Tichys Einblick
Das Konsum-Karussell

Traumschiff Versorgungsstaat: Milch und Honig fließen schon reichlich

Wichtigster Faktor für Wirtschaftswachstum und Bruttosozialprodukt ist jenseits des großen Teichs alleine das „Consumer Spending“, also der private Konsum von Waren und Leistungen.

© Matt Hardy/Getty Images

Die schöne neue Welt liegt gleich hinter der nächsten Biegung des politischen Stroms, man muss nur an sie glauben. Sie kann und wird mit folgenden angeblichen Weisheiten Schluss machen:

– A Wer nicht arbeitet, kann (soll) auch nicht essen
– B Wer nichts schafft, kann (soll) auch nichts verdienen

A

Was noch vor Jahrzehnten in Westeuropa eine Herausforderung gewesen wäre, nämlich die Versorgung mit Lebensmitteln, sprich einer gut auskömmlichen Portion „Kalorien“, um das Tagwerk zu bewältigen, ist heute Pille Palle.

„Ein Landwirt erzeugte 1900 Nahrungsmittel in einem Umfang, um etwa 4 Personen ernähren zu können. 1950 ernährte ein Landwirt 10 und 2010 sogar 131 Personen“ kann man der Webseite des Bauernverbands entnehmen.

Obwohl einige sozialistische Parteien nach wie vor die Mär von einer darbenden, dürren Arbeiter- und Bauernschicht verbreiten mögen, wird Ihnen das in der EU niemand ernsthaft abnehmen. Abgesehen von wenigen, wirklich bitter Armen, von dürftigen monatlichen Zahlungen Abhängigen (vornehmlich Rentner und sozial Schwache in Ballungsgebieten), „muss heute niemand in Deutschland hungern“ wie hier die Welt zum „Tafelskandal Essen“ schrieb. Vorausgesetzt, er besteht nicht auf einer besonders abwechslungsreichen oder extravaganten Diät, möchte man hinzufügen.

„Von 1950 bis 2012“, so der Bauernverband auf seiner Webseite, „habe sich der Nettostundenverdienst eines Industriearbeiters mehr als verzwanzigfacht. Da die Brotpreise nur um das zehnfache gestiegen seien, könne sich der Industriearbeiter für seinen Stundenlohn heute (2012) mehr als doppelt soviel Brot kaufen wie noch vor gut 60 Jahren.“

Das heutige Lebensmittelangebot ist sagenhaft. Wie die Münchner TZ hier über die neuen Luxusmarken „Feine Welt“ (Rewe) und „Deluxe“ (Lidl) berichtet, haben sich einfache Discounter zu Gourmet-Tempeln gemausert. Mit dem Billig-Aldi-Angebot der 80er Jahre aus einem Dutzend Kekspackerln, sechs Sorten Konserven und einer Pallette H-Milch nicht vergleichbar.

Bargeld wird in diesen Versorgungsparadiesen gar nicht mehr benötigt, man zeigt dem Frollein an der Kasse ein Plastikkärtchen oder den Bildschirm des Smartphones. Kopfschüttelnd sieht man so manchen älteren Mitbürger an diesen Lebensmitteltankstellen vorbeitappen: viel Zeit ist vergangen, seit man beim Bauern noch Milch in der Kanne und die Brezel nur beim Bäcker bekam.

Die moderne Landwirtschaft hat es, sekundiert von einer hochgerüsteten Lebensmittelindustrie geschafft, in den Industrieländern einen Menschheitstraum wahr werden zu lassen: Es gibt dort keine Versorgungsengpässe bei den Grundnahrungsmitteln mehr, man verzeichnet Überschüsse bei der Produktion und kann sich Dank trickreicher Haltbarmachung auch eine großzügige Vorratshaltung erlauben. (Und immer noch landen jährlich laut einer WWF-Studie, hier beim Spiegel allein in Deutschland rund 18,4 Millionen Tonnen Nahrungsmittel im Müll.)

Vorbei also die Szenarien, in denen ein hungerndes Volk die Beherrscher gewaltsam von der Macht trennt und sich in den Besitz ihrer Vorräte bringt. Was könnte sonst noch die von den Regierigen gefürchtete Revolte auslösen ? Neidische Blicke auf die, die mehr besitzen?

B

Es reicht, die Unterschiede mit viel, viel Geld zu nivellieren. Die böse Floskel vom „Unnützen Esser“ hat heutzutage ausgedient. Jeder kann die wichtige Funktion des „Verbrauchers“ ausfüllen, der die guten Dinge zu schätzen weiß, die eine unermüdliche Industrie täglich ausstoßen kann (muss). Wer zuviel genießt, wird sofort daran gesetzt, sich am eigenen Übergewicht abzuarbeiten und kann immer noch als schlechtes Beispiel dienen.

Hat er nicht die nötige Penunze, um sich das ersehnte Stück Genuss zu kaufen, so lässt man ihn eben anschreiben. In Form des Hypotheken-, Überziehungs – oder Konsumentendarlehens, oder eines flexiblen Guthabens in irgendeiner elektronischen Form (Geldkarte, Bezahlapp, Geschenkgutschein usw.). Solange der „rollover“ gewährleistet ist, kann das Geliehene auch später und abermals auf Pump zurückgezahlt werden, und man kann auf Garantien, ob es tatsächlich jemals zurückfließen wird, verzichten.

Wie der Guardian hier 2013 beschrieb, war die sogenannte „Ninja“ – Maxime bei der Kreditvergabe an Leute die „no income no job no asset“, also kein Einkommen, keinen Job und kein Vermögen hatten, bis zur Finanzkrise in den USA oft die Regel. Nichts deutet darauf hin, dass sich seither irgendetwas groß geändert hätte. Daran scheint der letzte Schrei in der Welt der Sozialpolitik nun anknüpfen zu wollen:

Unconditional Basic Income and Cash Transfer Programme

Zuletzt hat das in New York ansässige Roosevelt Institute (Motto: „Bis wirtschaftliche und soziale Regeln nicht allen dienen, sind sie für nichts gut“) die Auswirkungen der „Mutter aller Sozialprogramme“, also des bedingungslosen Grundeinkommens, auf das Wachstum in den USA untersucht, und herausgefunden, dass dessen Einführung „für jeden amerikanischen Volljährigen bei 1.000 US-Dollar monatlich zu einem Wirtschaftswachstum von bis zu 13,1 Prozent innerhalb der nächsten acht Jahre führen könnte.“

Man braucht Leute, die in den Malls für Umsatz sorgen, die Autos und Häuser kaufen und den Laden in Schwung halten. Ka-ching, wie es so schön im Lied von Shania Twain klingelt. Wichtigster Faktor für Wirtschaftswachstum bzw. Bruttosozialprodukt ist jenseits des großen Teichs alleine das „Consumer Spending“, also der private Konsum von Waren und Leistungen. Zentraler Stützpfeiler als Sicherheit für die enormen Schulden der privaten Haushalte die Entwicklung auf dem (Hypotheken) Häusermarkt.

Das hat man in Europa inzwischen begriffen und fleißig kopiert. Glaubt man der „Zeit“, dann wurden seit der Öffnung der Geldschleusen der Zentralbanken auch in Deutschland viele „Vermögen“ durch die Ausreichung der berüchtigten subprime-Kredite (also an nicht Kreditwürdige) geschaffen. Geld macht nicht glücklich, aber es beruhigt, die Wähler, mag man sich damals unter Finanzpolitikern und Bankiers zur Rechtfertigung gesagt haben.

Und bis heute mögen sie der Meinung sein, dass sie nebenbei endlich das Rezept für das Paradies auf Erden gefunden haben: Die Bevölkerung vermittels einer allmächtigen Produktionsmaschinerie bequem auf ewig zu versorgen. Das Kunststück, sie von einer allumfassenden Medienindustrie dauernd abgelenkt zu halten und durch eine umfassende Überwachungstechnologie so gut zu kontrollieren, dass sie nicht auf dumme Ideen oder die schiefe Bahn kommen, beherrschen sie bereits.

Wer diesem Glauben anhängt, den schreckt der Gedanke an eine Weltvereinigung nicht. Die Beseitigung der banalen Ursachen für Ungleichheit und Neid ist der perfekte Deckel auf dem Schmelztigel, in dem die gesamte Menschenheit endlich zusammenfinden kann. Jeder hat im Überfluss zu Essen, ein warmes Plätzchen, einen Flachbildfernseher an der Wand, ein Sechserpack im Kühlschrank und Geld auf dem Konto. Natürlich darf der entsprechende Pkw nicht fehlen.

Nicht wenige deutsche Spitzenpolitiker ahnen hinter den Bildern von offenen Grenzen und einer Fülle „geschenkte neuer Menschen“ die nichts anderes vorhaben, als endlich einmal nach Herzenslust zu konsumieren, diese schöne neuen Welt, in der niemand mehr schuften muss, um sich etwas zu leisten. In der sich alle rund um eine gedeckte Tafel herum gut Freund sind, und wo keinem mangelndes Benehmen oder fehlende Sprachkenntnisse übel aufstoßen.

Waren denn die letzten Befreiungen vom Joche der Unfreiheit nicht auch ein einziges großes, erfolgreiches Konjunkturprogramm? Ein Konsum-Karussell? Die enormen Zuwächse an Kaufkraft durch die Aufnahme der armen DDR-Bürger, der Sturm der Osteuropäer auf die westlichen Märkte ? Das ließe sich durch mehr Teilnehmer am Giralverkehr (hier Sparkassenwerbung in leichter Sprache) noch toppen. Mehr Menschen, mehr Geld, mehr Konsum. Das Deutsche Institut für Wirtschaft sieht da große Möglichkeiten, für die Investoren ihren „Blick erweitern sollten“.

Und wie bereits Norbert Häring schrieb, hat Khalid Koser vom Genfer Zentrum für Sicherheitspolitik, den Schluss schon gezogen, dass das Potential des „enormen Marktes, der von Migranten als Konsumenten geschaffen wird“ oft nicht genutzt werde.

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