Tichys Einblick
Migration, Integration, Definition - vom Bundeskongress der "neuen Deutschen"

This land is your land – Die Deutschen 2.0

Wenn man extra betonen muss, dass man Deutscher ist, ist man es dann wirklich? Und ist das nicht doch irgendwie unschicklich? Wenn man die Medien der letzten zwei Monate liest, dann ist nichts unschöner, nichts unsäglicher, nichts beschämender, nichts näher am Erdkern, als Deutscher zu sein. Und warum spielt das in einem Europa ohne Grenzen denn überhaupt eine Rolle, ob man nun Deutscher oder Italiener oder Spanier ist? We are all Europeans, oder nicht?

Hidschab – freiwilliger Wahn

Bei einigen Europeans tut man sich halt etwas schwerer. Es tut mir jetzt auch sehr leid, das sagen zu müssen. Aber es fängt schon mal beim Tragen des Kopftuchs an, was ich für einen rückschrittlichen Vorgang halte. Und bevor ich jetzt den Ventilator wegen eines vermeintlichen Shitstorms raushole: Meine Halbschwester hat sich ebenfalls zum Tragen des Hidschab entschlossen. Nicht, dass sie dazu jemand gezwungen hätte. Nein, mein früherer Schwager hatte uns sogar explizit darum gebeten, ihr das neuerliche Tragen tunlichst wieder auszureden. Es gibt sie noch, die liberalen Muslime. Bis heute weiß niemand, warum sie sich die Tücher über ihren prächtigen Haarschopf zieht. Es tut nicht not. Keiner zwingt sie. Es ist nicht ihr Ex-Mann, es ist nicht ihr neuer Mann, es ist Teil ihrer kulturellen Identität. Ohne, dass sie selbst weiß, was diese kulturelle Identität denn nun wirklich bedeutet. Nun hieß es zuletzt irgendwo, dass irgendwelche Spätaussiedlerdamen auch Kopftuch tragen würden, ebenso wie griechische Yiayias. Mag alles stimmen. Aber wenn man nicht gerade an Krebs erkrankt ist, eine Chemotherapie unterläuft und einen dadurch kahl gewordenen Kopf bedecken möchte, hat das Kopftuch in unseren Breitengraden als Kopfbedeckung heute weitestgehend ausgedient. Aber wenn es so ist, muß man sie fördern, die Andersartigkeit?

Der Satz „Man zieht sich an für den Job, den man haben will“ trifft genau so zu. Ich möchte auch oft lieber in gemütlichen Turnschuhen zum Termin schluffen. Aber so funktioniert das nicht. Wenn ich trotzdem partout nicht darauf verzichten möchte, dann ziehe ich nach Berlin, werde Hipster und gründe ein Bio-Food-Versand StartUp. Ich betreibe kein oberfragwürdiges Terraforming per Beschwerdebrief oder-konferenz, dass sich meine Umwelt doch gefälligst meinem präferierten Dresscode anzupassen hat.

Punker mit Irokesenschnitt, Rocker mit offensichtlichen Piercings und Fleischtunneln, Männer wie Frauen mit zu offensichtlichen Tätowierungen, werden ebenso wenig gerne eingestellt, wie Frauen, die ein Kopftuch tragen. Woran könnte das liegen? Kleiner Tip: Es liegt nicht an einem mangelnden, zugegeben durch gesellschaftlichen Druck erzwungenen Respekt, den man Frauen muslimischen Glaubens entgegenbringt. Sondern eher an der kulturellen Ferne zur Gegenwart, die wenig Leistung erwarten lässt. Das gilt nicht nur für Muslime, auch für den alteingesessenen White Trash, der sein Versagen vor sich herträgt wie eine Leuchtschrift. Man darf ja gerne anders sein, nur sollte man auch die Konsequenzen tragen.

Leuchtschrift der Andersartigkeit

Ehe man darüber jammert, sollte man also gelegentlich über Semiotik nachdenken. Das ist gar nichts kompliziertes. Es ist die Lehre von den Zeichen, den Signalen, die man aussendet und ständig empfängt – und interpretiert. Das geht vielen „neuen Deutschen“ ähnlich zB. mit Trägerinnen von Hotpants.

So eine ungewollte Leuchtschriftveranstaltung gab es jüngst in Berlin; den Bundeskongress der „neuen Deutschen“, der dort stattgefunden hat. Wie bitte? Die „neuen Deutschen“?! Wer sind dann die alten? Sind die neuen jetzt irgendwie automatisch besser und verhalten sich wie ein Apple 6 zum Apple 4? Ist das sowas wie die Bayern, die irgendwie auch nicht verstehen, wenn die Mecklenburger Omi ihr komisches Platt schwatzt? Wenn das mal nicht nach Fundamentalismus par excellence klingt. #Aufschrei!, übernehmt, hysterische Schwestern! Ich bekenne mich schuldig. Ich klatsche nicht dazu. Denn nicht nur, dass wir uns wieder selbst ausgrenzen; die Nase so hoch zu tragen, dass es reinregnet, ist auch ein Zeichen. Und dann wollt ihr noch Quoten – überall. Im Job, an der Uni, und natürlich im Rundfunkrat.

Ahnenforschung für Migranten-Quoten?

Aber wie bestimmt ihr denn die Quoten? Ist derjenige, der nach 20 Jahren immer noch einen ungeklärten Flüchtlingstatus hat, aber hier eine Existenz, Familie und Leben – ist der dann kein Neudeutscher? Und ab welcher Generation darf er das sein? Machen wir jetzt wie die Urgroßväter der Alt-Deutschen wieder so eine Art Ahnenforschung – Ganz-Ausländer in der ersten Generation, dann langsam Viertel-Ausländer, ab Achtel-Ausländer bist du Neudeutscher, und heiraten hilft auch, dass du Deutscher wirst, ehemaliger Chinese? Kriegen Afrikaner einen Auffälligkeitsbonus im Status?

Es ist schon komisch, wenn eine deutsche Lehrerin den kleinen Mohammed kuhäugig fragt: „Und Du fastest nicht im Ramadan?“ Oder wenn sie ihm keine Goldbärchen gibt, wegen des beinhaltenden Schweineglibbers, aus dem die gemacht sind. Im Alltagsleben werden heute Migranten von gutmeinenden Herkunftsdeutschen als das behandelt, was sie gar nicht sein wollen: Als Ausländer mit Extra-Bonbon. Ausgrenzung erfolgt aus Gutmenschentum, ein seltsames Paradox. Die Ausgrenzung erfolgt über ein Übermaß an Rücksicht, die uns in Rollen zwingt, die wir eigentlich gerne überwinden wollen, und wenn man sich die Inhalte des „Bundeskongress der neuen Deutschen“ so anhört, dann geht es erst richtig los und wird sogar institutionalisiert.

Vermutlich haben die Initiatoren nicht gewollt, dass wir wieder mit dem „A“ gekennzeichnet werden, das vermutlich im Paß eingetragen wird für „Ausländerkind“ und uns als jene ausweist, für die dann die Quote gilt. Ihr „neuen Deutschen“ seid wirklich etwas hinter der Zeit, wenn ihr so gar nichts von der deutschen Geschichte gelernt habt.

Auch Schweigen kann laut sein

Klar. Mitbestimmen und mitregieren wollen wir, wir deutschen Kinder und Enkelkinder von Migranten. Gut gebildet sind wir, studiert und kritisch, manche politisch engagiert. Aber let’s face it: Nicht alle. Ein Teil von uns macht leider immer noch durch Überfälle, Gewaltakte, rassistische Übergriffe und neuerdings auch von Ausreisewellen in Kriegs- ähhh, syrische Erholungsgebiete von sich Reden. Und die Herkunftsdeutschen, so wie auch ein Teil von uns „neuen Deutschen“ (whatever that means), merken sehr genau: wenn bei der Berichterstattung komplett ausgelassen wird, welcher Nationalität oder Herkunft der Angreifer angehört, desto klarer ist dann auch, dass sein Name nicht Horst Müller lautet. Jede Nichtberichterstattung, jedes brüllende Verschweigen und jedes beredte Drumherumgerede stigmatisiert uns alle. Ich glaube, das machen sich die wenigsten Journalisten in ihrer Zensurhoheit und ihrer „Wir, die guten“-Welt voller gutgemeinten Taten klar. Wohin der Weg führt, der mit den gutgemeinten Taten gepflastert ist, wissen sie?

Da bekommt ihr mal eine klitzekleine Idee von der Generationenschuld, mit denen sich die Herkunftsdeutschen herumschlagen müssen und womit sie durch im Staatsapparat festgezeckten Alt-68er kleingehalten werden. Sowas gehört hier zum guten Ton. Wenn man das nicht mitbekommen hat, wenn man das nicht verstanden hat, wenn man das nicht mit sich rumschleppt, dann gehört man tatsächlich nicht dazu. Da wollt ihr nicht durch. Was könnt ihr auch dafür? Und was können Herkunftsdeutsche für die Verbrechen ihrer Ahnen? Auf welcher Basis ihr meint, stets und ständig weiter eure nicht enden wollenden Forderungen abzuleiten? Logisch betrachtet liegt hier ein sehr großer Widerspruch.

Genau genommen ist dieses permanente Fordern, verbunden mit der mangelnden Akzeptanz von euch gegenüber „Herkunftsdeutschen“, die mit Nonkonformität auch so ihre Schwierigkeiten haben, eines der eigentlichen Probleme.

Nein, nicht nur uns Neudeutschen geht es gelegentlich an die Nieren, die machen sich schon selber auch genug Probleme. Versteht ihr denn das Wesen der „Herkunftsdeutschen“ in diesem Land, zu dem ihr dazugehört und in das ihr hineingeboren wurdet? Ihr seht bis zu eurem Horizont, der viel näher vor eurer Nasenspitze endet, als ihr euch gegenseitig einredet. Wenn man dazugehören will, heißt es auch zu verstehen – und anzunehmen. Dazugehören heißt nicht: Ich stülpe drüber und setze mein(en) Kopf(tuch) durch und verlange, als Opfer gequotet zu werden. Denn nichts anderes macht so eine Quote aus einem. Ein Opfer.

Der Amerikaner Woody Guthrie hat es in „This Land is your Land“ so schön besungen. Während wir uns hierzulande noch über Religionsunterricht ja/nein, wenn ja/nein, dann wie/wo/was mit wem herumschlagen, wird in den amerikanischen Schulen „This Land is your Land“ von allen Schülern gesungen, was insgeheim als zweite Nationalhymne der USA gilt. „This land is your land, this land is my land, this land was made for you and me.“

Ich verstehe das Genervtsein darüber, über den Namen immer wieder darauf angesprochen zu werden, woher man denn kommt: – Woher kommen Sie? – Aus Oer-Erkenschwick. – Aha, aber jetzt mal wirklich? – Aus Oer-Erkenschwick! – Aber woher kommt der Name? – Von meinen Eltern. – Und woher kommen die? – Aus Essen und Garmisch-Patenkirchen.

Ich will keine Quote sein, auch keine Doppelte

Beim gefühlten 500. Mal gefragt werden, ist es manchmal etwas mühsam, zugegeben. Aber nach einigen Jahren Expertise ist es wirklich lustig, Herkunftsdeutsche und Herkunftsamerikaner (äh…) sowie Herkunftsfranzosen durch so einen Konversationsablauf selbst darauf zu bringen, dass Fragen natürlich ok, aber nicht wirklich zielführend sind. Ist außerdem sehr viel netter und bringt einander näher als dieses „Ich bin ein rosa Kaninchen, aber ich möchte darauf nicht mehr angesprochen werden“-Ding. Wenn man damit ein Problem hat, heiratet man entweder ein oder man beantragt einen Namenswechsel. Denn eins ist klar, Müller, Schulz und Bauer wird immer, immer, immer leichter zu buchstabieren sein, als Yilmaz, Daimatoglou und Rastapopoulos. Deal with it oder verklagt eure Eltern.

Quoten sind albern. Quoten brauchen schwache Menschen. Sind wir schwach? Das sehe ich nicht so. Quoten stigmatisieren erneut und immer wieder. Wollt ihr denn wirklich der „Quotendeutsche“ in irgendeinem Betrieb sein? Und wir Frauen – wir sind dann die Doppelquote – und wenn wir Frauen lieben, dann hat der Betrieb seine Quote gleich dreifach erfüllt?

Oder wollt ihr nicht vielmehr wegen eurer Leistung, wegen eurem gewinnenden Wesen, wegen eurem Humor oder eurem Durchsetzungsvermögen anerkannt werden? Einerseits wollt ihr doch bunt sein und die bereichernde Würze in dieser neuen Gesellschaft – und auf der anderen Seite amtlich anerkannt Deutsch 2.0? Bitte klärt das doch mal. Ein bißchen schwanger geht auch nicht.

Wenn ihr mit eurem Namen etwas erreichen wollt, integriert euch wirklich und ohne Hintertüren. Legt das ab, was euch abgrenzt. Wie sehr das kleidungs- und wie sehr kopftechnisch der Fall ist, könnt nur ihr für euch selbst klären.

Ich weiss nur: Ich habe hier alle Chancen bekommen, deutlich mehr als ich ergreifen konnte und kann. Mit meinem Namen, mit meiner Bildung, eben mit dem, was ich bin. Dazu brauchen wir keinen „Beauftragten für Übergangsdeutsche„.




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