„Vier von fünf Menschen können ihre Religion oder Weltanschauung nicht uneingeschränkt ausüben (…)“, so lässt das Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung verlauten. Eine bedrückende Aussage: Während im areligiösen globalen Westen viele Menschen von ihrem Recht auf Freiheit von Religion Gebrauch machen, gerät aus dem Blickfeld, dass Glaube und Religiosität zu den grundlegenden menschlichen Regungen gehören: Religions- und Weltanschauungsfreiheit ist essenziell, um sich als Individuum frei entfalten zu können.
Um dieses Grundrecht zu stärken, haben sich 38 Länder aus allen Erdteilen zur International Religious Freedom or Belief Alliance (IRFBA) zusammengeschlossen: Eine Vereinigung, innerhalb derer so unterschiedliche Länder wie die USA, Deutschland, Kolumbien, aber auch Albanien oder Kamerun gemeinsam nach Wegen suchen, um für Religionsfreiheit einzutreten.
Während die Internationale Konferenz der Allianz in diesem Jahr vom 10. Bis 11. Oktober in Berlin tagte, luden Experten verschiedener Organisationen bereits am Vorabend der Konferenz in die ungarische Botschaft unweit des Brandenburger Tores ein.
„Polite Persecution“ – Wenn man nicht das Leben, aber seinen Job verliert
Hinter dem Titel „FoRB and Tolerance for Tradition: The Challenge for the Pluralistic West“ (zu Deutsch leider etwas sperrig: „Religions- und Weltanschauungsfreiheit und Toleranz für Tradition: Eine Herausforderung für den pluralistischen Westen“) verbarg sich ein außerordentlich wertvoller Beitrag zum Diskurs über Religionsfreiheit. Die Anwesenden gingen einem Phänomen auf den Grund, das in einer Gesellschaft, in der Debattenräume enger werden und ein festgelegter Meinungsrahmen den Menschen das Gefühl gibt, ihre Gedanken nicht frei äußern zu dürfen, längst nicht nur für religiöse Menschen von Relevanz ist – wenn es auch derzeit vor allem Christen im globalen „Westen“ betrifft: Die „polite persecution“, also „höfliche Verfolgung“. Ein Begriff, der auf Papst Franziskus zurückgeht, wie Dr. José Luis Bazán, Beauftragter u.a. für Religionsfreiheit der Kommission der Bischofskonferenzen der EU (COMECE), erläuterte.
Obwohl sich gewalttätige Ausschreitungen gegen Christen auch in Europa und Nordamerika häufen, überwiegt hier noch eine „weiche“ Verfolgung. Man verliert nicht sein Leben, wohl aber seine Reputation, riskiert seine berufliche Existenz und muss aufgrund seines Glaubens über Jahre hingezogene zermürbende Gerichtsprozesse befürchten. Diese Form der Repression hat mittlerweile beunruhigende Ausmaße angenommen:
Drei Fälle, die zweierlei deutlich machen. Religionsfreiheit ist mit anderen Grundrechten untrennbar verbunden. Wo sie beschnitten wird, leiden etwa auch Meinungs- und Pressefreiheit. Und: Solche Übergriffe finden keineswegs nur in totalitären Systemen statt. Ausgerechnet in den westlichen Demokratien wird zunehmend eingeschränkt, was gesagt werden darf, ja, das stille Gebet in Gedanken wird potenziell zur Straftat.
Religion ist Teil der Lösung, nicht des Problems
Dies zu erkennen, ist für die meisten Europäer mit einem grundsätzlichen Umdenken verbunden: Die Überzeugung, dass Religion „das Problem“ sei, und zu Fanatismus, Gewalt und Intoleranz führe, ist seit der Aufklärung populär und durch zahllose Vorurteile, antichristliche Propaganda und Falschinformationen tief in den Köpfen vieler Menschen verankert. Verstärkt durch das marxistische antireligiöse Ressentiment glauben immer noch viele, Religion sei „Opium fürs Volk“, obgleich wir in postmodernen Gesellschaften genau das Gegenteil erleben: Die relativistische Weltanschauung und die Förderung von Hedonismus bewirken, dass Menschen über komplexere Fragen der Existenz nicht mehr nachsinnen, und sich stumpf allen möglichen Narrativen zuwenden, von Verschwörungstheorien bis Klima-Kult, von Esoterik und Astrologie bis zur völligen Negierung jeglicher Transzendenz. Die Abwesenheit von Gott im öffentlichen Leben stellt offensichtlich weder Toleranz noch Freiheit noch Fortschrittlichkeit sicher.
Ein Beleg dafür ist etwa der Hang zur Dehumanisierung, der immer wieder bei kontroversen Themen auftaucht: Da werden Menschen, die man für rechtsextrem hält, als „Nazischweine“ betitelt, andersherum werden Juden oder Muslime in ähnlicher Weise beschimpft und mit Tieren gleichgesetzt; wer in den kritischen gesellschaftlichen und politischen Fragen anderer Meinung ist, verliert den Anspruch darauf, gehört zu werden: Cancel Culture statt Toleranz.
Diese interessante Sachlage erfordert also von Europäern, liebgewordene Vorurteile fallen zu lassen, und der absurden Tatsache ins Auge zu blicken, dass ausgerechnet der Relativismus ein großes Potential in sich birgt, eine Tyrannei der Intoleranz zu etablieren.
Der außereuropäische Blick als Korrektiv
Dies macht die außereuropäische Perspektive deutlich: Marcela Szymanski von Kirche in Not etwa schilderte die Auswirkungen des „Exports“ der westlichen säkularistischen Weltanschauung in den globalen Süden, wo Geld als Druckmittel eingesetzt wird, um Politik und Zivilgesellschaft westliche Vorstellungen aufzuzwingen.
Spannende Einblicke steuerte auch Eugene Yapp bei, ein Pastor aus Malaysia, der von religiöser Koexistenz in seiner multiethnischen und multireligiösen Heimat berichtete. Er charakterisierte Südostasien als Raum, in dem Religion traditionell eine wichtige Rolle spiele, und wo dementsprechend Respekt vor religiösen Traditionen der Schlüssel sei, um das friedliche Zusammenleben von Menschen verschiedenster religiöser Traditionen zu gewährleisten. Ein beschämendes Bekenntnis zu echter Pluralität, wenn zuvor Dr. Katharina von Schnurbein, Antisemitismusbeauftrage der Europäischen Kommission, darlegte, wie europäische Länder verschiedentlich versuchten, religiöse Traditionen zu unterbinden: Márk Aurél Érszegi, Sonderbeauftragter für Religion und Diplomatie des ungarischen Außenministeriums, hob diese bewahrenswerte Vielfalt hervor, die das Wesen Europas eigentlich auszeichnet. Mit dem senegalesischen Justizminister Ousmane Diagne war eine Stimme aus Afrika präsent, die ebenfalls die Diversität religiöser Ausdrucksformen und ihren Beitrag zu einer stabilen Gesellschaft hervorhob: Beiträge, die das Selbstbild des Westens als Hort der Freiheit in Frage stellen.
Die religiöse Perspektive steuert notwendige Kritik zum Diskurs bei
Statt die Probleme zu verdrängen, die ein areligiöser Lebenswandel mit sich bringt, sollte die Gesellschaft solche Impulse, die von religiösen Weltanschauungen ausgehen, als notwendige Kritik aufnehmen: Schließlich erleben wir eine tiefe Krise des Westens, die mit Sicherheit nicht von Religion ausgeht, deren identitätsstiftende Qualität und deren Einfluss in Europa seit Jahrzehnten, genau genommen seit mittlerweile gut zwei Jahrhunderten stetig zurückgedrängt wird.
In diesem Sinne stellte auf der Tagung Todd Huizinga, Leiter der europäischen Sektion des Instituts für Religionsfreiheit (Religious Freedom Institute, RFI) eine Deklaration in Aussicht, die den Mitgliedsstaaten der Allianz für Religions- und Weltanschauungsfreiheit vorgelegt werden soll, und mit der betont wird, dass Religionsfreiheit für alle auch das von religiösen Überzeugungen gespeiste Festhalten etwa an traditionellen Auffassungen über Ehe, Familie und die menschliche Natur einschließen muss.
Es ist ernüchternd, dass mittlerweile weltweit Religionsgemeinschaften einem solchen Druck ausgesetzt sind, dass diese Feststellung überhaupt notwendig ist: Die Freiheitlichkeit des Westens basiert wesentlich auf einem Menschenbild, das seinerseits auf einem Gottesbild beruht – denn aus dem christlichen Gottesbild bezieht der Westen sein Verständnis von Würde, Person und letztlich Freiheit. Freiheitsrechte sind nur dann gewahrt, wenn das Festhalten an einem auf Religion fußenden Welt- und Menschenbild ebenso geschützt und geachtet wird, wie jede andere Weltanschauung.