In einem Interview mit NDR-Info sagte Thüringens Verfassungsschutzpräsident Stephan Kramer am 27. Juni 2023 mit Blick auf den demoskopischen Höhenflug der AfD und die Wahl eines AfD-Manns zum Landrat im Kreis Sonneberg (Thüringen): „Wir sind bei 20 Prozent braunem Bodensatz in der Bundesrepublik.“
Das ist – AfD hin oder her – eine äußerst seltsame Wortwahl eines B4-Beamten und Verfassungsschützers, und zwar eine Wortwahl, die dem „Wörterbuch des Unmenschen“ der renommierten Professoren und Autoren Dolf Sternberger, Gerhard Stolz und W.E. Süskind aus dem Jahr 1962 entstammen könnte. „20 Prozent brauner Bodensatz“: Damit meint Kramer jeden fünften Bundesbürger, der sich aktuell vorstellen kann, von seinem Wahlrecht (!) „im besten Deutschland, das es je gab“ (Steinmeier, 2020), zu Gunsten der AfD Gebrauch zu machen. Aber Hassprediger und Verschwörungstheoretiker sind ja immer die anderen, oder?
Nun, Kramer scheint endlich seine Bestimmung gefunden zu haben. Nach Jahren der Suche nach politischer und ideologischer Identität ist er dort angekommen, wo er Sätze wie die vom „Bodensatz“ meint, sagen zu können. Hier seine politische Vita in Kurzfassung:
- Mitglied der Jungen Union, dann der CDU, dann der FDP, Mitarbeiter bei Abgeordneten, zuletzt und nach wie vor Mitglied der SPD;
- Konversion zum Jüdischen Glauben;
- Beginn und Abbruch des Jurastudiums;
- Generalsekretär des Zentralrats der Juden in Deutschland (2004 bis 2014);
- Mitglied im Stiftungsrat der Ex-Stasi-Mitarbeiterin Anetta Kahane (1974 bis 1982 als „IM Victoria“) gegründeten und bis 2022 geleiteten Amadeu-Antonio-Stiftung;
- Erwerb eines FH-Bachelor- und Masterabschlusses (2015) in Sozialpädagogik;
- seit 1. Dezember 2015 Präsident des Amtes für Verfassungsschutz in Thüringen (wiewohl für dieses Amt die Befähigung zum Richteramt, also eine juristische Vollausbildung Voraussetzung ist).
Kramers Chef ist Thüringens Innenminister und 8,2-Prozent-SPD-Landesvorsitzender Georg Maier in einer seit Februar 2020 bestehenden dunkelrot-rot-grünen Minderheitsregierung. „Demokratisch“ legitimiert eben!
Wenn die AfD in Deutschland an die Regierung käme, würde Kramer noch am selben Tag mit seiner Familie auswandern, sagte er nach der Sonneberg-Wahl dem israelischen Sender „Kan“. Ob er nach Israel geht? Es könnte auch Russland werden. Im Mai 2015 posierte Kramer zusammen mit den motorradfahrenden „Nachtwölfen“ (genannt „Putin-Rocker“) auf einem Bild bei einer Kranzniederlegung am sowjetischen Ehrenmal auf den Seelower Höhen (Vierter von links im Bild).
Bis zu seiner angedrohten Ausreise wird wohl noch so viel Zeit bleiben, dass sich Kramer das „Wörterbuch des Unmenschen“ zu Gemüte führt. Selbige Lektüre würde auch seinem Dienstherrn Innenminister Maier nicht schaden. Vielleicht reicht es dann doch noch für eine nette kleine Rüge. Denn all die Kritiker der realen oder potenziellen Wähler der AfD erreichen nur eines: dass die AfD-Anteile weiter steigen. Insofern wäre einmal angesagt, was sonst in Wissenschaft und Wirtschaft längst üblich ist: eine Evaluation des „Erfolgs“ aller bisheriger Kritiken und Maßnahmen an und gegen die AfD.