Seit das Corona-Virus in unser aller Leben getreten ist, ist für viele nichts mehr, wie es einmal war. Sie mussten einstecken, verzichten und sich von einem normalen Alltag weitgehend verabschieden. Die soziale Isolation, der Wegfall eines normalen Tagesrhytmus und die ständige Panikmache seitens der Medien und Politik haben die Zahl der depressiven Erkrankungen, der Angst- und Panikstörungen sowie psychosomatischer Störungen in den letzten anderthalb Jahren immer weiter in die Höhe getrieben.
Am schlimmsten traf es die, die am wenigsten von dem Virus betroffen sind: Kinder und Jugendliche. Sie mussten auf die Schule, ihre Freunde und Freizeitaktivitäten – kurz: auf eine normale Entwicklung – verzichten, während sie ihre Gesichter hinter Masken versteckten, um nicht die Oma, den Opa oder die Mama umzubringen. Jetzt steigen die Infektionszahlen erneut an, der Impfdruck wächst auch bei Kindern und ein neuer Lockdown droht. Das hat bittere Folgen: Die Kinder- und Jugendpsychiatrien sind voll, die Kapazitäten ausgeschöpft. In Bayern wurde das Limit erneut überschritten.
Und die Heckscher Klinik ist leider nicht die einzige, die am Rande der Kapazität und darüber hinaus arbeiten muss. Laut Gerd Schulte-Körne, dem Chef der Kinder- und Jugendpsychiatrie der LMU München, liegen auch in seiner Klinik bereits Matratzen auf dem Boden. Die Not ist groß und die Hoffnung auf eine bessere Zukunft bei den kleinen Patienten gering – das hätten sie in der Pandemie gelernt. „Sie wurden nicht gehört, standen nicht im Fokus des Interesses, im Gegenteil. Vieles mussten die jungen Menschen ausbaden“, kritisiert Schulte-Körne. Wenn ein Kind oder Jugendlicher dann keine „Ressourcen“ habe, also etwa keine Unterstützung in der Familie erfahre, gehe es ihm wirklich schlecht. Und das kann schlimme Folgen haben. Schulte-Körnes Kollege Freisleben fordert deshalb, dass es höchste Zeit wird, die Krise zu überwinden. Denn, „wenn sich die allgemeine Lage nicht bald beruhigt, dann schwant mir Übles für die weitere Entwicklung der Kinder und Jugendlichen“, so der Psychiater.
Trotz des Aufnahmedrucks werden Kapazitäten abgebaut
Laut der Deutschen Gesellschaft für Kinder- und Jugendpsychiatrie hat Bayern grundsätzlich zu wenig Betten für psychisch kranke Kinder und Jugendliche – eine Situation, die durch die politische Antwort auf die vierte Corona-Welle nicht nur problematisch, sondern dramatisch wird. Wenn immer mehr Matratzen für Notfälle ausgelegt werden, wo soll dann noch Kapazität für diejenigen bleiben, die (noch) nicht kurz vor dem Selbstmord stehen, aber trotzdem akut unter schwersten psychischen Krankheiten leiden? Auch wenn es nicht so genannt wird – in Bayern scheint eine Triage zu herrschen. Die Ärzte müssen entscheiden, wen sie aufnehmen müssen, wer früher als geplant (was wahrscheinlich so viel heißt wie: früher als notwendig wäre) entlassen wird und wer gleich wieder nach Hause geschickt wird – genauso wie man es schon im Januar in Österreich und im Mai dann auch in den Kinder- und Jugendpsychiatrien in Berlin erleben musste. Und daran scheint sich nichts geändert zu haben, auch wenn die Meldungen über eine Triage im Nachhinein immer wieder dementiert wurden. Doch was soll das anderes sein?
Doch wie man es auch nennen mag – die Lage ist dramatisch. Die Kinder leiden unter massiven Angst- und Panikstörungen, Hoffnungslosigkeit, Depressionen und immer öfter auch unter Zwangsneurosen und lebensbedrohlichen Essstörungen wie Magersucht. Wenn solche psychischen Krankheiten nicht behandelt werden, werden sie immer schlimmer, können chronifizieren und werden damit langlebig und behandlungsresistent. Dann werden aus kranken Kindern irgendwann kranke Erwachsene – zumindest, wenn der Leidensdruck sie nicht schon vorher in die Suizidalität gedrängt hat.
Die Corona-Maßnahmen müssen deshalb dringend ein Ende haben und die Schulen unbedingt offen bleiben. Kinder brauchen einen stabilen Tagesrhytmus, soziale Kontakte und Möglichkeiten sich auszuprobieren. Sie brauchen Mimik, Gestik und körperliche Zuwendung. All das darf nicht vom Impfstatus, einer zweifelhaften Inzidenzzahl oder der Laune irgendwelcher Politiker abhängen. Sonst wird die Lage nur immer schlimmer als irgendwann wieder besser.
Sollten Sie das Gefühl haben, dass Sie Hilfe benötigen, kontaktieren Sie unbedingt die Telefonseelsorge. Unter der kostenfreien Rufnummer 0800-1110111 oder 0800-1110222 bekommen Sie Hilfe von Beratern, die Ihnen Hilfe bei den nächsten Schritten anbieten können. Hilfsangebote gibt es außerdem bei der Stiftung Deutsche Depressionshilfe und der Deutschen Gesellschaft für Suizidprävention. Im Netz gibt es – Beispielsweise bei der Stiftung Deutsche Depressionshilfe – auch ein Forum, in dem sich Betroffene austauschen können.