Ist der Muezzin-Ruf vergleichbar mit dem Läuten der Kirchenglocken? Was als Sondermaßnahme begann, hat mittlerweile eine landesweite Debatte ausgelöst. Offenbar wird: Es handelt sich um eine Grundsatzdebatte. Der entscheidende Vorstoß, den Muezzin-Ruf zu verstetigen, kam nicht von muslimischen Verbänden, sondern von der Krefelder FDP. DITIB-Lobby hin, Koordinationsrat der Muslime her: Nicht der Islam selbst, sondern ein falsch verstandener Säkularismus ist der Brandbeschleuniger abendländischer Zerfaserung.
Das Mittagsläuten ist in sich kein Teil des christlichen Kultes
Die kulturrelativistische Sicht auf den Muezzin-Ruf wurzelt dabei nicht nur im Unwissen über die Bedeutung des islamischen Glaubensbekenntnisses; der ehemalige Gesundheitsminister Hermann Gröhe hat ihn richtigerweise als „kultische Handlung“ eingeordnet, der Theologe Johannes Hartl spricht von einer „imperialistischen Proklamation“. Hier liegt der wunde Punkt: Ob Aufruf zum Angelus oder Erinnerung an den Sieg über die Türken bei Belgrad – das Mittagsläuten ist in sich kein Teil des christlichen Kultes, der in der Öffentlichkeit zelebriert wird. Zugleich vereint der Ruf mit seinem Exklusiv- und Dominanzanspruch das alte islamische Übel von Politik und Religion.
Der Streit berührt demnach nicht die reine Frage nach der Freiheit der Religionsausübung. Denn entgegen dem vom Minarett geschmetterten Adhan-Gebetsruf ist das Kirchengeläut ein tausendjähriger Bestandteil religiöser wie kultureller Tradition Europas. Hinter der Frage nach dem Muezzin verbirgt sich neuerlich die unerledigte Debatte darüber, ob der Islam zu Deutschland gehört oder nicht. Die Gleichsetzung relativiert gewachsene Strukturen des alten Kontinents zugunsten säkularer Prinzipien. Damit geht die Frage einher, in welchem Land wir leben wollen: in einem, das auf historischen Traditionen und Werten fußt, oder einem, das aus Angst vor Intoleranz seine Identität verleugnet.
Dieser Beitrag erschien zuerst in Die Tagespost. Katholische Wochenzeitung für Politik, Gesellschaft und Kultur, der wir für die freundliche Genehmigung zur Übernahme danken.