Tichys Einblick
Vater macht das Licht aus

Über eine Zensur, die es gar nicht gibt

Die SED vermied bei der Zensur lieber öffentliche Konflikte (sogar das Wort »Zensur« war zensiert). Statt ein Buch zu verbieten, wurde schon mal »Papierknappheit« behauptet. Dafür verteilte man Orden an brave Kulturschaffende. Woran erinnert das?

Einem jeden Mann wird seine eigene Aufgabe im Leben zugeteilt, die niemand ihm abnehmen wird, die das heilige Schicksal ihm zuteilte, ehe noch die Erde geschaffen war. Alexander der Große eroberte Persien, Gutenberg erfand den Buchdruck (neu, nach den Chinesen) und Fleming fand das Penizillin. Einstein fand die Relativität, Columbus fand Amerika und Kafka das Kafkaeske. Meine Aufgabe aber ist es, tagaus wie tagein den wunderbarsten Menschen der Welt hinterherzulaufen und treu das elektrische Licht auszuschalten, das diese ungenutzt brennen ließen – und ich tue es gern, denn das Licht anzulassen, das wäre grobe Verschwendung!

Verzögerungstaktiken und Hilfsargumente

Erlauben Sie mir bitte, ausführlich aus der Wikipedia zu zitieren, und zwar unverändert aus dem deutschen Eintrag »Zensur in der DDR«, Stand 18.12.2020.

Beginn des Zitats: Die DDR verschleierte die Zensurinstanzen seit der Verfassung von 1949 systematisch, der Begriff „Zensur“ verschwand aus Gesetzen, Verlautbarungen und Medien. Während die Verfassung in revolutionärer Tradition Presse- und Meinungsfreiheit formal garantierte, entstand ein Netz von Instanzen, das die DDR-Öffentlichkeit kontrollieren und steuern sollte. […]

Die SED vermied bei der Zensurpolitik nach Möglichkeit öffentliche Konflikte durch klare Streichungen oder Veröffentlichungsverbote. Man versuchte die Kontrolltätigkeit als Fördertätigkeit erscheinen zu lassen, entwickelte Verzögerungstaktiken und Hilfsargumente („Papierknappheit“) und gab Belohnungen bzw. Vergünstigungen (Westreisen, Preise und Orden, Stellen und andere Privilegien) für Anpassungsleistungen von Kulturschaffenden (z. B. Literaten, Theaterintendanten oder Regisseuren). Es entstand ein Klima, in dem alle von möglicher Zensur Betroffenen stetig reflektierten, ob die geplante Äußerung zur herrschenden Ideologie passe und welcher Preis zu zahlen wäre, wenn man sich zu weit aus dem Fenster lehnte. – Ende des Zitats.

Sind Sie auch so erschrocken wie ich?

Wer heute für Meinungsfreiheit und Grundrechte steht und also gegen Zensur eintritt, der gilt schnell als »rechts«, »populistisch« oder sogar »rechtsextrem« – man kann der gerade in Deutschland latent nach links kippenden Wikipedia gewiss nicht vorwerfen, in irgendeiner Form, »rechts« zu sein. Es ist also umso erschreckender, dass der Wikipedia-Eintrag »Zensur in der DDR« in seinen zentralen Passagen wenig außer einem Austausch der Landes- und Behördennamen braucht, um die Realität 2020 präzise und einfach zu beschreiben.

»How to regulate«

»Hast du einen Opa«, so hieß es früher, »dann schick ihn nach Europa!« – Es war ein Scherz über die inoffizielle Funktion der wuchernden EU-Behörden als Resterampe für halbwegs würdevoll zu versorgende, jedoch unschädlich zu machende Parteigranden. Spätestens seit mindestens ein derart Abgeschobener wieder zurückkehrte und in Form des »Schulz-Zuges« das bis dato Unvorstellbare leistete, nämlich die SPD noch lächerlicher dastehen zu lassen als ohnehin (und das demnächst ultraversorgt im Bundestag fortsetzen möchte), sollte man sich fragen, was die entrückten Bürokraten wirklich da machen.

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Man hört »nebenbei« immer wieder von neuen Maßnahmen aus Brüssel, mit denen die Freiheit im Internet eingeschränkt werden oder das Browsen einfach nerviger gemacht werden soll (dieser Cookie-Spam, den man auf jeder Website wegklicken muss, ist die Schuld gelangweilter EU-Bürokraten). Die EU plant aktuell wieder neue Zensur-Werkzeuge und die weitere Erosion rechtsstaatlicher Prinzipien in Europa durch den Einsatz privater Firmen als Zensoren (diesmal wieder im vorgeblichen Kampf gegen Terror, siehe tichyseinblick.de, 9.12.2020), und sie liegt außerdem (wieder) mit Google und Facebook im Clinch, und jede Seite stellt es auf ihre Weise dar (nytimes.com, 15.12.2020).

Es gibt Kommentierungen des Geschehens, da sind der Inhalt und der Kommentierende beide jeweils eine Nachricht für sich, und eine solche trägt den Titel »EU shows how to regulate tech giants nearer home« (»Die EU zeigt, wie man Tech-Giganten näher an Zuhause regulieren kann«). Im Text selbst wird unter anderem berichtet und gelobt, dass die EU die Social-Media-Plattformen schärfer an die Kandare nimmt. Die Quelle jenes Kommentars ist zu erahnen, wenn wir uns den letzten Satz zu Gemüte führen: »China should draw a lesson from all this to better regulate tech giants at home.« – etwa: »China sollte eine Lektion daraus ziehen, wie man die Tech-Giganten daheim besser kontrollieren kann.« – Es ist als Kommentar bei »China Daily« erschienen, einem staatlichen chinesischen Medium (chinadaily.com.cn, 18.12.2020; es hat seine eigene Ironie, dass der Kommentar mit Icons u.a. von Google und Facebook bebildert ist, zwei Anbietern, die in China von der »Great Firewall« geblockt werden).

Das kann man so machen?

Tech- und Social-Media-Konzerne sind inzwischen derart mächtig, dass sie nach mancher Einschätzung den US-Präsidenten ein- und absetzen könnten – Spitzenpersonal der Tech-Konzerne spendete große Summen an die Biden-Kampagne (foxnews.com, 16.12.2020) – während sie aktiv und buchstäblich unverschämt negative Nachrichten über Biden zensierten – und nun werden sie wohl mit Posten in der Regierung und/oder politischem Einfluss belohnt werden (vergleiche etwa theguardian.com, 21.11.2020).

Die EU allerdings, welche die Tech-Konzerne an die Kandare nehmen will, ist nun wirklich selbst eher kein Leuchtfeuer der Freiheitlichkeit (oder demokratischen Legitimation). Seit Jahren greift die EU offen abweichende Meinungen in der gesamten EU an, denken wir etwa an Fake-»Bewegungen« wie die NoHateSpeech-Propaganda (siehe »George Orwell 2016 „Ministerium für Liebe“« von 2016), die das anti-demokratische Narrativ befördert, abweichende Meinung sei »Hass« und »keine Meinung« (siehe »Deine Meinung ist Hass, und Hass ist keine Meinung« von 2018). Die EU geht wegen der nur bedingt rechtsstaatlichen Zensur-Werkzeuge in Deutschland nicht etwa gegen Merkels Regierung vor, sondern will diese von Diktatoren weltweit kopierten Ideen sogar auf die gesamte EU ausweiten. Sogar China betrachtet die Ideen der Brüsseler Bürokraten und denkt sich: »Wow! Das kann man so machen? Warum sind wir noch nicht darauf gekommen?«

In ganz neuen Farben

2020 ist das Jahr, in welchem die mahnenden Hyperbeln manches Essayisten und freien Denkers ohne viel Aufhebens zum »neuen Normal« werden. Machen wir uns nichts vor: Das »neue Normal« ist eine große Schlacht um Deutungshoheit und Meinungskontrolle – und keine der Mächte ist allzu freiheitlich gesinnt.

»Der Letzte macht das Licht aus«, so sagt man – wir sind die letzte Generation, die noch im festen Glauben aufwuchs, frei und tatsächlich über das Schicksal des eigenen Landes und damit das eigene Schicksal zu bestimmen – wir machen gewissermaßen »das Licht aus.«

»Der Letzte macht das Licht aus«, doch wenn ich als Vater als Letzter im Raum das Licht ausmache, bleibt es ja damit ja nicht dunkel im restlichen Haus!

Das Licht in unserer Metapher steht für die Energie, die wir investieren. Wenn es sich nicht mehr lohnt, an der einen Stelle das Licht zu betreiben, lohnt es sich gewiss an einer anderen Stelle (und diese muss noch nicht mal örtlich eine andere sein).

Während ich als Letzter das Licht in diesem oder jenen Raum ausschalte, haben die Kinder bereits anderswo das Licht wieder angeschaltet. Vielleicht erscheint es mir nur so, dass es meine Lebensaufgabe sei, brav das Licht auszuschalten, wo die Kinder es ungenutzt brennen ließen – vielleicht ist meine wahre Aufgabe, es überhaupt möglich zu machen, dass anderswo immer wieder neu das Licht überhaupt erst angeschaltet werden kann!

Das Leben geht weiter, auch wenn ich nicht immer weiß, wo und wie es weitergeht. Auch das, was wir »Freiheit« nannten, wird weitergehen. Das Licht verlischt nicht ganz, es leuchtet nur woanders weiter – und wahrscheinlich leuchtet es dann in ganz neuen Farben.


Dieser Beitrag erschien zuerst auf dushanwegner.com

Dushan Wegner (geb. 1974 in Tschechien, Mag. Philosophie 2008 in Köln) pendelt als Publizist zwischen Berlin, Bayern und den Kanaren. In seinem Buch „Relevante Strukturen“ erklärt Wegner, wie er ethische Vorhersagen trifft und warum Glück immer Ordnung braucht.

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