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Tag der Offenen Türe: Zur Schau gestellte Offenheit kann mehr verraten, als einem lieb ist

Eine Großveranstaltung am Wochenende so selbstverständlich wie der Mittelaltermarkt in Diedersdorf oder der Wanderzirkus in Hohenschönhausen, über deren Sinn- und Zweck offenbar so viel Einigkeit herrscht, dass die nunmehr zum 21 Male abgespulte Veranstaltung weder hinterfragt noch irgendwie kritisiert wird.

Abdulhamid Hosbas/Anadolu Agency via Getty Images

Obwohl in der Presse vielstimmig beworben und gelobt, ist das Echo auf den Tag der Offenen Türe der Bundesregierung recht schnell wieder verklungen. Eine Großveranstaltung am Wochenende, scheinbar so selbstverständlich wie der Mittelaltermarkt in Diedersdorf oder der Wanderzirkus in Hohenschönhausen, über deren Sinn- und Zweckhaftigkeit offenbar so viel Einigkeit herrscht, dass die nunmehr zum 21 Male abgespulte Veranstaltung weder hinterfragt noch irgendwie kritisiert wird.

Viele Zeitungen meinten, sich für „diesen Blick hinter die Kulissen der Macht“ bei den Veranstaltern mit Anekdoten z.B. aus dem Kanzleramt (beim Berliner Kurier), wo eine „launige Kanzlerin“ mit „hunderten Interessierten“ am Sonntag herumspaziert sei, und Sicherheitsbeamte sogar im „dichten Gedränge eine Art Schneise hätten freischieben müssen“, bedanken zu müssen. Vor dem Amtssitz von Angela Merkel über ihre gepanzerte Dienstlimousine, so die Berliner Morgenpost: „Imposant stand sie da: die Limousine von Kanzlerin Angela Merkel. Direkt vor dem Eingang zum Bundeskanzleramt rang sie den Besuchern, die nach langer Wartezeit den Innenhof von Merkels Amtssitz betraten, ein erstes ehrfürchtiges Raunen ab. „Wow“, „cool“ oder „krass“ waren die Kommentare, die den Gästen des Tags der offenen Tür der Bundesregierung, entfuhren.“

Nicht einmal die einfallslose Wiederauflage des letztjährigen Mottos „Hallo Politik“ lockte kritische Kommentare an, die der Gedanke an „Politik zum Anfassen“ (die Veranstalterin über sich selbst) nicht wohlig, sondern unangenehm berührt schaudern lässt.

Dem Tagesspiegel gefiel das „mit Merkel flanieren“, „mit der großen Politik auf Tuchfühlung“ und vergaß auch nicht zu erwähnen, dass sich das Wirtschaftsministerium „mit einer Raumfahrtshow des Deutschen Zentrums für Luft- und Raumfahrt und der Europäischen Weltraumorganisation ESA“ einen wissenschaftlichen Publikumsmagneten geangelt hatte, und dort am Sonntag sogar „ein Influencer Tipps zur Energieeffizienz“ geben durfte. Im Gesundheitsministerium habe man „den größten Darm Europas durchschreiten“ können. Manchmal spricht ein Bild eben mehr als tausend Worte, hätte man sich da als Spötter leicht denken können. Die Ressorts der Verteidigung und des Inneren konnten, gerade bei den jüngeren Gästen, mit ihren besser begreifbaren Darstellungen (Panzer, Hubschrauber, Fallschirmspringer) punkten. Hieran konnte man sehen, warum die Bundeswehr mit dieser Art der Eigenwerbung an einzelnen Standorten schon in den Siebziger Jahren grosse Besucherströme anziehen konnte. Diese, heute wohl eher verpönten „Werbeveranstaltungen fürs Kriegspielen“ standen wohl Pate für das jährliche Öffnen der Türen in den Bundesministerien.

Wenn es den Leuten doch gefällt … warum Spielverderber sein?

Vielleicht ist der Termin, an dem sich die Bundesregierung mit ihren Subjekten quasi Wange an Wange präsentiert, einfach zu banal, zu kurz und zu unbedeutend, um Widerspruchsgeister zu wecken. Wer kann schon wirklich etwas daran finden, wo doch ein offenbar echtes Interesse der Menschen an den Orten und damit auch den Personen besteht, die die Geschicke des Landes lenken? Den größten Wert kann solchen Veranstaltungen beimessen, wer allem aristokratischem Denken, der Vorstellung, dass es „Höhere“ und „Geringere“ gibt, abgeschworen hat. Besonders verabscheuungswürdig findet er den Despoten, der sich einsam in seinem Palast hinter einem Burggraben verschanzt, gesichtslos, still und heimlich das Volk beherrscht. In Berlin soll, so der breiter Konsens, nichts an Alleinherrschaft oder Gottesgnadentum erinnern. Der Elfenbeinturm, die Zitadelle, Mauern und Gitter gehören in der deutschen Hauptstadt demonstrativ der Vergangenheit an. Nicht ohne Sinn sind viele Regierungs – und Parlamentsgebäude grossflächig verglast. Das soll grösstmögliche Transparenz signalisieren. In Wahrheit ist diese Art der plakativen Durchsichtigkeit aber genauso nichtssagend wie die Betonfassade des Bundeskanzleramts, dem die Berliner wenigstens mit dem Spitznamen „Waschmaschine“ etwas Glanz verliehen haben.

Eine der kürzesten Listen der Welt: wer alles Tage der Offenen Türen anbietet

Schade, dass man nicht mit den vielen Nachahmern oder Vorbildern in der Staatengemeinschaft prahlen kann, die diese scheinbar so moderne Offenheit auch praktizieren. Ein kurzer Blick zu den europäischen Nachbarn oder den grossen überseeischen Vorbildern sollte ernüchtern. Lediglich Luxemburg und die EU leisten sich in grösserem Stil beworbene, sogenannte „open houses“, an denen sie Bürger ohne Einladung und ohne vorherige genaue Prüfung in ihre Regierungsgebäude einlassen. Zum Glück, denn sonst stünde die Bundesregierung schon wieder mit einer Türöffnung völlig alleine da. Kein Staat sonst, der seinen geschätzten Subjekten einen Blick in die Hallen und Korridore der Macht spendierte – mit Ausnahme vom Besuch anderer Örtlichkeiten, wie Museen, Denkmälern oder Parks (hier heritage days bei Wikipedia.org).

Das einfache Volk darf auch mal gucken kommen – aber nur strengstens gesiebt

Solcherlei öffentliche Verlustigungen, mit Tee und Keksen, wie sie Königin Elizabeth II z.B. jedes Jahr für Bürger, die „einen positiven Eindruck in der Gesellschaft hinterlassen hätten“ auf Ihren Gütern im Buckingham Palace oder Holyroodhouse, oder wie sie der Bundespräsident jedes Jahr für Ehrenamtliche im Schloss Bellevue gibt, haben durchaus Tradition. Aber hier wird nur vorgelassen, wer mit persönlicher Einladung und im Anzug oder Kostüm erscheint und dessen Gefährlichkeit für die Gastgeber vorher genau geprüft wurde. Erst dann geben die jeweiligen Würdenträger aus Kirche und Staat einen kleinen Teil ihres Ruhms an die Beherrschten ab, wenn diese über den gepflegten Rasen trampeln und Canapees aus der Küche des jeweiligen Haushofmeisters kosten dürfen.

Hier berichtet das Magazin Geo über den französischen Präsidenten Macron, der in einer Premiere z.B. 180 Sterneköche im Elysee-Palast empfing.

Wenn man sich die Bildergalerien für die deutsche Sonderveranstaltung “Tag der Offenen Türe” ansieht, so erkennt man seltsame Parallelen zum Schaulaufen der Athleten im Stadion, die vor dem Wettkampf oder auch mal kurz danach mit den Zuschauern Küsschen, Handschläge und Autogramme austauschen. Verglichen mit sportlichen Höchstleistungen bleiben die Leistungen der Ressortchefs, die es sich nicht nehmen liessen, ihren Gästen vielfach sogar selbst eine Führung durch die von ihnen (den Steuerzahlern) finanzierten Behörden angedeihen zu lassen, seltsam blass.

Man wird das Gefühl nicht los, dass es sich um eine weitere Show handelt, die bei den Besuchern wie auch den Gastgebern die Befriedigung, sich etwas näher gekommen zu sein, herstellen soll. Wirklich verstanden hat man einander aber nicht.

Und ob die Laufkundschaft mal eben auf ihrem Rundgang wirklich erfasst hat, was im jeweiligen Bundesministerium so vorgeht, kann getrost bezweifelt werden. Im Mittelpunkt standen sicher erstens die Neugier und zweitens die Eitelkeit (der Ministerialen). Und damit rückt der Tag der offenen Türe in die Nähe eines Zoobesuchs des offene Käfigs, an dem die Besucher einmal im Jahr aufgeregt durch die leeren Gatter und Gehege tigern dürfen, den Raubtiergeruch der ins Wochenende entfleuchten Exponate in der Nase und hinter jeder Ecke eine plötzliche Überraschung vermutend. Die aber ausbleiben muss.

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