Tichys Einblick
Verrannt - überall

Über den „Humor“ im deutschen TV 2019

Deutschland 2019: Man wütet über Genderklo-Witze – aber den Gegner im Öffentlich Rechtlichen TV eine »Kanalratte« zu nennen, inklusive Mordphantasien, das wird beklatscht. Was genau läuft da nur?

Screenprint: SWR/Erhard Grom liest das Protokoll

Witze zu erklären, so sagt man, ist wie Frösche zu sezieren. Man versteht, wie der Frosch funktioniert, aber das Tier ist dann eben tot.

Hat diese Warnung je einen Witzerklärer von seinem Tun abgehalten? Nein, die Vorwegnahme hat vielmehr letzte Bedenken abgeräumt! Auch wir wollen uns nicht aufhalten lassen, ein paar Witze hier zu sezieren, und neben unserer Neugier haben wir eine weitere gefühlte Berechtigung, das Skalpell anzusetzen: Die Frösche, pardon: die Witze, die wir hier entleiben wollen, die sind bereits tot, ja sie riechen bereits ein wenig streng. – Nun auf, Nase zugehalten, Frosch auf den Rücken gedreht, Klinge gezückt, schneiden wir, beginnend vom Maul des Fröschleins aus!

Schneidwerkzeug bereitlegen

Das Blut einiger weniger Frösche und Eidechsen ist tatsächlich grün (siehe etwa blog.nationalgeographic.org, 30.9.2013), doch das meiste Blut ist auch bei Fröschen rot. Damit aber wir überhaupt erst ans Froschblut gelangen können und, so vorhanden, das Herz der Witze untersuchen können, braucht es geeignetes Schneidwerkzeug – eine schnell bereitgelegte Witztheorie. Diese sei: Ein (echter) Witz hilft, und Mittel wie Verfremdung und Übertreibung machen es möglich, uns einer schmerzhaften Differenz zwischen Begriff und Realität zu stellen.

Um die Wahrheit zu sagen

»Schmerzhafte Differenz zwischen Begriff und Realität – hä?!«, mögen Sie jetzt denken, also erlauben Sie mir ein Beispiel.

Einzeiler von Rodney Dangerfield (meine Übertragung aus dem Englischen):

Um die Wahrheit zu sagen, meine Frau und ich haben keinen Sex. Wir ziehen uns aus und wir können gar nicht mehr aufhören zu lachen!

Ein Klassiker eines Humor-Großmeisters, kein Zweifel!

Der verhandelte Begriff ist die romantisch idealisierte Vorstellung zweier junger Menschen, ihre erste Begeisterung füreinander und für die Sexualität würde ein Leben lang genauso bleiben wie in der Zeit des ersten Hormonfeuerwerks. Die Realität ist, dass wir alle älter werden, dass sich Routine einschleichen könnte, dass die Pflichten und Lasten des Tages eben auch zum überschattenden Teil der Beziehung werden könnten – et cetera. Diese Differenz ist a) menschlich und normal, sowie b) schmerzhaft! Durch Übertreibung und Verfremdung (»können gar nicht mehr aufhören zu lachen«) hilft Dangerfield uns, den Mut zu finden, uns dem Schmerz in der Differenz von begrifflichem Anspruch und Lebensrealität zu stellen.

Es gibt einen simplen Grund, warum wir den Witzemachern so dankbar sind: Sie geben uns den Mut, uns unserem Schmerz zu stellen.

Wenn wir Witze sezieren, lernen wir etwas über jene Menschen (und Völker), die diesen Witz erzählen (oder auch: verbieten wollen) – was sind ihre Schmerzen? (Und auch: Welche Schmerzen wollen sie leugnen?)

Karneval im letzten deutschen Projekt

Wenn man schon nicht in den Straßen und auf den Plätzen für Ordnung sorgen kann, dann wenigstens auf den Karnevalsbühnen!

Einst war der Karneval eine Bastion der Rebellion gegen die Obrigkeit. Heute wird auch der deutsche Karneval, wie die meisten anderen Teile der Gesellschaft, von »Kulturschaffenden« bis zur Produktion zu einem Rädchen im letzten deutschen Projekt.

Es ist eine Eigenschaft deutscher Welterklärer, überall sonst auf dem Globus schnell »Gleichschaltung« zu erkennen, nur bei sich selbst nennen sie den geistigen Gleichschritt orwellsch-ironisch »Diversität«. (Siehe auch: Wie nennt man es, wenn sie alle gleich schalten?) – Doch: Im letzten großen Kampf der Guten und Linken darf es auch im Karneval keine Atempause geben!

»Kanalratte aus Washington«

Im deutschen Staatsfunk hört sich Karneval heute so an:

Donald Trump, wer will’s bestreiten, der größte Schwindler aller Zeiten! Sadistisch, grausam, primitiv, sexistisch und auch aggressiv. Ein ganz gefährlicher Patron, ‘ne widerwärtige Person. Der Trump der ist nach meiner Kenntnis, für’s weiße Haus ein sehr blamables Missverständnis. Und keiner, keiner bringt ihn zur Räson, die Kanalratte aus Washington. (Lachen im Saal)

Als George Bush, Sie wissen ja, vor Jahren zu Besuch hier war, hat man in Mainz, zuallermeist, Kanaldeckel all zugeschweißt. Käme Trump zu uns, verlasst euch drauf, wir machen alle Deckel auf. Der müsste durch Mainz fahren, bitte sehr, bis er im Loch verschwunden wäre. Und wenn du aus dem Schacht dann hörst, dass er laut ruft, America first!, dann müssten wir alle vor Entzücken, in jedem Haus die Spülung drücken. Und steht ihm das Wasser bis zum Hals, hach, dann dankt man Mainz, und Rheinland-Pfalz, und im Kanal, die Rattenschar, die hat Besuch aus USA. (swr.de, 1.3.2019)

Der Saal johlt und klatscht. Die Sendung wechselt die Kamera, man schneidet um. Im Bild sind die Vorsitzende der Regierungspartei SPD sowie die Vorsitzende der Rundfunkkommission der Länder (die nebenbei auch Vorsitzende des Verwaltungsrats des ZDF, Vizepräsidentin des Besitzers der Deutschen Druck- und Verlagsgesellschaft und wohl auch Ministerpräsidentin von Rheinland-Pfalz ist). Beide applaudieren sichtlich zufrieden.

Es ist 2019 und in Deutschland werden wieder Menschen mit Ratten verglichen. – Stellen wir uns für einen Augenblick vor, ein Oppositionspolitiker hätte minutenlang Menschen, die er nicht mag, mit Ratten verglichen.

Die Stimme des älteren Erhard Grom überschlägt sich in seiner Ansprache immer wieder. Das Publikum johlt zu seinen Mordphantasien. – Charmant ist, dass eine Oppositionspolitikerin ironiefrei als »Ketzerin« bezeichnet wird – und das wiederum mit »Volksverhetzerin« gleichgesetzt wird.

In Düsseldorf rollt derweil ein »Toleranzwagen« (report-de, 23.2.2019, wdr.de, 9.1.2019). Darauf sieht man einen Imam, einen katholischen Priester, einen Rabbiner und eine evangelische Pastorin, Arm in Arm, fröhlich lächelnd. Es wäre spannend, zu wissen, wie der Imam mit Vornamen heißt und ob man ihn abbilden durfte, oder auch, was passiert wäre, wenn man den Imam so aufgestellt hätte, dass er die Pastorin umarmt. – Und dann fahren die obligatorischen Anti-AfD-Wagen, etwa der Wagen mit dem AfD-Plakat und dem Neonazi-Skinhead, die Hand zum Hitlergruß erhoben (dw.com, 4.2.2019).

Einer ihrer Witze

Jede Zeit hat ihre Religion, andere sagen: Ihre Lebenslügen. Während die Mächtigen wieder begeistert applaudieren, wenn politische Gegner mit Ratten gleichgesetzt werden, gelten andere Witze als unfein.

Dass der deutsche Karneval nicht mehr gegen die Obrigkeit rebelliert, sondern sich weitgehend nahtlos in die Propaganda einreiht, das ist traurig genug – dass Spitzenpolitiker als Karnevalsredner auftreten, das ist dann doch merkwürdig.

»Germany’s next Merkelin«, Annegret Kramp-Karrenbauer, ist, warum auch immer, in der Weltmetropole Stockach am Bodensee als Karnevalsrednerin aufgetreten.

Einer ihrer Witze ging so:

Wer war denn von euch vor Kurzem mal in Berlin? Da seht ihr doch die Latte-Macchiato-Fraktion, die die Toiletten für das dritte Geschlecht einführen. Das ist für die Männer, die noch nicht wissen, ob sie noch stehen dürfen beim Pinkeln oder noch sitzen müssen. Dafür, dazwischen, ist diese Toilette. (welt.de, 3.3.2019)

Die Preußische Witzepolizei trat unverzüglich auf den Plan, vielzitiert etwa einer von den selbsterklärten Liberalen: »Wieder so ein Tag zum Fremdschämen … « (@JBrandenburgFDP, 2.3.2019), et cetera. Wir dachten, das Internet würde Bildung und Freiheit für alle bringen, es brachte Instant-Empörung und Hashtag-Gates.

Zuerst: Linke können rein logisch keinen Humor haben (siehe auch »The Left Can’t Meme – Warum Linke keinen Humor können«), was sie nicht daran hindert, sich zur Humorpolizei aufzuschwingen. Insofern verwundert es wenig, dass Linke den Witz von AKK missverstanden: Im AKK-Witz geht es im Kern nicht ums »Dritte Geschlecht«, sondern um verunsicherte Männlichkeit. Wer meint, AKK habe sich über das Dritte Geschlecht lustig gemacht, der hat ernste Mängel beim Sprachverständnis – oder ist einfach empörungsgeil. (Wir müssen hier nicht extra die Inkohärenz von Politikern nachzeichnen, die von unbegrenzt vielen Geschlechtern ausgehen, aber zugleich eine 50:50-Quote für Politiker fordern.)

Im Deutschland von 2019 empört sich die politisch korrekte Klasse über Witze, die Doppelnamen oder verunsicherte Männlichkeit aufs Korn nehmen, doch Vergleiche politischer Gegner mit Ratten samt Mordphantasien gelten als akzeptabel, solange es gegen den (von oben erklärten) politischen Gegner geht.

Witz vs. Propaganda

Ich arbeite mit einigen Denkregeln, die ich gerne (und wiederholt) offenlege.

Ganz zuvorderst natürlich: Das moralische Empfinden des Menschen ergibt sich aus seinen Relevanten Strukturen – wer Menschen verstehen will, muss ihre Relevanten Strukturen kennen!

Dann, unter anderem: Wenn die Realität und deine Annahmen über die Realität divergieren, wird die Realität gewinnen – immer.

Eine Arbeitsdefinition, die mir nicht minder wichtig ist, betrifft echten Humor und den Pseudo-Humor der Propaganda.

Obige Gedanken aufgreifend und weiterführend, will ich es so formulieren:

  1. Humor hilft dabei, sich der schmerzhaften Divergenz zwischen Begriff und Realität zu stellen.
  2. Der Pseudo-Humor der Propaganda nutzt die Mittel des Humors (Verfremdung, Übertreibung) um eine Lüge über den politischen Gegner als angeblich schmerzhafte Wahrheit zu verkaufen.

Wenn ein Witzemacher im ursprünglichen Sinn einen Witz erzählt, dann lachen wir befreit, weil er uns durch komödiantische Mittel den Mut gibt, uns einem schwierigen Thema zu stellen.

Wenn ein propagandistischer Staats-Humorist einen verächtlichen Witz über einen Gegner zu machen vorgibt, gibt er einer groben Lüge für kurze Zeit die Aura einer schmerzhaften Wahrheit, richtig darauf hoffend, dass etwas von der Lüge »hängenbleibt«.

Durch die Verkleidung als Witz akzeptiert der unbedarfte Hörer, was er sonst als eindeutig falsch und/oder grob unmoralisch zurückgewiesen hätte; das ist die Wirkweise und Absicht des propagandistischen Witzes.

Wenn Menschen mit »Ratten« verglichen werden, also einem Ungeziefer, dann transportiert man damit die Nachricht, dass diese Menschen auszurotten seien, dass sie weniger »lebenswert« seien. Könnte es für Witzemacher im öffentlich-rechtlichen Dunstkreis neues Standardrepertoire werden, Oppositionelle mit zu tötendem Ungeziefer zu vergleichen (siehe etwa @janboehm, 20.11.2018/archiviert)?

Land ohne Witze

Deutschland wird zum Land ohne Witze. Religiöse und politisch korrekte Fanatiker machen das Erzählen von Witzen über echten Schmerz zur Gefahr für die wirtschaftliche Existenz oder sogar das Leben.

Es scheint vorstellbar, dass Witze wie jene, für die Charlie Hebdo zusammengeschossen wurde, einen Witzemacher im heutigen Deutschland wegen »Volksverhetzung« ins Gefängnis bringen könnten – wo man dann womöglich mit radikalisierten Muslimen zusammensäße (siehe etwa welt.de, 21.2.2017) – bonne courage!

Zu Lachen über das, was einen wirklich schmerzt, das ist problematisch – den Witz auch nur zu erzählen, ist bereits gefährlich.

Nein, der brave Bürger lacht nicht, wenn der Witz eine verbotene Wahrheit betrifft, egal wie sehr ihn diese schmerzt.

Es gilt: Der brave Bürger schlägt sich klatschend auf die fetten Schenkel, wenn das Fernsehen den Gegner des Tages als »Kanalratte« niedermacht, wenn ein Schreihals mit sich überschlagender Stimme davon träumt, den Gegner ertrinken zu lassen. Man kann es manches nennen – »Witz« jedoch fiele mir dafür spontan nicht ein.

Es ist angerichtet

Es stimmt zwar, dass die-da-oben verbieten können, oder es zumindest erschweren, unsere Witze allzu laut zu erzählen. Niemals aber sollte man so weit sinken, so sagt man, den Kakao, durch den man gezogen wird, auch noch zu trinken.

Man wütet über Genderklo-Witze – aber politische Gegner »Kanalratten« zu nennen, inklusive Mordphantasieren, das wird beklatscht, da johlt der Mob und die Elite lacht Tränen. Meine Werte verbieten mir, heute ein sogenannter »Guter« zu sein.

Wenn die Propagandisten uns dazu bringen wollen, zu lachen, wenn sie ihre Gegner als Ratten, Abschaum oder Ungeziefer bezeichnen, das ist der Punkt, an dem wir uns verweigern können – und, so finde ich, auch verweigern müssen. Wer heute mit den sogenannten »Guten« lacht, wird sich morgen vor sich selbst schämen müssen.

Ihr könnt mir verbieten, meine Witze allzu laut zu erzählen, allzu deutlich zu formulieren, das stimmt, aber ihr könnt mich nicht zwingen, über eure Witze zu lachen.

Was bleibt uns nun? Die Gewissheit, anständig bleiben zu wollen, aus der Geschichte gelernt zu haben, nicht wieder mitzugrölen, auf keinen Fall einer von den sogenannten Guten sein zu wollen, kein Linker und gewiss kein Gutmensch.

Sei keiner von den Haltungsbürgern, die im Kampf gegen die Opposition das Heute wieder wie das Damals klingen lassen, im Staatsfunk, zur besten Sendezeit.

Ach ja, uns bleiben auch noch einige Erkenntnisse über Anatomie – zumindest über die Anatomie von Witzen.

Der Witz ist erklärt.

Der Frosch ist tot.

Lang lebe der Frosch!


Dieser Beitrag erschien zuerst auf dushanwegner.com.

Dushan Wegner (geb. 1974 in Tschechien, Mag. Philosophie 2008 in Köln) pendelt als Publizist zwischen Berlin, Bayern und den Kanaren. In seinem Buch „Relevante Strukturen“ erklärt Wegner, wie er ethische Vorhersagen trifft und warum Glück immer Ordnung braucht.

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