Im Sommer letzten Jahres verkündete das Bundesministerium der Verteidigung die Absicht, 60 schwere Transporthubschrauber CH-47F in der modernsten Variante bis 2030 zu beschaffen. Finanziert werden sollten die Fluggeräte aus den Sonderschulden für die Bundeswehr, vulgo Sondervermögen. Lediglich das Parlament müsse der Entscheidung über eine entsprechende 25-Millionen-Euro-Vorlage noch zustimmen. Einen Vertragsabschluss zu diesem Milliarden-Geschäft gibt es jedoch bis heute nicht, nun ist gar von einem neuen Industrie-Angebot die Rede (siehe hier und hier).
Neben dem Nachfolger für das Waffensystem Tornado, dem ebenfalls aus US-Produktion stammenden Kampfflugzeug F-35, ist die geplante Beschaffung der CH-47F eines der größten Rüstungsprojekte der Bundeswehr: Sechs Milliarden Euro stehen dafür im Budget, bei der Auswahl der neuen Modelle soll sich sogar Kanzler Scholz eingeschaltet haben. Doch seit Beginn dieses Jahres mehren sich Meldungen, dass die von der Bundesregierung gewünschte Sonderfertigung der „Chinook“ doppelt so teuer werden könnte wie geplant. Ende Januar räumte das BMVg ein, dass der „Chinook“-Kostenrahmen möglicherweise nicht ausreiche. Gründe dafür seien Inflation, Wechselkurs und Lieferprobleme. Bahnt sich hier ein neues Rüstungsdesaster an, an denen es der Bundeswehr wahrlich nicht mangelt?
Die alte Leier: Kostenexplosion und Leistungsminderung
Das Verteidigungsministerium hatte noch zu Jahresbeginn Probleme bei der technischen Entwicklungsreife des bestellten Fliegers bestritten. Und dies entgegen einem Bericht der US-Armee vom Januar 2023 an den Kongress, in dem das Block-II-Programm massiv kritisiert wurde: „Die aktuelle Analyse zeigt, dass der CH-47F Block II nicht in der Lage sein wird, seine Leistungsanforderungen in großen Höhen und unter heißen Bedingungen erfüllen zu können.“ Auch seien aufgrund einer Reihe von Projektänderungen Zeitpläne nicht mehr aktuell.
Für mögliche Preissteigerungen werden nunmehr die Inflation, ein angeblich ungünstigerer Dollar-Euro-Wechselkurs und Lieferengpässe verantwortlich gemacht. Nachvollziehbar sind diese vorgeblichen Gründe für die in Rede stehenden milliardenschweren Preissprünge allerdings nicht. Der Dollarkurs liegt nicht wesentlich anders, als Mitte letzten Jahres. Das Ministerium streitet zudem ab, dass die Luftwaffe teure Extrawünsche habe und dass die bestellte Modifikation der CH-47F technisch nicht ausgereift sei. Entwicklungsprobleme beim Block II-Standard der Chinook gebe es nicht, behauptet das Ministerium. Wörtlich: „Es gibt gegenwärtig keine Indizien, dass die Qualifikation nicht erfolgreich abgeschlossen wird.“
Milliardenschwere Rüstungsgeschäfte werden hinter verschlossenen Türen ausgehandelt. Insofern können nicht alle Fakten bekannt sein, die zur vollständigen Beurteilung des Sachverhaltes erforderlich sind. Es deutet aber einiges darauf hin, dass entgegen allen Beteuerungen zum x-ten Mal altbekannte Fehler im Rüstungsgeschäft wiederholt werden. Von wegen keine Goldrandlösungen mehr und Kauf von der Stange: Der CH-47-Hubschrauber ist zwar eine über 50 Jahre alte Entwicklung, aber es musste die neueste und leistungsstärkste Version sein, die eben noch nicht truppenerprobt ist.
Bereits vor Jahren wurde vergeblich versucht, für die 50 Jahre alten schweren Transporthubschrauber CH-53 der Luftwaffe einen adäquaten Ersatz zu beschaffen. TE hatte am 11. Oktober 2020 hierzu berichtet. Ein Bedarf der Bundeswehr für neues Fluggerät zeichnet sich schon seit der Jahrtausendwende ab. Erst mit der überraschenden Erkenntnis einer aggressiven russischen Machtpolitik bequemte sich die Bundesregierung zu der überfälligen Einsicht, dass Teile des Flugzeugparks der Streitkräfte erneuert werden müssen. Europäische Entwicklungsansätze zusammen mit den Franzosen scheiterten, so sind die US-Anbieter konkurrenzlos – Folgen siehe oben.
Keine Goldrandlösungen und Kauf von der Stange
Die geltenden Rüstungsverfahren schreiben bereits seit der Jahrtausendwende explizit den Kauf marktverfügbarer Produkte vor, in der Praxis schert sich allerdings kaum jemand darum. Die Militärs spitzen mit hochbezahlten Fachleuten ihre Forderungen so lange zu, bis nur die exorbitant teure Neuentwicklung bleibt, oder wie im vorliegenden Fall selbst der Kauf eines Seriengerätes als nicht ausreichend erscheint. Mit bewährten Systemen den militärischen Bedarf zu decken, zwingt nun mal zu Kompromissen. Das ist nicht die Stärke der Militärs, die ziehen es vor, ihre Wünsche und Forderungen passgenau erfüllt zu bekommen. Dieses Spiel macht die wehrtechnische Industrie allerorten auch gerne mit. So hat es die Luftwaffe geschafft, für die Beschaffung der CH-47 F nicht auf truppenbewährte Versionen setzen zu müssen, sondern mit dem Block-II-Standard und zusätzlicher Luftbetankung Neuland zu betreten.
Apropos Luftbetankung: Diese komplexe und in Beschaffung wie Betrieb sehr aufwändige Fähigkeit ist für Hubschrauber reichlich widersinnig und lediglich für Extremsituationen begründbar. Für Hubschrauber auf Trägerschiffen sieht das anders aus, dort sind höhere Reichweiten kaum anders möglich. Über Flugzeugträger verfügt die Bundesmarine aber bekanntlich nicht. Im Unterschied zu Flächenflugzeugen, die einen Flugplatz mit Start- und Landebahn für Tankvorgänge benötigen, können Hubschrauber an Land aber an nahezu beliebigen Punkten zwischenlanden und Kraftstoff aufnehmen.
Verhandlungspartner sitzen am kürzeren Hebel, wenn Zeitdruck herrscht. Nachdem sträflich lange gewartet wurde, bis ein Ersatz der altersschwachen CH-53G ins Auge gefasst wurde, steht der Bund angesichts des Ukraine-Krieges unter gehörigem Zeitdruck. Hinzu kommt, dass öffentliche Auftraggeber ihre Haushaltsplanung nicht unter der Decke halten können. Die Frage der Verfügbarkeit von Haushaltsmitteln wird so rasch zum Druckmittel, das Sondervermögen Bundeswehr lockt jeden halbwegs talentierten Verkäufer. Kein Wunder, dass die Preise nur eine Richtung kennen. Die Bundeswehr täte jedenfalls weiterhin gut daran, den Zeitdruck durch vorsichtige Ersatzteilbeschaffung für die vorhandenen Hubschrauber und eine vorbeugende Materialerhaltung zu reduzieren. Die vorhandenen CH-53G-Flieger werden am Ende auch noch ein paar Jahre länger durchhalten.
Ignoranz der Verantwortlichen
Die Verantwortlichen sollten zudem Zusatzforderungen gegenüber einem Serienkauf überdenken und die Komplexität von Wehrmaterial nicht immer noch höher treiben. „Die Bundeswehr braucht robustes Material“, sagte der frühere Generalinspekteur Eberhard Zorn. „Unsere Fahrzeuge müssen verlässlich und einsatzbereit sein. Sie müssen noch fahren, selbst wenn sie schon mal angeschossen wurden.“ Höchste Zeit für diese Erkenntnis, der Ball liegt im Spielfeld der Militärs. Allerdings hat es derartige Erleuchtungen auch schon vor Jahrzehnten gegeben. Der Lerneffekt blieb überschaubar.
Ob bewaffnete Drohnen, Ersatz des Kampfbombers Tornado oder nun ein neuer Transporthubschrauber – die jahrzehntelange Ignoranz rächt sich nun. Was andere Nationen längst realisiert haben, bewegte hierzulande nur ewig Gestrige. Anspruch und Wirklichkeit der sogenannten Parlamentsarmee klaffen meilenweit auseinander. Wenn Ersatzentscheidungen zu spät fallen, gerät man in Krisenzeiten in die Bredouille und sitzt am kürzeren Hebel.
So wie Politik und nicht zuletzt auch das Militär mit Rüstungsprojekten umgehen, ist es nicht verwunderlich, wenn selbst 6.000 Millionen Euro für 60 Hubschrauber nicht ausreichen. 100 Millionen Euro pro Fluggerät, die schlimmstenfalls verdoppelt werden müssen! Mal sehen, zu welchen Konditionen das maßlos überteuerte Täubchen auf dem Dach realisierbar sein wird.