchsiebt Mauern aus Ziegelsteinen. Eine Pistole, selbst Schrotmunition aus einer Pumpgun, durchschlägt problemlos eine Autotür. Um sich vor Schüssen zu schützen, helfen nur massive Gegenstände. Das könnte eine massive Mauer, ein dicker Baumstamm oder der Schutz eines Treppenaufgangs sein. Bei der Flucht durch Gänge sollten die Wände gemieden werden. Die Gefahr, von Abprallern durch die Projektile getroffen zu werden, ist dort besonders hoch. Mit Gleichem muss in sehr unübersichtlichen Räumlichkeiten gerechnet werden. Dann gilt: So gut es geht körperlich klein machen und von Deckung zu Deckung flüchten. Es ist dunkel, das Terrain unbekannt? Halb geduckt, mit einer Hand vor dem Gesicht, die Füße abrollend und mit kleinen, schnellen Schritten bewegt man sich am unauffälligsten. Die Beleuchtung des Handys sollte nicht genutzt werden, das Licht könnte einen leicht verraten.
Plötzlich steht der Täter vor Ihnen
Sie begegnen trotz aller Vorsichtsmaßnahmen dem Täter? Bewegen Sie sich auf keinen Fall auf die Knie und bitten um Gnade! Solche Täter wollen ihre Macht ausleben. Der Täter wird Sie töten, weil Sie ihm noch zusätzlich ein Gefühl dieser Macht vermitteln. Besser ist es, im Zickzack wegzurennen oder zu kämpfen. Benutzen Sie Ihren Schlüssel als Schlagwerkzeug zwischen den Fingern der Faust. Frauen oder Mädchen können ein Spray, welches gerade zur Verfügung steht, ins Gesicht des Täters sprühen. Ebenso können Sie Ihre Fingernägel in die Augen des Täters versenken oder mit Schuhen zuschlagen. Nutzen Sie Ihren Laptop als Schutzschild, wenn der Täter schießt. Es wird die Wirkung der Projektile ablenken oder abschwächen. Sie können damit auch zuschlagen, als Ziel besonders geeignet ist der Hals oder die Nase. Auch ein Feuerlöscher eignet sich sehr gut als Schutzschild. Halten Sie ihn vor Ihre lebenswichtigen Organe, wenn der Täter auf Sie zukommt. Notfalls können Sie den Täter mit dem Feuerlöschschaum bzw. -pulver einsprühen oder den Feuerlöscher als Waffe zum Zuschlagen nutzen.
Wenn der Täter auf Sie schießt, kämpfen Sie solange, wie Sie können. Es gibt Menschen, die nach sechs Treffern durch eine Schusswaffe noch weiterkämpfen konnten. Trifft der Täter nur die Muskulatur, haben Sie gute Chancen, den Kampf trotzdem zu gewinnen. Der Schmerz kann erst viel später einsetzen. Auf keinen Fall machen Sie, was der Täter sagt. Er würde Sie trotzdem – besser gesagt: gerade deshalb – erschießen. Die meisten Amoktäter töten sich selbst oder werden durch die eintreffende Polizei getötet. Schulklassen und Lehrer müssen das Amoktraining von Zeit zu Zeit wiederholen. Außerdem ist eine konstruktive Auswertung notwendig. Wichtig ist es, hervorzuheben, was zufriedenstellend gelaufen ist und was es unbedingt zu verbessern gilt. Das schließt im Übrigen auch die Sensibilisierung für Mitschüler ein, die sich plötzlich »anders« verhalten. Denn Prävention ist die beste Bekämpfung von Amokläufen. Gleiches gilt für Arbeitskollegen, den Bekannten- und Freundeskreis sowie Nachbarn – womit wir wieder bei den Ursachen dieser Bluttaten wären.
Steffen Meltzer ist der Autor von „Ratgeber Gefahrenabwehr: So schützen Sie sich vor Kriminalität – Ein Polizeitrainer klärt auf“ und hat 15 Jahre Polizisten als Einsatztrainer u. a. zum Thema Amok fortgebildet.