Nur wenige Wochen hat es nach dem NATO-Abzug gedauert, bis die Gotteskrieger in Afghanistan wieder die Macht übernehmen konnten. Die Provinzen und Distrikte fielen in atemberaubender Geschwindigkeit, der Regierungschef setzte sich ins Ausland ab. Die afghanische Armee ist pulverisiert, an deren Depots mit Waffen, Munition und Ausrüstung bedienen sich nun die radikal islamischen Taliban. Ein verheerendes Ergebnis des an eine überstürzte Flucht erinnernden Rückzugs der westlichen Truppen.
All die Waffen und das in Teilen aktuelle Gerät, das im Wesentlichen die US-Amerikaner der afghanischen Armee geliefert haben, ist damit in die Hände der Taliban gefallen. Neben einer Million Handfeuerwaffen und unzähligen Schuss Munition nebst Raketenwerfern und Sprengstoffen ist das ein militärischer Fuhrpark von rund 8.500 geländegängigen Fahrzeugen (Humvees) über Lastkraftwagen bis zu etwa 600 Schützenpanzern. Doch nicht nur das: Die Taliban verfügen nun gar über 68 leichte Kampfhubschrauber vom Typ MD 500 „Defender“, 19 brasilianische Bodenkampfflugzeuge A-29 sowie 16 Transporthubschrauber “Blackhawk“. Selbst aktuelle US-Aufklärungsdrohnen des Typs „ScanEagle“ vom US-Hersteller Boeing sollen sich darunter befinden. Siehe hier.
Geht es eigentlich noch einfältiger, ist der außenstehende Beobachter geneigt zu fragen? Wie kann man nach 20 Jahren Krieg mit Tausenden gefallenen Soldaten und Zehntausenden getöteten Afghanen über Nacht alles stehen und liegen lassen, ohne substanzielle Vorkehrungen für die Zeit danach zu treffen? Die Unzuverlässigkeit der afghanischen Sicherheitskräfte war allseits bekannt, darüber gab es zahllose Berichte. Waffen, Munition und Benzin wurden meistbietend verscherbelt, die allgegenwärtige Korruption blieb der eigentliche Treibstoff des Landes. Ohne die Berater und Ausbilder der westlichen Staaten, ohne militärische Unterstützung wäre in den letzten Jahren kaum ein Militäreinsatz gegen die Untergrundarmee erfolgreich gewesen.
Wie konnte man auf ein Konzept setzen, mit dem die afghanischen Truppen von jetzt auf gleich sich selbst überlassen wurden? Es ist nicht wirklich überraschend, dass ganze Einheiten keinen Schuss abgefeuert haben und sofort übergelaufen sind. Das afghanische Militär wie auch die Polizei waren offensichtlich weder fähig noch willens, ohne westliche Unterstützung halbwegs für Sicherheit und Stabilität im Lande zu sorgen. Es war eine billige Illusion zu glauben, dass die zwei Jahrzehnte hochgepäppelten afghanischen Sicherheitskräfte dafür kämpfen würden, die Taliban in Schach zu halten.
Nun liegt der Hase im Pfeffer. Die Taliban werden mithilfe übergelaufener Militärangehöriger Mittel und Wege finden, die westlichen Waffensysteme notdürftig am Laufen zu halten und einzusetzen. Sie mausern sich damit zur bestausgerüsteten Extremisten-Kampftruppe weltweit. Auch der Terrormarkt kann mit großen Mengen Militärgerät versorgt werden. Ein Rückblick auf schlimme Beispiele der Vergangenheit hätte ausreichen müssen, die Notwendigkeit von Vorkehrungen dagegen zu erkennen. Neben Vietnam ist der Sturz des Schahs von Persien 1979 dafür ein prägnantes Beispiel. Den Ayatollahs war mit den vom Schah-Regime übernommenen, zuvor von den Amerikanern gelieferten F4-Kampfflugzeugen, UH-1-Hubschraubern, Schnellbooten und Panzern ein veritabler Vorrat für ihre islamistische Mission in die Hände gefallen. Der acht Jahre währende Erste Golfkrieg bis 1988 gegen den Irak fand dort einen Nährboden.
Das Kernproblem der schmählichen Niederlage der westlichen Staaten nach 20 Jahren Krieg ist dennoch ein anderes: Länder der Dritten Welt, die mit ihrer Entwicklung kämpfen und auf stabile Unterstützung angewiesen sind, werden sich fragen müssen, ob westliche Mächte verlässliche Partner sind. Ihnen fehlt der lange Atem. Wenn der mediale und damit öffentliche Gegenwind zu groß wird und die Wiederwahl gefährdet ist, streichen Demokratien früher oder später die Segel. Die Taliban, aber auch Chinesen und Russen reiben sich die Hände ob der auf einem Silbertablett servierten Blamage des westlichen Bündnisses.