Tichys Einblick
Fiebrige Träume vom Roll Back:

Die Hilflosigkeit des Ostdeutschen-Bashings

Die Angst vor den Wahlergebnissen im Herbst treibt die grünaffinen Medienhäuser geradezu in Fieberkurven. Ein Correctiv-Mitarbeiter denkt sogar über „Trennung“ nach. Es ist ein Affront gegen diejenigen, die Demokratie und Freiheit erkämpft und die Wiedervereinigung ermöglicht haben.

Ein Meer von Deutschlandfahnen prägt am 27. Januar 1990 im sächsischen Plauen die Demonstration für die deutsch-deutsche Wiedervereinigung

picture-alliance / dpa | Kemmether

Die galoppierende Angst vor den Ergebnissen der Wahlen im Herbst in Brandenburg, Sachsen und Thüringen treibt die grünaffinen Medienhäuser und Kampagnemedien wie Correctiv geradezu in Fieberkurven. Bis zur Wahl und vor allem nach den Bekanntgaben der Ergebnisse werden sie sich noch einmal hysterisch steigern. Allerdings sind die von grüner und linker Seite geäußerten Statements von „Hass und Hetze“ nicht neu, und werden nur deshalb nicht moralisch, medial oder rechtlich verurteilt, weil sie eben von Links oder Grün kommen.

Nach der schließlich von Angela Merkel rückgängig gemachten Wahl in Thüringen wollte eine Mitarbeiterin des öffentlich zwangsfinanzierten, grünen Rundfunks jedem fünften Thüringer „eine reinhauen“. Im WDR empfahl eine Witzeerzählerin, mittels Bomber die Sachsen mit Zitronensaft zu besprühen, weil das auch bei ihren Avocados helfe, dass sie nicht so schnell braun werden – was als Witz deshalb schon ein Rohrkrepierer ist, weil die Sachsen nie grün waren und deshalb, um in der Logik der Witzeerzählerin zu bleiben, auch nicht braun werden können. Doch die deutsche Lustigkeits-NGO strebt dem Ziel nach, dass wenn man schon daneben liegt, dann richtig, weshalb die Witzige noch einen draufsetzte und im selbstgefälligen Ernst abschloss: „und wenn das nicht hilft: Napalm“.

Buchmesse als Treffen der Ideologiewerker
Steinmeier verhöhnt die Friedliche Revolution und damit die Ostdeutschen
Der Kommunikationsdirektor der Erzdiözese Köln, der es heute nicht mehr ist, twitterte damals: „Tschechien – wie wär’s: wir nehmen Euren Atommüll, Ihr nehmt Sachsen?“ Auch der Merkel Hagiograph Ralph Bollmann aus der früher liberal-konservativen FAZ, hinter der noch viel früher immer ein kluger Kopf steckte, die jetzt aber hektisch einen Platz – und wenn es nur ein Stehplatz ist – im woken Bus zur klimaneutralen Gesellschaft sucht, fand, dass die Ostdeutschen irgendwie nicht in die Bundesrepublik gehören: „Sie haben weniger Erfolg im Beruf und verdienen weniger Geld. Sie sind mit ihrer Lebenssituation im Schnitt weniger zufrieden und schimpfen über die Republik, die sie aufgenommen hat.“

So undankbar? Dass die Ostdeutschen nicht aufgenommen wurden, sondern dass sie unter erheblichen Gefahren Freiheit und Demokratie erkämpft hatten, dass sie die Wiedervereinigung ermöglichten und bei nicht wenigen die Karrieren endeten, damit für nicht wenige Westdeutsche Karrieren in Ostdeutschland beginnen konnten, diese simplen Tatsachen erreichten den Mann in seinem Redaktionsstübchen hoch über der Realität nicht.

Erstaunlicherweise nähmen die Abschottungstendenzen der zweiten Generation zum Teil sogar zu, so der Autor. Das sei ein deutliches Zeichen dafür, „dass im Integrationsprozess etwas schiefläuft. Die Rede ist nicht von den Deutschtürken, die einst als Arbeitskräfte ins Land kamen. Es geht um die damals rund 17 Millionen Ostdeutschen, die am 3. Oktober 1990 der Bundesrepublik beitraten, alle an einem Tag. Es war eine der größten und plötzlichsten Einwanderungswellen der Geschichte.“ Der Ostdeutsche als Einwanderer. Als Migrant. Der Ostdeutsche als Fremder in Deutschland, als notorischer Hinterwäldler, dem man, wie Friedrich Merz gutmütig aufstöhnte, eben mehr erklären müsse.

Gnade vor Bollmanns strengen Augen fand nur die beste Politikerin, die die Grünen je hatten: Angela Merkel, die „im Osten auch deshalb so viel Hass auf sich zieht, weil sie ihren Landsleuten den Spiegel vorhält: Seht her, wer sich anstrengt, der schafft es auch.“ Damit wollen wir von dem besonders fleißigen Herrn Bollmann aus dem Jahr 2017 einen Sprung zu dem besonders eifrigen Mitarbeiter von Correctiv, Marcus Bensmann, ins Jahr 2024 machen, gute zwei Monate vor der großen Angst.

Für diejenigen, die Correctiv nicht kennen, was keine Bildungslücke darstellt, sei nur bemerkt, dass man nicht so genau wissen kann, ob es sich um ein Kampagnemedium oder um ein Mitteilungsblatt des Bundesamtes für Verfassungsschutzes handelt, so oft wie Redaktion und Verfassungsschutzmitarbeiter miteinander geredet haben. Zumal sie ja dasselbe Ziel verfolgen: die Reduzierung der Wählerzahlen für die Du-weißt-schon-wer-Partei.

Marcus Bensmann von Correctiv unterbreitet nun mit Blick auf die Wahlumfragen den bemerkenswerten Vorschlag: „Dann sollten wir lieber über eine Trennung nachdenken. Es kann nicht sein, dass eine Mehrheit der ehemaligen DDR-Bürger, die nur 1/6 der Gesamtbevölkerung stellen, mit der Westbindung das Erfolgsmodell der Bundesrepublik zerstören. Die Tschechoslowakei hat es vorgemacht.“

Die Tschechoslowakei hat vorgemacht, das Erfolgsmodell Westbindung zu zerstören? Das Erfolgsmodell, von dem Bensmann spricht, versinkt gerade im sozialen, infrastrukturellen und wirtschaftlichen Ruin – und zwar unter der westdeutschesten Regierung, die die Bundesrepublik jemals hatte, nämlich der der reichen Steppkes und Steppkinnen der 68er Generation.

Diese Politiker-Generation ist ohne Deutschlandbezug. Habecks Einlassungen zu den Themen Deutschland und Patriotismus sind bekannt, auch was Annalena Baerbock über ihre deutschen Wähler denkt; wem in der Hauptsache das Bürgergeld zugutekommt; wohin Milliarden deutscher Steuergelder fließen auch. Beispielsweise in Klimaprojekte, die nicht existieren.

Keiner von den Ampel-Helden erlebte seine Eltern nach 1989, wie sie mit viel Sorgen und viel Energie und Fleiß sich ein neues Leben aufbauen mussten. Den Wohlstand, den sie nicht geerbt, sondern hart erarbeitet haben, die Zukunft für ihre Kinder, die sich gesichert glaubten, wollen sie nicht verlieren. Für Propaganda sind sie nicht erreichbar, nicht für Medienkampagnen, nicht für die immer skurriler werdenden Politikerphrasen, die sich auf der Flucht vor der Wirklichkeit, von der Wirklichkeit umzingelt sehen, als seien sie in einen Hinterhalt der Wirklichkeit geraten.

Achtung, Glosse!
Vollendet die Brandmauer! Spaltet Deutschland auf! 
Aus Bensmanns großwoker Perspektive mögen Westdeutsche und Ostdeutsche zwei verschiedenen Völkern angehören, wie Tschechen und Slowaken zwei unterschiedliche Völker sind. Was Bensmann nicht, aber alle Leser von TE über die Geschichte wissen, muss hier nicht erläutert werden. Bensmann verstünde es ohnehin nicht und die Leser würde es langweilen. Nein, Marcus Bensmann ist nicht zu beneiden, denn würde seine Idee, dass alle aus Deutschland expediert werden, die nicht Rot oder Grün wählen, Realität, dann würde Deutschland in wenigen Jahren die Bevölkerungszahl von Luxemburg haben.

Wenn man sieht, mit welchem Titanenmut deutsche Medien in den US-amerikanischen Wahlkampf eingetreten sein, wo doch jeder weiß, dass der amerikanische Präsident nicht in Deutschland gewählt wird, so sind es doch eher diese Medien, die in Wahrheit die Westbindung in Frage stellen zugunsten der Gesinnungsdemokratie, die sie errichten, denn Wähler sind in ihren Augen nur die mit der richtigen, der woken Gesinnung.

Der SPIEGEL kommt nun wie der Lehrer Lampe mit erhobenem Zeigefinger um die Ecke: „Die Bewohner der Bundesländer Thüringen, Brandenburg und Sachsen haben im September bei den Landtagswahlen die große Chance, ihren Ruf endgültig zu verlieren.“ Man versteht die Phantomschmerzen des SPIEGELS, denn seinen Ruf als Sturmgeschütz der Demokratie hat er längst verloren.

Das Gegenteil ist natürlich richtig: Die Bewohner der Bundesländer Thüringen, Brandenburg und Sachsen haben ihren Ruf zu verteidigen, nämlich als diejenigen, die als erste in der langen Geschichte Deutschlands eine Friedliche Revolution und noch dazu eine siegreiche vom Zaun brachen. Sie haben die Demokratie und die Freiheit erkämpft und die deutsche Wiedervereinigung ermöglicht. Dafür hasst man sie in so manchem Parteibüro und so mancher Redaktionsstube, denn die deutsche Wiedervereinigung empfanden und empfinden die westdeutschen Linken und Grünen als Trauma.

Bundesparteitag in Essen
Die AfD strebt in Ostdeutschland die Regierung an
Gerade das Juste Milieu der alten Bundesrepublik, das sich in den Jahren nach 1968 herausbildete, und dem die Toskana näher als die Mark Brandenburg war, nahm es den Ostdeutschen übel, dass sie nicht mehr eine Welt ertragen wollten, die für viele Kaviarlinke als das bessere Deutschland galt, in dem man nur selbst nicht zu leben beabsichtigte, dessen Existenz aber für den eigenen Seelenhaushalt konstitutiv war.

Bündnis 90 verriet die Friedliche Revolution, als sich die ostdeutsche Partei mit den westdeutschen Grünen vereinigte. Seither träumen diese Kreise von einem Roll Back, einem Roll Back letztlich von Demokratie und Freiheit. Deshalb wollen sie aus der Demokratie eine Gesinnungsdemokratie machen, eine plebiszitäre Diktatur der Postmodernen auf dem Weg in die Klimaplanwirtschaft – und beginnen mit Zensur und Verbot, mit der Zerstörung der Meinungsfreiheit, mit der Ersetzung der Information durch die Pädagogik, mit dem Umbau des Bundesamtes für Verfassungsschutz in eine politische Polizei und versuchen mit der Brandmauer-Doktrin, de facto eine Einheitspartei zu schaffen.

Wenn Bensmanns Traum sich erfüllt, dass es zur Trennung von Ostdeutschland und Westdeutschland kommt, dann wird das Ministerium für Staatssicherheit nicht in Ostdeutschland wieder zum Leben erweckt. Man könnte spotten, dass wenn der Westen sich nicht am Riemen reist, es wahrlich soweit kommen könnte. Aber Bensmann irrt gründlich, denn es handelt sich eben nicht um ein Ost-West-Problem – man ist im Osten nur nüchterner. Bensmann würde sich wundern, wenn er wüsste, wie viele im Westen hoffen, dass im Osten die Wahlergebnisse eintreten, vor denen sich Correctiv und SPIEGEL fürchten – und nicht nur sie.

Der Riss vertieft und erweitert sich zwischen einem Establishment, das nur Zensur, Bevormundung, wirtschaftlichen Niedergang und den Zerfall von Bildung, von Infrastruktur und von Sicherheit zu bieten vermag, und denjenigen, die eine Besinnung auf die eigene Stärke und eine sichere Zukunft für sich selbst und für ihre Kinder anstreben, zwischen den destruktiven und den produktiven Kräften, zwischen den Verwirtschaftern und den Erwirtschaftern. Die Aufgabe der Union, die ihr die Geschichte stellt, besteht darin, hinter der Brandmauer hervor und ins Offene zu treten. Es liegt an ihr, diese Rolle anzunehmen.

Runder Tisch: Ort ohne Brandmauern
Hendrik Wüst will sich um Ostdeutsche kümmern – doch die wird das nicht kümmern
1990 hätte eine Diskussion einsetzen müssen, welchen Gründungsmythos sich das neue, das wiedervereinigte Deutschland geben sollte, darüber eine große Debatte zu führen, wie sich die wiedervereinigte Nation selbst sieht, in welchen Traditionen sie steht. Patriotismus ist Liebe zum Vaterland, zu dessen Bedingtheiten das Grundgesetz zählt, zu dem aber Geschichte, Tradition und Kultur treten. Eine gelingende Einigung hätte einer gemeinsamen Basis für diesen Patriotismus bedurft. Was aber wäre ein besserer, ein tauglicherer, ein haltbarerer und ein konsistenterer Gründungsmythos für das neue Deutschland gewesen als die Friedliche Revolution als Vollendung der demokratischen Revolution von 1848/49?

Existiert denn ein schöneres Pathos der Freiheit, als Menschen, die unbewaffnet gegen eine bis an die Zähne bewaffnete Staatsmacht auf die Straße gingen mit den Rufen „Wir sind das Volk“ und „Keine Gewalt“? Sollte denn nicht die Freiheit das verbindende Element der Deutschen in Ost und West, in Süd und Nord sein? Hätte dieser Gründungsmythos nicht einen optimistischen nach vorn gerichteten Blick ermöglicht? Nicht für Correctiv, nicht für den SPIEGEL, nicht für die Postmoderne, nicht für das Ancien Regime.

Und in Europa? Hat nicht auch die Europäische Union darauf verzichtet, sich neu zu begründen, anstatt ebenfalls ein paar Waggons mehr an den Zug zu koppeln? Wird von diesem Ancien Regime der Linken und Grünen nicht inzwischen Ostdeutschland genauso bekämpft wie Ungarn? Wie alle, die für die Freiheit und gegen die ideologische Bevormundung eintreten?

Es scheint, um es so empathisch wie pathetisch auszudrücken, dass man dem Roll Back des Ancien Regime, der Konterrevolution die Vollendung der Revolution von 1989 entgegensetzen muss.


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