Tichys Einblick
Posse in der Hauptstadt

Berlin: „Die Vögel“, neue Version

Noch vor den allgegenwärtigen Hundehaufen ist Taubenkot das prägende Merkmal im Straßenbild der Bundeshauptstadt. Dagegen will der Senat jetzt etwas unternehmen. Das erweist sich als schwierig, denn das ebenfalls allgegenwärtige Beauftragtenunwesen stellt sich quer.

picture alliance / Schoening | Schoening

„Drei weiße Tauben, die scheißen mich zu“, so sang einst die Blödel-Band „Erste Allgemeine Verunsicherung“, und sie traf die Gefühlslage vieler Stadtbewohner mitten ins Herz. Die einst domestizierten und inzwischen wieder verwilderten Vögel sind längst eine echte Landplage.

Tauben sind nur mäßig intelligent, aber dafür gegenüber anderen Vogelarten drastisch aggressiv. Sie sind Träger und Überträger aller möglichen unangenehmen Krankheiten. Außerdem sind sie enorm gefräßig, haben einen außerordentlich fleißigen Stoffwechsel – und vermehren sich wie blöde. Vor allem dort, wo viele Menschen sind, sind auch viele Tauben. Das führt dazu, dass mittlerweile Unsummen für den Schutz vor – und die Beseitigung von – Taubenkot ausgegeben werden müssen.

Berlin zum Beispiel leidet nicht nur unter seinen Politikern und deren Wirken, sondern auch unter schätzungsweise 20.000 Stadttauben und deren Hinterlassenschaften. Seit Jahren versucht der Senat, das lästige Problem in den Griff zu bekommen – bisher ausgesprochen erfolglos.

„Geh ma Tauben vergiften im Park“, so sang einst der unvergessene Georg Kreißler, und auch er sprach vielen Stadtbewohnern durchaus aus dem Herzen. Aber was 1956, im Entstehungsjahr seines Liedchens, noch als akzeptable Methode der Schädlingsbekämpfung galt, fällt im woken 2024 als Option aus.

Wenn Extermination nicht geht, dann kann man vielleicht ja aber zumindest den Tauben-Nachwuchs begrenzen, so dachte sich Verbraucherschutzsenatorin Felor Badenberg. Die Tiere von einer chinesischen Ein-Ei-Politik zu überzeugen, erschien relativ aussichtslos. Deshalb präsentierte die CDU-Politikerin jetzt eine andere Idee:

Verhütungsmittel für Vögel.

Nein, das ist kein Scherz: Der Senat will sozusagen die Pille für die Taube ausstreuen. Nicarbazin heißt das Mittelchen, so steht es in den offiziellen „Leitlinien für die Erarbeitung eines berlinweiten Stadttaubenmanagements“ (cooler Name übrigens). Entsprechende Medikamente würden seit Jahren in Belgien, Italien, Kanada und den USA zur Bestandskontrolle von Haustauben und Wildgänsen eingesetzt.

Doch wir wären nicht in Berlin, wenn das jetzt einfach gemacht werden könnte. Da sei die Landestierschutzbeauftragte vor: Kathrin Herrmann lehnt die Verfütterung von Nicarbazin ab, denn das verstoße gegen das Artenschutzrecht. Außerdem handele es sich um einen genehmigungspflichtigen Tierversuch.

Berliner Verhältnisse
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Die radikale Tierversuchsgegnerin Herrmann sorgte schon bei ihrem Amtsantritt 2020 für Entsetzen. Sie machte deutlich, dass sie es als ihre Mission empfindet, jegliche Art von Tierversuchen – auch in der medizinischen bzw. pharmazeutischen Forschung – aus Berlin zu vertreiben: „Fokus Berlins ist es, die Hauptstadt der tierfreien Forschungsmethoden zu werden. Dies wird ein Schwerpunkt meiner Tätigkeit sein.“ Tatsächlich sind seitdem einige bedeutende Wissenschaftler abgewandert.

Jetzt hat sich Herrmann offenbar die Verteidigung der gemeinen Stadttaube auf ihre Fahnen geschrieben – warum auch immer. Und auch bei ihrer neuen Mission macht sie keine Gefangenen: Um die Taubenpopulation in der Stadt zu begrenzen, will der Senat nämlich auch die Ansiedlung von Greifvögeln prüfen, zum Beispiel Turm- und Wanderfalken. Doch auch das bringt Herrmann auf die Barrikaden: Der Plan sei untauglich.

Immerhin: Dass man die Falken zunächst auf die Bestimmungen des Tierschutzgesetzes hinweisen müsse, sagte Frau Herrmann nicht.

Dafür schlägt die Landestierschutzbeauftragte in einem eigenen Alternativkonzept sogenannte „betreute Taubenschläge“ vor. Dort werden kontinuierlich von geschultem Personal die Eier der Tauben gegen Attrappen ausgetauscht. Dies sei die „einzige Maßnahme, die (…) die gesundheitliche Betreuung von Stadttauben sicherstellt“, heißt es in dem Papier.

Solche Fürsorge für die gefiederten Schädlinge hat erwartungsgemäß ihren Preis: Im Bezirk Marzahn-Hellersdorf läuft gerade ein Pilotprojekt für so einen „betreuten Taubenschlag“. Kostenpunkt: 18.000 Euro.

Eine Stadt, die sich so etwas leistet, kann eigentlich keine wichtigen Probleme haben.

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